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Steuerberatung

Kindergeldprozess: Zeugnisverweigerungsrecht für volljährige Kinder?

BFH v. 18.9.2019 - III R 59/18

Die Mit­wir­kungs­pflicht volljähri­ger Kin­der in Kin­der­geld­sa­chen (§ 68 Abs. 1 Satz 2 EStG) er­streckt sich auch auf das fi­nanz­ge­richt­li­che Ver­fah­ren. Auf­grund des da­durch an­ge­ord­ne­ten Aus­schlus­ses des § 101 AO hat das Kind in­so­weit im fi­nanz­ge­richt­li­chen Ver­fah­ren kein Zeug­nis­ver­wei­ge­rungs­recht.

Der Sach­ver­halt:
Kläger und Bei­ge­la­dene sind seit De­zem­ber 1997 ge­schie­den. Ihr im Fe­bruar 1992 ge­bo­re­ner ge­mein­sa­mer Sohn lebte bis zum Ende sei­ner Schul­aus­bil­dung im Som­mer 2011 im Haus­halt der Bei­ge­la­de­nen, die das al­lei­nige Sor­ge­recht hatte und auch das Kin­der­geld be­zog. Seit dem Win­ter­se­mes­ter 2011/2012 stu­diert der Sohn in ei­ner an­de­ren Stadt.

Den im Fe­bruar 2013 ge­stell­ten An­trag des Klägers, das Kin­der­geld zu sei­nen Guns­ten fest­zu­set­zen, da der Sohn den Haus­halt der Bei­ge­la­de­nen im De­zem­ber 2011 ver­las­sen habe und er - der Va­ter - die höhere Un­ter­halts­rente zahle, lehnte die Fa­mi­li­en­kasse ab.

Das FG wie die hier­ge­gen ge­rich­tete Klage ab. Das Kind lebe wei­ter­hin im Haus­halt der Mut­ter. Das Ge­richt stützte sich dazu auf ein Schrei­ben des Kin­des an die Kin­der­geld­kasse, wo­nach es sich je­des zweite Wo­chen­ende in der Woh­nung der Mut­ter auf­ge­hal­ten und auch die Som­mer­fe­rien dort ver­bracht habe. Es ver­zich­tete auf eine wei­tere Sach­ver­halts­aufklärung durch Ver­neh­mung des Kin­des, weil das Kind erklärt hatte, von sei­nem Zeug­nis­ver­wei­ge­rungs­recht Ge­brauch zu ma­chen.

Auf die Re­vi­sion des Klägers hob der BFH das Ur­teil auf und wies die Sa­che zur er­neu­ten Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das FG zurück.

Gründe:
Das Kind hat kein Zeug­nis­ver­wei­ge­rungs­recht, weil sich die Mit­wir­kungs­pflicht volljähri­ger Kin­der in Kin­der­geld­sa­chen auch auf das fi­nanz­ge­richt­li­che Ver­fah­ren er­streckt.

Nach § 68 Ab­satz 1 S. 2 EStG ha­ben volljährige Kin­der in Kin­der­geld­sa­chen um­fas­sende Mit­wir­kungs­pflich­ten. Da­her gilt der Grund­satz, dass An­gehörige, also auch volljährige Kin­der, nach § 84 Abs. 1 FGO i.V.m. § 101 AO zur Ver­wei­ge­rung der Aus­sage be­rech­tigt sind, aus­nahms­weise nicht im Kin­der­geld­pro­zess. Volljährige Kin­der sind dem­ent­spre­chend im fi­nanz­ge­richt­li­chen Ver­fah­ren ver­pflich­tet, an der Sach­ver­halts­aufklärung mit­zu­wir­ken. Diese Mit­wir­kungs­pflicht er­streckt sich auf alle für die Kin­der­geld­zah­lung maßge­ben­den Sach­ver­halts­ele­mente, ins­be­son­dere - wie hier - auf die Haus­halts­zu­ord­nung, also auf die Tat­sa­chen, nach de­nen sich be­stimmt, ob ein Kind noch dem Haus­halt ei­nes El­tern­teils zu­zu­ord­nen ist.

Das FG folgte der An­sicht des FG Müns­ter (Ur­teil v. 16.3.2007 - 9 K 4803/05 Kg), dass der durch § 68 Abs. 1 Satz 2 EStG an­ge­ord­nete Aus­schluss des Zeug­nis­ver­wei­ge­rungs­rechts ei­nes volljähri­gen Kin­des sich auf das Ver­wal­tungs­ver­fah­ren be­schränke und im fi­nanz­ge­richt­li­chen Ver­fah­ren nicht gelte. Denn die Be­weis­auf­nahme im fi­nanz­ge­richt­li­chen Ver­fah­ren werde durch die §§ 81 bis 89 FGO ge­re­gelt. Dort ent­halte § 84 FGO einen un­ein­ge­schränk­ten Ver­weis auf § 101 AO, d.h. ohne des­sen Ein­schränkung durch § 68 Abs. 1 Satz 2 Halb­satz 2 EStG.

Der Se­nat folgt al­ler­dings der An­sicht von Seer in Tipke/Kruse, Ab­ga­ben­ord­nung, Fi­nanz­ge­richts­ord­nung, § 84 FGO Rz 1, Schall­mo­ser in Hübsch­mann/Hepp/Spi­ta­ler (HHSp), § 84 FGO Rz 16 und Wendl in Herr­mann/Heuer/Rau­pach, § 68 EStG Rz 7, dass die Mit­wir­kungs­pflicht des § 68 Abs. 1 Satz 2 EStG sich auch auf das fi­nanz­ge­richt­li­che Ver­fah­ren er­streckt. Diese Auf­fas­sung steht dem­nach im Ein­klang mit der Ge­set­zes­sys­te­ma­tik, denn § 84 FGO ver­weist hin­sicht­lich des Zeug­nis­ver­wei­ge­rungs­rechts nicht auf die Re­ge­lung in §§ 383 bis 385 ZPO, son­dern auf §§ 101 bis 103 AO, um die Ein­heit­lich­keit des Zeug­nis­ver­wei­ge­rungs­rechts für das Steu­er­ver­wal­tungs­ver­fah­ren und das Ge­richts­ver­fah­ren zu gewähr­leis­ten (Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 84 FGO Rz 1; Schall­mo­ser in HHSp, § 84 FGO Rz 4).

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