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Altgesellschafter-Haftung einer Fondsgesellschaft bei Anleger-Beitritt

BGH v. 8.1.2019 - II ZR 139/17

Die Alt­ge­sell­schaf­ter ei­ner Fonds­ge­sell­schaft haf­ten beim Bei­tritt ei­nes An­le­gers nicht nur, wenn feh­ler­hafte An­ga­ben ge­macht wur­den, son­dern auch wenn die ge­bo­tene Aufklärung un­ter­blie­ben ist. Aus dem Er­fah­rungs­satz, dass ein Pro­spekt­feh­ler auch ohne Kennt­nis­nahme des Pro­spekts durch den An­le­ger für die An­la­ge­ent­schei­dung ursäch­lich wird, wenn der Pro­spekt ent­spre­chend dem Ver­triebs­kon­zept der Fonds­ge­sell­schaft von den An­la­ge­ver­mitt­lern als Ar­beits­grund­lage ver­wen­det wird, kann nicht der wei­ter­ge­hende Er­fah­rungs­satz ab­ge­lei­tet wer­den, dass ein an­hand des Pro­spek­tes ge­schul­ter Ver­mitt­ler den für eine Aufklärung we­sent­li­chen Pro­spek­tin­halt in den von ihm geführ­ten Be­ra­tungs­ge­sprächen stets vollständig und zu­tref­fend wie­der­gibt.

Der Sach­ver­halt:

Der Kläger zeich­nete am 14.12.2005 über eine In­ter­net­seite der e-GmbH eine Be­tei­li­gung als Treu­ge­ber i.H.v. 20.000 € zzgl. 5 % Agio an der S-GmbH & Co. KG (Fonds­ge­sell­schaft), wo­bei ihm ein Nach­lass von 7 % gewährt wurde. Zu­vor hatte er am 12.12.2005 ein Wer­be­schrei­ben der Streit­hel­fe­rin und am 14.12.2005 eine E-Mail der e-GmbH er­hal­ten, durch die er auf die Be­tei­li­gungsmöglich­keit hin­ge­wie­sen wor­den war. Der Ver­kaufs­pro­spekt war ihm nicht über­sandt wor­den. Nach dem Vor­brin­gen des Klägers gin­gen der Zeich­nung Te­le­fon­ge­spräche mit den an­hand des Pro­spekts ge­schul­ten Ver­mitt­lern H von der Streit­hel­fe­rin und S von der e-GmbH vor­aus.

Die Rechts­vorgänge­rin der Be­klag­ten zu 1), die I-GmbH, war Gründungs­ge­sell­schaf­te­rin und Treu­hand­kom­man­di­tis­tin der Fonds­ge­sell­schaft; die Be­klagte zu 2) ist gleich­falls Gründungs­ge­sell­schaf­te­rin der Fonds­ge­sell­schaft. Zweck der Fonds­ge­sell­schaft war die Ka­pi­tal­be­tei­li­gung an der Pro­jekt­ge­sell­schaft S. Ltd., die in S ein Rie­sen­rad ("S. Flyer") nach dem Vor­bild des "L. Eye" er­rich­ten und be­trei­ben sollte. An das Rie­sen­rad soll­ten Ein­zel­han­delsflächen, ein Park­haus und Außen­an­la­gen an­ge­schlos­sen wer­den. Das Pro­jekt um­fasste zu­dem die Er­rich­tung ei­nes Ter­mi­nal­gebäudes mit ver­miet­ba­ren Ge­wer­beflächen. Das Rie­sen­rad wurde nach sei­ner Er­rich­tung im Jahr 2008 in Be­trieb ge­nom­men, er­zielte aber nicht die pro­gnos­ti­zier­ten Ein­nah­men. Aus­schüttun­gen er­hielt der Kläger nicht. Die Pro­jekt­ge­sell­schaft mel­dete später In­sol­venz an.

Ab Juli 2008 war der Kläger bei der Streit­hel­fe­rin als sog. Ver­mitt­lungs­kunde ge­lis­tet. Ver­mitt­lungs­kun­den der Streit­hel­fe­rin neh­men keine Be­ra­tung in An­spruch und er­hal­ten des­halb ne­ben dem Agio auch stets einen er­heb­li­chen Teil der In­nen­pro­vi­sion rück­vergütet. Der Kläger nimmt die Be­klag­ten als Ge­samt­schuld­ner we­gen un­zu­rei­chen­der Aufklärung auf Zah­lung von rd. 20.000 € nebst Zin­sen Zug um Zug ge­gen Ab­tre­tung sämt­li­cher An­sprüche aus der Be­tei­li­gung in An­spruch. Fer­ner be­gehrt er die Fest­stel­lung des An­nah­me­ver­zu­ges der Be­klag­ten so­wie den Er­satz außer­ge­richt­li­cher Rechts­an­walts­kos­ten.

LG und OLG wie­sen die Klage ab. Auf die Re­vi­sion des Klägers hob der BGH das Be­ru­fungs­ur­teil auf und ver­wies die Sa­che zur neuen Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das OLG zurück.

Die Gründe:

Das OLG hat an die Dar­le­gung und Fest­stel­lung ei­nes Aufklärungs­man­gels im Falle un­ter­blie­be­ner Pro­spektüberg­abe rechts­feh­ler­haft über­zo­gene An­for­de­run­gen ge­stellt und die in­so­weit be­ste­hen­den pro­zes­sua­len Erklärungs­pflich­ten ver­kannt.

Nach ständi­ger BGH-Recht­spre­chung muss einem An­le­ger vor sei­ner Be­tei­li­gung an ei­ner Fonds­ge­sell­schaft ein zu­tref­fen­des Bild über das Be­tei­li­gungs­ob­jekt ver­mit­telt wer­den; das heißt, er muss über alle Umstände, die für seine An­la­ge­ent­schei­dung von we­sent­li­cher Be­deu­tung sind oder sein können, ins­be­son­dere über die mit der an­ge­bo­te­nen spe­zi­el­len Be­tei­li­gungs­form ver­bun­de­nen Nach­teile und Ri­si­ken zu­tref­fend, verständ­lich und vollständig auf­geklärt wer­den. Es ist da­bei in der Recht­spre­chung des BGH an­er­kannt, dass es als Mit­tel der Aufklärung genügen kann, wenn dem An­la­gein­ter­es­sen­ten statt ei­ner münd­li­chen Aufklärung im Rah­men des Ver­trags­an­bahnungs­ge­sprächs ein Pro­spekt über die Ka­pi­tal­an­lage über­reicht wird, so­fern die­ser nach Form und In­halt ge­eig­net ist, die nöti­gen In­for­ma­tio­nen wahr­heits­gemäß und verständ­lich zu ver­mit­teln, und er dem An­la­gein­ter­es­sen­ten so recht­zei­tig vor dem Ver­trags­schluss über­ge­ben wird, dass sein In­halt noch zur Kennt­nis ge­nom­men wer­den kann.

Fehlt es an der recht­zei­ti­gen Überg­abe ei­nes zur Aufklärung ge­eig­ne­ten Pro­spek­tes, bleibt die münd­li­che Aufklärung al­lein maßge­bend. Nach BGH-Recht­spre­chung ent­spricht es al­ler­dings der Le­bens­er­fah­rung, dass et­waige Pro­spekt­feh­ler auch dann für die An­la­ge­ent­schei­dung ursäch­lich wer­den, wenn der An­la­gein­ter­es­sent den Pro­spekt selbst zwar nicht er­hal­ten hat, der Pro­spekt aber dem An­la­ge­ver­mitt­ler als Ar­beits­grund­lage für das mit dem An­la­gein­ter­es­sen­ten geführte Be­ra­tungs­ge­spräch diente. Denn wenn der Pro­spekt gemäß dem Ver­triebs­kon­zept der Fonds­ge­sell­schaft von ent­spre­chend ge­schul­ten An­la­ge­ver­mitt­lern als Ar­beits­grund­lage ver­wen­det wird, be­schränkt sich eine auf die­ser Grund­lage er­teilte münd­li­che Aufklärung er­fah­rungs­gemäß auf die Umstände und Ri­si­ken, die im Pro­spekt ge­nannt wer­den. Aus die­ser Recht­spre­chung kann in­des nicht in einem um­ge­kehr­ten Sinne der Er­fah­rungs­satz ent­nom­men wer­den, dass ein an­hand des Pro­spek­tes ge­schul­ter Ver­mitt­ler in den von ihm geführ­ten Be­ra­tungs­ge­sprächen den für eine Aufklärung we­sent­li­chen Pro­spek­tin­halt stets vollständig und zu­tref­fend wie­der­ge­ben werde. Es kommt ohne wei­te­res in Be­tracht, dass ein an­hand des Pro­spekts ge­schul­ter Ver­mitt­ler den für die Aufklärung we­sent­li­chen Pro­spek­tin­halt in einem Be­ra­tungs­ge­spräch nur ein­ge­schränkt münd­lich wei­ter­gibt. Dies gilt ins­be­son­dere dann, wenn das Be­ra­tungs­ge­spräch te­le­fo­ni­sch geführt wird und auf einen knapp be­mes­se­nen Zeit­raum be­schränkt ist.

Die ge­genüber einem An­le­ger vor des­sen Bei­tritt zu ei­ner Fonds­ge­sell­schaft be­ste­hende Aufklärungs­pflicht be­ruht auf § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB und trifft bei ei­ner Kom­man­dit­ge­sell­schaft grundsätz­lich die zu­vor schon bei­ge­tre­te­nen nicht rein ka­pi­ta­lis­ti­sch be­tei­lig­ten Ge­sell­schaf­ter, na­ment­lich die Gründungs- bzw. Alt­ge­sell­schaf­ter. De­ren Aufklärungs­pflicht und die aus ei­ner Ver­let­zung die­ser Pflicht ggf. re­sul­tie­rende Haf­tung auf Scha­dens­er­satz be­steht auch ge­genüber einem über einen Treuhänder bei­tre­ten­den An­le­ger, wenn der Treu­ge­ber nach dem Ge­sell­schafts­ver­trag wie ein un­mit­tel­bar bei­tre­ten­der Ge­sell­schaf­ter be­han­delt wer­den soll. Be­dient sich der da­nach aufklärungs­pflich­tige Ge­sell­schaf­ter für die ver­trag­li­chen Ver­hand­lun­gen über einen Bei­tritt ei­nes Ver­triebs und überlässt er die­sem oder von die­sen ein­ge­schal­te­ten Un­ter­ver­mitt­lern die ge­schul­dete Auf-klärung der Bei­tritts­in­ter­es­sen­ten, so haf­tet er über § 278 BGB für de­ren un­rich­tige oder un­zu­rei­chende An­ga­ben. Er muss sich das Fehl­ver­hal­ten von Per­so­nen, die er mit den Ver­hand­lun­gen zum Ab­schluss des Bei­tritts­ver­tra­ges ermäch­tigt hat, zu­rech­nen las­sen. Ei­ner vom aufklärungs­pflich­ti­gen Ge­sell­schaf­ter bis zum Ver­mitt­ler führen­den ver­trag­li­chen "Auf­trags­kette" be­darf es hier­bei nicht. Nach die­sen Maßga­ben kann ein Scha­dens­er­satz­an­spruch des Klägers auf der Grund­lage des re­vi­si­ons­recht­lich zu­grunde zu le­gen­den Sach­ver­halts hier nicht aus­ge­schlos­sen wer­den.

Link­hin­weis:

  • Der Voll­text der Ent­schei­dung ist auf den Web­sei­ten des BGH veröff­ent­licht.
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