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Steuerberatung

Abgrenzung zwischen einheitlicher Erstausbildung und Zweitausbildung

BFH v. 19.2.2020 - III R 28/19

Die im Rah­men des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG vor­zu­neh­mende Ab­gren­zung ei­ner ein­heit­li­chen Erst­aus­bil­dung mit da­ne­ben ausgeübter Er­werbstätig­keit von ei­ner be­rufs­be­glei­tend durch­geführ­ten Wei­ter­bil­dung (Zweit­aus­bil­dung) ist an­hand ei­ner Ge­samtwürdi­gung der Verhält­nisse vor­zu­neh­men. Diese Ge­samtwürdi­gung ist als eine im We­sent­li­chen auf ta­trich­ter­li­chem Ge­biet lie­gende Be­ur­tei­lung re­vi­si­ons­recht­lich nur be­grenzt überprüfbar. Al­ler­dings ist die Ge­samtwürdi­gung ma­te­ri­ell-recht­lich feh­ler­haft, wenn die Tat­sa­chen­in­stanz die maßgeb­li­chen Umstände nicht vollständig oder ih­rer Be­deu­tung ent­spre­chend in ihre Über­zeu­gungs­bil­dung ein­be­zieht.

Der Sach­ver­halt:
Strei­tig ist der Kin­der­geld­an­spruch für den Zeit­raum No­vem­ber 2016 bis ein­schließlich Au­gust 2018. Der Kläger ist der Va­ter ei­nes im März 1995 ge­bo­re­nen Soh­nes (B). Die­ser ab­sol­vierte im Zeit­raum Au­gust 2013 bis Juni 2016 bei ei­ner Stadt­ver­wal­tung er­folg­reich eine Aus­bil­dung zum Ver­wal­tungs­fach­an­ge­stell­ten (Ver­wal­tungs­lehr­gang I). An­schließend wurde B mit ei­ner wöchent­li­chen Ar­beits­zeit von 39 Stun­den von der Stadt­ver­wal­tung über­nom­men.

Der Ar­beit­ge­ber mel­dete B im Au­gust 2016 zum nächstmögli­chen Ter­min (ab No­vem­ber 2016) für die Aus­bil­dung zum Ver­wal­tungs­fach­wirt (Ver­wal­tungs­lehr­gang II) an. Aus­weis­lich ei­ner Schul­be­schei­ni­gung bie­tet der Lehr­gang eine ver­tie­fende Wei­ter­bil­dung für Fachkräfte der Ver­wal­tung, die als Ver­wal­tungs­fach­an­ge­stellte aus­ge­bil­det wor­den sind, um die Teil­neh­mer für eine qua­li­fi­zierte Sach­be­ar­bei­tung und die Über­nahme von Führungs­auf­ga­ben zu befähi­gen. Der Un­ter­richt wird frei­tags so­wie an je­dem zwei­ten Sams­tag er­teilt. Zusätz­lich fin­det in den Herbst- und Os­ter­fe­rien ganztägi­ger Blo­ck­un­ter­richt statt. Die­ser Ver­wal­tungs­lehr­gang um­fasst ins­ge­samt 1.050 Stun­den Un­ter­richt und sollte bis vor­aus­sicht­lich Juni/Juli 2019 dau­ern. Die Fa­mi­li­en­kasse lehnte den An­trag des Klägers auf Gewährung von Kin­der­geld ab No­vem­ber 2016 ab.

Das FG gab der hier­ge­gen ge­rich­te­ten Klage statt und ver­pflich­tete die Fa­mi­li­en­kasse, dem Kläger Kin­der­geld für B für den Zeit­raum No­vem­ber 2016 bis ein­schließlich Au­gust 2018 zu be­wil­li­gen. Auf die Re­vi­sion der Fa­mi­li­en­kasse hob der BFH das Ur­teil auf und ver­wies die Sa­che an das FG zurück.

Die Gründe:
Der Se­nat kann auf­grund der Fest­stel­lun­gen des FG nicht be­ur­tei­len, ob die Aus­bil­dungsmaßnah­men, die B im Rah­men des Ver­wal­tungs­lehr­gangs II zur Er­lan­gung des Ab­schlus­ses ei­nes Ver­wal­tungs­fach­wirts durch­geführt hat, noch als Teil der Erst­aus­bil­dung zu qua­li­fi­zie­ren sind.

 

Nach § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG be­steht An­spruch auf Kin­der­geld für ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 25. Le­bens­jahr voll­en­det hat, wenn die­ses für einen Be­ruf aus­ge­bil­det wird. In den Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG wird nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ein Kind nach Ab­schluss ei­ner erst­ma­li­gen Be­rufs­aus­bil­dung oder ei­nes Erst­stu­di­ums nur berück­sich­tigt, wenn es kei­ner Er­werbstätig­keit nach­geht. Eine Er­werbstätig­keit mit bis zu 20 Stun­den re­gelmäßiger wöchent­li­cher Ar­beits­zeit, ein Aus­bil­dungs­dienst­verhält­nis oder ein ge­ringfügi­ges Be­schäfti­gungs­verhält­nis i.S.d. §§ 8 und 8a SGB IV sind un­schädlich (§ 32 Abs. 4 Satz 3 EStG). Hin­sicht­lich der Aus­le­gung der in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ver­wen­de­ten Tat­be­stands­merk­male erst­ma­lige Be­rufs­aus­bil­dung und Erst­stu­dium hat der BFH ent­schie­den, dass das Erst­stu­dium nur einen Un­ter­fall des Ober­be­grif­fes erst­ma­lige Be­rufs­aus­bil­dung dar­stellt und der Erst­aus­bil­dungs­be­griff des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG en­ger aus­zu­le­gen ist als das in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG ver­wen­dete Tat­be­stands­merk­mal "Kind, das für einen Be­ruf aus­ge­bil­det wird".

 

Die den Erst­aus­bil­dungs­be­griff des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG be­gren­zen­den Kri­te­rien hat der BFH da­bei vor al­lem in fol­gen­den Punk­ten ge­se­hen:

  • Es muss sich um einen öff­ent­lich-recht­lich ge­ord­ne­ten Aus­bil­dungs­gang han­deln. Die­ser muss auf einen Ab­schluss aus­ge­rich­tet sein, der in Form ei­ner Prüfung er­folgt.
  • Durch die be­ruf­li­che Aus­bil­dungsmaßnahme muss das Kind die not­wen­di­gen fach­li­chen Fähig­kei­ten und Kennt­nisse er­wer­ben, die zur Auf­nahme ei­nes Be­rufs befähi­gen, wo­durch ins­be­son­dere eine Ab­gren­zung ge­genüber dem Be­such ei­ner all­ge­mein bil­den­den Schule er­fol­gen soll.
  • Lie­gen meh­rere Aus­bil­dungs­ab­schnitte vor, können diese dann eine ein­heit­li­che Erst­aus­bil­dung dar­stel­len, wenn sie zeit­lich und in­halt­lich so auf­ein­an­der ab­ge­stimmt sind, dass die Aus­bil­dung nach Er­rei­chen des ers­ten Ab­schlus­ses fort­ge­setzt wer­den soll und das vom Kind an­ge­strebte Be­rufs­ziel erst über den wei­terführen­den Ab­schluss er­reicht wer­den kann. In einem sol­chen Fall muss auf­grund ob­jek­ti­ver Be­weis­an­zei­chen er­kenn­bar sein, dass das Kind die für sein an­ge­streb­tes Be­rufs­ziel er­for­der­li­che Aus­bil­dung nicht be­reits mit dem ers­ten er­lang­ten Ab­schluss be­en­det hat. Da­bei ist dar­auf ab­zu­stel­len, ob sich die ein­zel­nen Aus­bil­dungs­ab­schnitte als in­te­gra­tive Teile ei­ner ein­heit­li­chen Aus­bil­dung dar­stel­len. In­so­weit kommt es vor al­lem dar­auf an, ob die Aus­bil­dungs­ab­schnitte in einem en­gen sach­li­chen Zu­sam­men­hang (z.B. die­selbe Be­rufs­sparte, der­selbe fach­li­che Be­reich) zu­ein­an­der ste­hen und in en­gem zeit­li­chen Zu­sam­men­hang durch­geführt wer­den.
  • An ei­ner Aus­bil­dungs­ein­heit fehlt es da­ge­gen, wenn die Auf­nahme des zwei­ten Aus­bil­dungs­ab­schnitts eine be­rufs­prak­ti­sche Tätig­keit vor­aus­setzt oder das Kind nach dem Ende des ers­ten Aus­bil­dungs­ab­schnitts eine Be­rufstätig­keit auf­nimmt, die nicht nur der zeit­li­chen Überbrückung bis zum nächstmögli­chen Be­ginn des wei­te­ren Aus­bil­dungs­ab­schnitts dient.

Diese Recht­spre­chungs­grundsätze sind für Fälle, in de­nen die ein­heit­li­che Erst­aus­bil­dung mit da­ne­ben ausgeübter Er­werbstätig­keit von ei­ner be­rufs­be­glei­tend durch­geführ­ten Wei­ter­bil­dung (Zweit­aus­bil­dung) ab­zu­gren­zen ist, fort­zu­ent­wi­ckeln und zu präzi­sie­ren.

Vor­lie­gend war die Würdi­gung des FG zu be­an­stan­den, dass die Ver­wal­tungs­lehrgänge I und II noch eine ein­heit­li­che Erst­aus­bil­dung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG bil­de­ten. Das FG hatte zwar fest­ge­stellt, dass das Kind nach Ab­schluss sei­ner Aus­bil­dung zum Ver­wal­tungs­fach­an­ge­stell­ten von sei­nem Ar­beit­ge­ber in ein Voll­zeit­ar­beits­verhält­nis über­nom­men wurde. Zu den maßgeb­li­chen Tat­sa­chen, ob es sich um ein un­be­fris­te­tes Be­schäfti­gungs­verhält­nis han­delte oder auf wel­chen Zeit­raum sich eine et­waige Be­fris­tung be­zog, ver­hal­ten sich die Ent­schei­dungsgründe da­ge­gen nicht. Ebenso geht das FG nicht dar­auf ein, ob das Kind im Rah­men des Voll­zeit­ar­beits­verhält­nis­ses die durch den Ab­schluss des Ver­wal­tungs­lehr­gangs I er­langte Qua­li­fi­ka­tion nutzte, um eine durch diese eröff­nete Be­rufstätig­keit auszuüben. Ins­ge­samt wird nicht deut­lich, ob das FG diese Umstände über­haupt in seine Ge­samt­abwägung ein­be­zo­gen hat und ggf. wel­ches Ge­wicht es ih­nen bei­ge­mes­sen hat.

Ebenso we­nig geht das FG ge­nauer auf das Verhält­nis der für die Aus­bil­dung und der für die Er­werbstätig­keit auf­ge­wand­ten Zeit­an­teile ein, son­dern lässt diese Frage mit der For­mu­lie­rung "Selbst wenn das Aus­bil­dungs­verhält­nis zeit­lich nicht den Um­fang der Be­rufs­ausübung er­reicht oder über­schrit­ten hat" im Un­gefähren. Wei­ter ist auch nicht er­sicht­lich, in­wie­weit die Ar­beitstätig­keit im Hin­blick auf den Zeit­punkt ih­rer Durchführung den im Ver­wal­tungs­lehr­gang II durch­geführ­ten Aus­bil­dungsmaßnah­men un­ter­ge­ord­net war oder die Durchführung des Ver­wal­tungs­lehr­gangs II sich an den Er­for­der­nis­sen ei­nes re­gulären Ar­beits­verhält­nis­ses ori­en­tierte so­wie ob und in wel­cher Form die­ser Um­stand in die Ge­samtwürdi­gung ein­ge­flos­sen ist. Schließlich wird auch nicht nach­voll­zieh­bar begründet, wes­halb die Tat­sa­che der An­mel­dung des Kin­des durch die Stadt zum Ver­wal­tungs­lehr­gang II für eine ein­heit­li­che Erst­aus­bil­dung spre­chen soll. Aus Sicht des BFH dürfte es auch bei langjährig in ih­rem Be­ruf täti­gen Ar­beit­neh­mern nicht unüblich sein, dass sie durch ih­ren Ar­beit­ge­ber zu ty­pi­schen Fort­bil­dun­gen an­ge­mel­det wer­den, so dass die Aus­sa­ge­kraft die­ses Um­stands für die vor­zu­neh­mende Ab­gren­zung zwi­schen Erst­aus­bil­dung und be­rufs­be­glei­ten­der Fort­bil­dung nicht klar wird.

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