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Steuerberatung

Widerstreitende Steuerfestsetzungen bei mehrfacher Berücksichtigungsmöglichkeit

BFH v. 20.3.2019 - II R 61/15

Ein Wi­der­streit zwi­schen einem inländi­schen und einem ausländi­schen Steu­er­be­scheid liegt nicht vor, wenn der­selbe Sach­ver­halt im Aus­land bei der Be­mes­sungs­grund­lage für die Steuer und im In­land im Rah­men des Pro­gres­si­ons­vor­be­halts hätte berück­sich­tigt wer­den können. Die DBA-Vor­schrif­ten, die einen par­al­le­len Zu­griff bei­der Ver­trags­staa­ten auf das glei­che Steu­er­sub­strat ver­hin­dern, sind Be­stand­teil der ma­te­ri­el­len Rechts­lage, auf­grund de­rer der "Wi­der­streit" zu be­ur­tei­len ist.

Der Sach­ver­halt:
Die Kläge­rin ist die Rechts­nach­fol­ge­rin ih­res im April 2017 ver­stor­be­nen Ehe­man­nes (M), der in Deutsch­land lebte. Die­ser war Miterbe sei­ner im April 2009 ver­stor­be­nen Schwes­ter (E), die Schwei­zer Staats­an­gehörige war und in der Schweiz wohnte. Zum Nach­lass gehörten u.a. zwei in der Schweiz ge­le­gene Grundstücke. Im Sep­tem­ber 2009 hatte die zuständige schwei­ze­ri­sche Fi­nanz­behörde ge­genüber M - aus­ge­hend von einem Vermögens­an­fall i.H.v. 119.400 CHF - Erb­schaft­steuer i.H.v. 6.444 CHF fest­ge­setzt. Bei der Er­mitt­lung des Vermögens­an­falls wur­den die Grundstücke mit ih­rem amt­li­chen Wert von 830.300 CHF an­tei­lig berück­sich­tig.

Im März 2011 reichte M dann in Deutsch­land eine Erb­schaft­steu­er­erklärung ein. Das Fi­nanz­amt setzte dar­auf­hin Erb­schaft­steuer i.H.v. 60.414 € fest. Da­bei ging es von einem Wert des Er­werbs i.H.v. 235.651 € aus, wo­bei das in der Schweiz ge­le­gene Grund­vermögen mit einem Wert von 211.836 € in die Be­mes­sungs­grund­lage ein­be­zo­gen wurde. Die in der Schweiz ge­zahlte Erb­schaft­steuer i.H.v. 4.266 € rech­nete die Behörde nach § 21 ErbStG an. Ge­gen den Be­scheid wurde kein Ein­spruch ein­ge­legt.

Im Sep­tem­ber 2011 be­an­tragte M eine Her­ab­set­zung der fest­ge­setz­ten Steuer auf 1.140 €. Er stützte sei­nen An­trag auf § 174 Abs. 1 AO und machte gel­tend, nach Art. 10 Abs. 1 Buchst. a DBA-Schweiz stelle Deutsch­land in der Schweiz ge­le­ge­nes Grund­vermögen von der Steuer frei, wenn der Erb­las­ser im Zeit­punkt sei­nes To­des schwei­ze­ri­scher Staats­an­gehöri­ger ge­we­sen sei. Das Fi­nanz­amt lehnte die be­gehrte Ände­rung mit der Begründung ab, es fehle an ei­ner ver­fah­rens­recht­li­chen Ände­rungs­vor­schrift. Der Be­scheid aus März 2011 sei be­standskräftig ge­wor­den und die Vor­aus­set­zun­gen des § 174 Abs. 1 Satz 1 AO lägen nicht vor.

Das FG gab der hier­ge­gen ein­ge­leg­ten Klage statt und setzte die Steuer an­trags­gemäß herab. Auf die Re­vi­sion des Fi­nanz­am­tes hob der BFH das Ur­teil auf und wies die Klage ab.

Gründe:
Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des FG kann der Erb­schaft­steu­er­be­scheid aus März 2011 nicht nach § 174 Abs. 1 Satz 1 AO zu­guns­ten der Kläge­rin geändert wer­den.

Der Be­griff des "be­stimm­ten Sach­ver­halts" i.S.d. § 174 Abs. 1 Satz 1 AO knüpft an einen ein­heit­li­chen Le­bens­vor­gang an, an den das Ge­setz steu­er­li­che Fol­gen knüpft. Eine wi­der­strei­tende Steu­er­fest­set­zung liegt nur vor, wenn der­selbe Le­bens­vor­gang in ver­schie­de­nen Steu­er­be­schei­den un­ter­schied­lich berück­sich­tigt wor­den ist. Die An­wen­dung des § 174 Abs. 1 Satz 1 AO er­for­dert das Vor­lie­gen von (po­si­tiv) wi­der­strei­ten­den Steu­er­fest­set­zun­gen zu Las­ten ei­nes oder meh­re­rer Steu­er­pflich­ti­ger. Ein "Wi­der­strei­ten" i.d.S. setzt vor­aus, dass die in den (kol­li­die­ren­den) Be­schei­den ge­trof­fe­nen Re­ge­lun­gen (Steu­er­fest­set­zun­gen oder Fest­stel­lun­gen) auf­grund der ma­te­ri­el­len Rechts­lage nicht mit­ein­an­der ver­ein­bar und da­her wi­der­sprüch­lich sind, weil nur eine der fest­ge­setz­ten oder an­ge­ord­ne­ten Rechts­fol­gen zu­tref­fen kann. Die in der mehr­fa­chen Er­fas­sung ei­nes be­stimm­ten Sach­ver­halts lie­gen­den Un­rich­tig­kei­ten müssen ein­an­der nach ma­te­ri­el­lem Recht zwin­gend (den­knot­wen­dig) aus­schließen.

Die "Berück­sich­ti­gung" ei­nes be­stimm­ten Sach­ver­halts i.S.v. § 174 Abs. 1 Satz 1 AO setzt vor­aus, dass er dem Fi­nanz­amt bei der Ent­schei­dungs­fin­dung be­kannt war und als Ent­schei­dungs­grund­lage her­an­ge­zo­gen und ver­wer­tet wor­den ist. Da­bei kann es da­hin­ge­stellt blei­ben kann, ob "Steu­er­be­scheid" i.S.d. § 174 Abs. 1 AO auch eine Maßnahme ei­ner Steu­er­behörde ei­nes Dritt­staa­tes sein kann. Denn ein Wi­der­streit i.S.d. § 174 Abs. 1 Satz 1 AO lag im Streit­fall nicht vor. Die schwei­ze­ri­sche Fi­nanz­behörde konnte zwar den Grundstück­ser­werb von To­des we­gen be­steu­ern und dafür den Wert der Grundstücke als Be­mes­sungs­grund­lage her­an­zie­hen. Zu­gleich war der Er­werb der Grundstücke auf der Grund­lage des DBA-Schweiz i.V.m. § 19 Abs. 2 ErbStG bei der Fest­set­zung der Steuer für den übri­gen in Deutsch­land steu­er­ba­ren Nach­lass im Rah­men des Pro­gres­si­ons­vor­be­halts zu berück­sich­ti­gen. Da­mit war die mehr­fa­che Er­fas­sung des Sach­ver­halts nicht aus­ge­schlos­sen.

Auf­grund des inländi­schen Pro­gres­si­ons­vor­be­halts wäre eine dop­pelte Berück­sich­ti­gung des Werts der Grundstücke - in der Schweiz im Rah­men der Be­mes­sungs­grund­lage für die Steuer und in Deutsch­land im Rah­men des Pro­gres­si­ons­vor­be­halts - möglich ge­we­sen. Ein Wi­der­streit i.S.d. § 174 Abs. 1 Satz 1 AO schei­det da­her auf­grund der mehr­fa­chen Berück­sich­ti­gungsmöglich­keit aus. Die DBA-Vor­schrif­ten, die einen par­al­le­len Zu­griff bei­der Ver­trags­staa­ten auf das glei­che Steu­er­sub­strat ver­hin­dern, sind Be­stand­teil der ma­te­ri­el­len Rechts­lage, auf­grund de­rer der "Wi­der­streit" zu be­ur­tei­len ist. Der Pro­gres­si­ons­vor­be­halt gehört zur ab­kom­mens­recht­li­chen Ver­tei­lung der Be­steue­rungs­kom­pe­ten­zen und darf des­halb bei der Prüfung des Wi­der­streits nicht außer Acht ge­las­sen wer­den.

Link­hin­weis:

  • Der Voll­text der Ent­schei­dung ist auf der Home­page des BFH veröff­ent­licht.
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