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Steuerberatung

Vorsteuerabzug: Leistungsbeschreibung bei Waren im Niedrigpreissegment

BFH v. 14.3.2019 - V B 3/19

Ernst­lich zwei­fel­haft ist, ob der Vor­steu­er­ab­zug aus Rech­nun­gen im Nied­rig­preis­seg­ment hin­sicht­lich der Leis­tungs­be­schrei­bung vor­aus­setzt, dass die Art der ge­lie­fer­ten Ge­genstände mit ih­rer han­delsübli­chen Be­zeich­nung an­ge­ge­ben wird oder ob in­so­weit die An­gabe der Wa­ren­gat­tung ("Ho­sen", "Blu­sen", "Pulli") aus­reicht.

Der Sach­ver­halt:
Die An­trag­stel­le­rin war in den Streit­jah­ren 2012 bis 2013 im Großhan­del mit Tex­ti­lien und Mo­de­ac­ces­soires im Nied­rig­preis­seg­ment tätig. Die Wa­ren wur­den je­weils in großen Men­gen ein­ge­kauft, wo­bei die Preise des je­wei­li­gen Ar­ti­kels über­wie­gend im un­teren und mitt­le­ren ein­stel­li­gen Eu­robe­reich la­gen, nur ver­ein­zelt zwi­schen 10 € und 12 €.

In ih­ren Um­satz­steu­er­erklärun­gen der Streit­jahre machte die An­trag­stel­le­rin Vor­steu­er­ab­zugs­beträge aus Rech­nun­gen meh­re­rer Fir­men gel­tend, in de­nen die Ar­ti­kel le­dig­lich mit An­ga­ben wie "Tu­nika, Ho­sen, Blu­sen, Top, Klei­der, T-Shirt, Pulli, Bo­lero, teil­weise auch Da-Pull­over (langärm­lig in 3 Far­ben) oder Da-Tops (langärm­lig in 4 Far­ben)" be­zeich­net wa­ren. Im An­schluss an ein steu­er­straf­recht­li­ches Er­mitt­lungs­ver­fah­ren ge­gen die da­ma­lige Ge­schäftsführe­rin der An­trag­stel­le­rin so­wie eine die Streit­jahre be­tref­fende Um­satz­steuer-Son­derprüfung er­ließ das Fi­nanz­amt geänderte Um­satz­steu­er­be­scheide, in de­nen es die Vor­steu­er­ab­zugs­beträge aus den Rech­nun­gen nicht an­er­kannte.

Nach er­folg­lo­sem Ein­spruchs­ver­fah­ren er­hob die An­trag­stel­le­rin Klage und be­an­tragte Aus­set­zung der Voll­zie­hung (AdV) der streit­ge­genständ­li­chen Um­satz­steu­er­be­scheide. Das FG lehnte den Aus­set­zungs­an­trag ab. An der Rechtmäßig­keit der an­ge­foch­te­nen Um­satz­steu­er­be­scheide bestünden keine ernst­li­chen Zwei­fel, weil die Rech­nun­gen keine hin­rei­chen­den Leis­tungs­be­schrei­bun­gen i.S.v. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG i.V.m. § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 UStG ent­hiel­ten. Auf die Be­schwerde der An­trag­stel­le­rin hob der BFH den Be­schluss des FG auf und setzte die Voll­zie­hung der Um­satz­steu­er­be­scheide 2012 und 2013 aus.

Gründe:
Ernst­li­che Zwei­fel an den an­ge­foch­te­nen Be­scheide fol­gen be­reits dar­aus, dass zu den An­for­de­run­gen an die Leis­tungs­be­schrei­bung im Nied­rig­preis­seg­ment noch keine höchstrich­ter­li­che Recht­spre­chung vor­liegt und diese Frage in der Recht­spre­chung der FG un­ter­schied­lich be­ant­wor­tet wird:

Während der 5. Se­nat des FG Düssel­dorf in einem nicht veröff­ent­lich­ten Ur­teil vom 3.7.2017 (5 K 1992/14 U, zit. nach Ha­ber­land, Um­satz­steuer-Rund­schau 2018, 342) da­von aus­geht, dass bei Großeinkäufen von Bil­li­gar­ti­keln die An­gabe der Gat­tung mit Stück­zahl aus­reicht, ver­tre­ten der 1. Se­nat des FG Düssel­dorf (Ur­teil vom 15.9.2017 - 1 K 2978/15 U), das Hes­si­sche FG (Ur­teile vom 12.10.2017 - 1 K 2402/14) so­wie das FG Ham­burg (Be­schl. vom 29.7.2016 - 2 V 34/16) die Auf­fas­sung, dass im Nied­rig­preis­seg­ment die bloße An­gabe ei­ner Gat­tung für eine hin­rei­chende Leis­tungs­be­schrei­bung nicht genüge. Not­wen­dig sei viel­mehr eine wei­ter­ge­hende Um­schrei­bung der Ware über die Her­stel­ler­an­gabe, die Ei­gen­marke, den Mo­dell­typ oder un­ter Be­zug­nahme auf eine Ar­ti­kel- oder Char­gen­num­mer. Zu die­ser Frage ist un­ter dem Ak­ten­zei­chen XI R 2/18 ein Re­vi­si­ons­ver­fah­ren beim BFH anhängig.

Ernst­li­che Zwei­fel er­ge­ben sich darüber hin­aus im Hin­blick auf die Be­deu­tung und Reich­weite des Se­nats­be­schlus­ses vom 29.11.2002 (V B 119/02). Da­nach reicht es als Leis­tungs­be­schrei­bung nicht aus, wenn über "hoch­prei­sige" Uh­ren und Armbänder mit Kauf­prei­sen von je­weils 5.000 DM und mehr mit bloßen Gat­tungs­be­zeich­nun­gen An­gabe "di­verse Arm­band­uh­ren" oder "di­verse Armbänder" ab­ge­rech­net wird. Die Iden­ti­fi­zie­rung der Lie­fe­rung des je­wei­li­gen Ge­gen­stands sei un­ter die­sen Umständen erst durch eine Ab­rech­nung un­ter Auf­zeich­nung der han­delsübli­chen Be­zeich­nung des Ge­gen­stands leicht und ein­wand­frei möglich, ins­be­son­dere dann, wenn in der Rech­nung nicht auf be­stimmte Lie­fer­scheine Be­zug ge­nom­men wird.

Ob die­sem Be­schluss ent­nom­men wer­den kann, dass im Han­del mit Wa­ren im Nied­rig­preis­seg­ment ge­ringe An­for­de­run­gen an die Leis­tungs­be­schrei­bung zu stel­len sind, er­scheint im Hin­blick dar­auf klärungs­bedürf­tig, dass die für den Vor­steu­er­ab­zug er­for­der­li­chen An­ga­ben nicht durch ihre Zahl oder ihre tech­ni­sche Kom­pli­ziert­heit die Ausübung des Rechts zum Vor­steu­er­ab­zug prak­ti­sch unmöglich ma­chen oder übermäßig er­schwe­ren dürfen (EuGH - Pe­troma Trans­ports u.a. vom 8.5.2013, C-271/12). Denn der Auf­wand für die Kon­kre­ti­sie­rung des Leis­tungs­ge­gen­stands in Rech­nun­gen könnte bei Großeinkäufen ver­schie­de­ner Wa­ren und ge­rin­gen Stück­prei­sen un­verhält­nismäßig er­schei­nen.

Ernst­li­che Zwei­fel an der Rechtmäßig­keit ei­nes Ver­wal­tungs­ak­tes können sich schließlich auch aus einem mögli­chen Ver­stoß des Steu­er­ge­set­zes ge­gen eine uni­ons­recht­li­che Be­stim­mung er­ge­ben (vgl. BFH-Be­schlüsse vom 12.12.2013, XI B 88/13; vom 30.11.2000, V B 187/00). Im Streit­fall könnte sich ein Ver­stoß ge­gen das Uni­ons­recht dar­aus er­ge­ben, dass das na­tio­nale Recht hin­sicht­lich der Art des Ge­gen­stands des­sen "han­delsübli­che Be­zeich­nung" er­for­dert, während das Uni­ons­recht sich mit der "Art der ge­lie­fer­ten Ge­genstände" begnügt (Art. 226 Nr. 6 MwSt­Sys­tRL). Es ist da­her klärungs­bedürf­tig, ob der na­tio­nale Ge­setz­ge­ber mit dem Klam­mer­zu­satz auf die han­delsübli­che Be­zeich­nung über die Vor­ga­ben des Uni­ons­rechts hin­aus­geht.


Link­hin­weis:

 

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