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Zur Entgeltvereinnahmung im Insolvenzeröffnungsverfahren

BFH v. 26.5.2020 - V R 2/20

Ord­net das In­sol­venz­ge­richt gem. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 InsO an, dass Verfügun­gen des In­sol­venz­schuld­ners nur mit Zu­stim­mung des vorläufi­gen In­sol­venz­ver­wal­ters wirk­sam sind, wer­den Dritt­schuld­ner aus Leis­tun­gen an den In­sol­venz­schuld­ner gem. § 24 Abs. 1 InsO nur un­ter den Vor­aus­set­zun­gen des § 82 InsO be­freit. Hat der Dritt­schuld­ner man­gels Schuld­be­frei­ung noch­mals an den Ver­wal­ter im Eröff­nungs­ver­fah­ren oder im eröff­ne­ten Ver­fah­ren zu zah­len, ent­steht eine Mas­se­ver­bind­lich­keit nach § 55 Abs. 1 oder Abs. 4 InsO.

Der Sach­ver­halt:
Auf­grund ei­nes von einem Gläubi­ger ge­stell­ten In­sol­venz­an­trags be­stellte das zuständige In­sol­venz­ge­richt Rechts­an­walt R zum vorläufi­gen In­sol­venz­ver­wal­ter über das Vermögen des In­sol­venz­schuld­ners. Das In­sol­venz­ge­richt ord­nete auch an, dass Verfügun­gen des In­sol­venz­schuld­ners nur mit Zu­stim­mung des vorläufi­gen In­sol­venz­ver­wal­ters wirk­sam sind. Er wurde ermäch­tigt, For­de­run­gen auf ein Treu­hand­konto ein­zu­zie­hen. Gem. § 22 Abs. 2 InsO sollte das Un­ter­neh­men des In­sol­venz­schuld­ners bis zur Ent­schei­dung über die Eröff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens fort­geführt wer­den, so­weit nicht das In­sol­venz­ge­richt ei­ner Still­le­gung zu­stimmt, um eine er­heb­li­che Ver­min­de­rung des Vermögens zu ver­mei­den. R zeigte ge­genüber dem In­sol­venz­ge­richt eine In­ter­es­sen­kol­li­sion an, wor­auf die­ses den Kläger zum vorläufi­gen In­sol­venz­ver­wal­ter be­stellte.

Der In­sol­venz­schuld­ner verfügte über ein Gi­ro­konto bei der B-Bank. Auf die­sem Konto wur­den am 22.6.2016 eine Über­wei­sung i.H.v. rd. 450 € so­wie am 28.6.2016 Über­wei­sun­gen i.H.v. rd. 360 €, 4.400 € so­wie 240 € gut­ge­schrie­ben. Den Be­schluss über die An­ord­nung der vorläufi­gen In­sol­venz­ver­wal­tung über­mit­telte der Kläger der B-Bank am 28.6.2016 um 08:53 Uhr. Am 30.6.2016 er­stellte der Kläger ein In­sol­venz­gut­ach­ten, das auf Be­spre­chun­gen mit dem In­sol­venz­schuld­ner am 22., 26. und 29.6.2016 be­ruhte. Der In­sol­venz­schuld­ner habe zwi­schen dem 26.6.2016 und 29.6.2016 te­le­fo­ni­sch mit­ge­teilt, dass auf dem B-Bank­konto eine Zah­lung ei­nes Auf­trag­ge­bers von 3.000 € ein­ge­hen werde. Am 1.7.2016 wurde das In­sol­venz­ver­fah­ren eröff­net und der Kläger zum In­sol­venz­ver­wal­ter be­stellt.

Das Fi­nanz­amt setzte die Um­satz­steuer-Vor­aus­zah­lung für den Vor­an­mel­dungs­zeit­raum Juni 2016 ge­genüber dem Kläger auf rd. 1.600 € fest und legte hier­bei steu­er­pflich­tige Umsätze i.H.v. 8.570 € zu Grunde. Darin wa­ren die Über­wei­sun­gen vom 28.6.2016 i.H.v. 360 € und 4.400 € ent­hal­ten. Da­ge­gen legte der Kläger Ein­spruch ein und be­gehrte die Her­ab­set­zung der Steuer auf rd. 890 €, da le­dig­lich die tatsäch­lich auf dem Treu­hand­konto ver­ein­nahm­ten For­de­run­gen Mas­se­ver­bind­lich­kei­ten auslösen könn­ten und da­mit der Fest­set­zung der Um­satzteuer zu Grunde zu le­gen seien. Die vom In­sol­venz­schuld­ner auf des­sen Konto ver­ein­nahm­ten Beträge seien hin­ge­gen erst nach In­sol­ven­zeröff­nung und nicht in vol­ler Höhe auf dem Treu­hand­konto ein­ge­gan­gen. Nach Vor­lage von Kon­to­auszügen des In­sol­venz­schuld­ners wur­den dem Fi­nanz­amt wei­tere Zah­lungs­eingänge be­kannt. Da­her setzte es ab­wei­chend von der ein­ge­reich­ten Um­satz­steu­er­erklärung des Klägers für 2016 die Um­satz­steuer fest. In der Be­mes­sungs­grund­lage von rd. 10.500 € wur­den die Über­wei­sun­gen vom 22.6.2016 und 28.6.2016 berück­sich­tigt.

Das FG gab der hier­ge­gen ge­rich­te­ten Klage statt. Auf die Re­vi­sion des Fi­nanz­amts hob der BFH das Ur­teil auf und ver­wies die Sa­che zur an­der­wei­ti­gen Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das FG zurück.

Die Gründe:
Nach § 55 Abs. 4 InsO gel­ten Ver­bind­lich­kei­ten des In­sol­venz­schuld­ners aus dem Steu­er­schuld­verhält­nis, die von einem vorläufi­gen In­sol­venz­ver­wal­ter oder vom Schuld­ner mit Zu­stim­mung ei­nes vorläufi­gen In­sol­venz­ver­wal­ters begründet wor­den sind, nach Eröff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens als Mas­se­ver­bind­lich­keit. Ver­bind­lich­kei­ten nach § 55 Abs. 4 InsO wer­den nur im Rah­men der für den vorläufi­gen In­sol­venz­ver­wal­ter be­ste­hen­den recht­li­chen Be­fug­nisse begründet, was aus den zu § 55 Abs. 1 InsO be­ste­hen­den Zu­sam­menhängen ab­ge­lei­tet wer­den kann. Da­nach kommt es maßgeb­lich auf die Ent­gelt­ver­ein­nah­mung durch den vorläufi­gen In­sol­venz­ver­wal­ter, nicht aber auf die Leis­tungs­er­brin­gung oder auf eine "tatsäch­li­che" Zu­stim­mung des vorläufi­gen Ver­wal­ters zu ei­ner "fak­ti­schen" Un­ter­neh­mens­fortführung an.

Auf die­ser Grund­lage ist bei einem vorläufi­gen In­sol­venz­ver­wal­ter, der - wie hier - vom In­sol­venz­ge­richt zum For­de­rungs­ein­zug ermäch­tigt wurde, da­von aus­zu­ge­hen, dass der For­de­rungs­ein­zug im Rah­men der für den vorläufi­gen In­sol­venz­ver­wal­ter be­ste­hen­den recht­li­chen Be­fug­nisse er­folgt und dazu führt, dass um­satz­steu­er­recht­li­che Ver­bind­lich­kei­ten aus dem Steu­er­schuld­verhält­nis, die mit dem For­de­rungs­ein­zug im Zu­sam­men­hang ste­hen, zur Mas­se­ver­bind­lich­keit nach § 55 Abs. 4 InsO wer­den. Das Anknüpfen an die recht­li­chen Be­fug­nisse der in § 55 Abs. 1 und Abs. 4 InsO ge­nann­ten Ver­wal­ter führt nicht dazu, dass jeg­li­che Hand­lun­gen nach de­ren Be­stel­lung Mas­se­ver­bind­lich­kei­ten begründen. Maßgeb­lich ist viel­mehr, wie sie die ih­nen zu­ste­hen­den Be­fug­nisse ausüben. Wird eine zu um­satz­steu­er­pflich­ti­gen Leis­tun­gen führende Tätig­keit ohne Wis­sen und Zu­tun des In­sol­venz­ver­wal­ters ausgeübt und ge­lan­gen die Ent­gelte nicht zur Masse, ent­steht da­her keine Mas­se­ver­bind­lich­keit nach § 55 Abs. 1 InsO. Des­halb kommt es bei § 55 Abs. 4 InsO dar­auf an, ob der vorläufige In­sol­venz­ver­wal­ter das Ent­gelt ver­ein­nahmt. Es reicht nicht aus, wenn der In­sol­venz­schuld­ner das Ent­gelt ohne Zu­stim­mung des vorläufi­gen In­sol­venz­ver­wal­ters ver­ein­nahmt hat.

Im Streit­fall ist das FG zu Un­recht da­von aus­ge­gan­gen, die Dritt­schuld­ner hätten die Beträge, um die es im Streit­fall ging, auf das B-Bank­konto schuld­be­frei­end über­wie­sen. Ord­net das In­sol­venz­ge­richt gem. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 InsO an, dass Verfügun­gen des In­sol­venz­schuld­ners nur mit Zu­stim­mung des vorläufi­gen In­sol­venz­ver­wal­ters wirk­sam sind, wer­den Dritt­schuld­ner aus Leis­tun­gen an den In­sol­venz­schuld­ner nur dann gem. § 24 Abs. 1 i.V.m. § 82 InsO be­freit, wenn sie zur Zeit der Leis­tung die Eröff­nung des Ver­fah­rens nicht kann­ten. Dies ist im In­sol­ven­zeröff­nungs­ver­fah­ren für beide Fälle des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO zu be­ach­ten. Hat der Dritt­schuld­ner man­gels Schuld­be­frei­ung noch­mals an den Ver­wal­ter im Eröff­nungs­ver­fah­ren oder im eröff­ne­ten Ver­fah­ren zu zah­len, ent­steht eine Mas­se­ver­bind­lich­keit nach § 55 Abs. 1 oder Abs. 4 InsO.

Da­mit nicht ver­ein­bar war die An­nahme des FG, dass die durch das In­sol­venz­ge­richt vor­ge­nom­mene Ermäch­ti­gung des Klägers, als vorläufi­ger In­sol­venz­ver­wal­ter For­de­run­gen des In­sol­venz­schuld­ners ein­zu­zie­hen, das Recht des In­sol­venz­schuld­ners, sei­ner­seits For­de­run­gen ein­zu­zie­hen, nicht un­mit­tel­bar berührt habe, da das In­sol­venz­ge­richt kein Ver­bot ge­genüber Dritt­schuld­nern aus­ge­spro­chen hatte, an den In­sol­venz­schuld­ner zu zah­len. Das FG hat da­bei nicht berück­sich­tigt, dass sich die Schuld­be­frei­ung des Dritt­schuld­ners nicht erst aus einem in­sol­venz­ge­richt­li­chen Ver­bot er­gibt, das sich an Dritt­schuld­ner rich­tet und die­sen ver­bie­tet, an den In­sol­venz­schuld­ner zu zah­len, son­dern be­reits un­mit­tel­bar aus § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 i.V.m. § 24 Abs. 1 und § 82 InsO folgt. Da­nach wird der Leis­tende nur frei, wenn er zur Zeit der Leis­tung die An­ord­nung der Verfügungs­be­schränkun­gen nicht kannte. Grob fahrlässige Un­kennt­nis von der Verfügungs­be­schränkung oder Kennt­nis von ei­ner Zah­lungs­ein­stel­lung oder ei­nes sons­ti­gen Eröff­nungs­grun­des rei­chen nicht aus.

Es kommt nicht dar­auf an, ob das Ge­leis­tete in die In­sol­venz­masse ge­langt ist. Hat er vor der öff­ent­li­chen Be­kannt­ma­chung der Verfügungs­be­schränkun­gen ge­leis­tet, wird nach § 82 Satz 2 InsO ver­mu­tet, dass er die Verfügungs­be­schränkun­gen nicht kannte. Bei ei­ner Leis­tung vor der öff­ent­li­chen Be­kannt­ma­chung der Verfügungs­be­schränkun­gen hat der vorläufige In­sol­venz­ver­wal­ter zu be­wei­sen, dass dem Leis­ten­den die An­ord­nung be­kannt war. Ist da­ge­gen die Leis­tung nach Be­kannt­ma­chung er­folgt, hat der Leis­tende zu be­wei­sen, dass ihm die An­ord­nung der Verfügungs­be­schränkun­gen un­be­kannt war. Die Sa­che war nach all­dem zur wei­te­ren Sach­ver­halts­er­mitt­lung und er­neu­ten Ent­schei­dung an das FG zurück­zu­ver­wei­sen. Im zwei­ten Rechts­gang sind wei­tere Fest­stel­lun­gen dazu zu tref­fen, ob die Zah­lungs­vorgänge im Juni 2016 nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 i.V.m. § 24 Abs. 1 und § 82 InsO ge­genüber der späte­ren In­sol­venz­masse mit schuld­be­frei­en­der Wir­kung er­folg­ten und ob, falls dies zu ver­nei­nen sein sollte, der In­sol­venz­ver­wal­ter man­gels der­ar­ti­ger Wir­kung eine zweite Zah­lung in die Masse ver­lan­gen konnte und ver­wirk­licht hat.

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