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Pfändung der Corona-Soforthilfe ist unzulässig

BFH v. 9.7.2020 - VII S 23/20

Zweck­bin­dung um eine nach § 851 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 399 Al­ter­na­tive 1 BGB re­gelmäßig nicht pfänd­bare For­de­rung. Den Ge­rich­ten ist es nicht ver­wehrt, zur Be­ur­tei­lung der Zweck­bin­dung der Corona-So­fort­hilfe die Pro­gramme des Bun­des und der Länder oder an­dere Be­stim­mun­gen her­an­zu­zie­hen.

Der Sach­ver­halt:
Der An­trags­geg­ner be­treibt einen Haus­meis­ter­ser­vice. Er un­terhält ein als Pfändungs­schutz­konto nach § 850k ZPO geführ­tes Konto bei der Spar­kasse. Im Hin­blick auf das Konto hatte das Fi­nanz­amt am 17.4.2019 eine Pfändungs- und Ein­zie­hungs­verfügung über eine Ge­samt­for­de­rung von 9.075 € we­gen rückständi­ger Um­satz­steuer und Um­satz­steuer-Vor­aus­zah­lun­gen 2015 und rückständi­ger Verspätungs­zu­schläge zur Um­satz­steuer 2015 er­las­sen. Diese wurde der Spar­kasse am 23.4.2019 zu­ge­stellt. Mit der Dritt­schuld­ner­erklärung vom 30.4.2019 erklärte die Spar­kasse u.a., dass das Konto kein pfänd­ba­res Gut­ha­ben aus­weise und vor­ran­gige Pfändun­gen i.H.v. 823 € vorlägen.

Mit Be­scheid (Bil­lig­keits­zu­schuss) der Be­zirks­re­gie­rung vom 6.4.2020 wurde dem An­trags­geg­ner auf sei­nen An­trag vom sel­ben Tag gem. § 53 der Lan­des­haus­halts­ord­nung (LHO) i.V.m. dem Pro­gramm zur Gewährung von So­fort­hil­fen aus dem Bun­des­pro­gramm "Corona-So­fort­hil­fen für Kleinst­un­ter­neh­mer und Selbständige" und dem ergänzen­den Lan­des­pro­gramm "NRW-So­fort­hilfe 2020" eine So­fort­hilfe i.H.v. 9.000 € als ein­ma­lige Pau­schale be­wil­ligt.

Der Be­trag wurde am 8.4.2020 auf dem Konto des An­trags­geg­ners gut­ge­schrie­ben. Nach­dem sich die Spar­kasse ge­wei­gert hatte, ihm den Be­trag aus­zu­zah­len, be­an­tragte der An­trags­geg­ner mit Schrei­ben vom 15.5.2020 beim Fi­nanz­amt die Frei­gabe der Corona-So­fort­hilfe. Er benötige die Frei­ga­be­erklärung, um über das Geld, wel­ches zweck­ge­bun­den zur Überbrückung von Li­qui­ditätsengpässen aus­gelöst durch die Corona-Krise ver­wandt wer­den solle, verfügen zu können.

Das Fi­nanz­amt lehnte den An­trag auf vollständige Frei­gabe des sich auf dem Konto der­zeit und zukünf­tig be­find­li­chen Gut­ha­bens mit Be­scheid vom 20.5.2020 ab. Es bleibe dem An­trags­geg­ner un­be­nom­men, un­ter Er­brin­gung der er­for­der­li­chen Nach­weise (Kon­to­auszüge, Kos­ten­auf­stel­lun­gen etc.) einen An­trag auf Pfändungs­schutz nach § 319 AO i.V.m. §§ 850 ff. ZPO für be­stimmte Beträge zu stel­len.

Das FG gab dem An­trag auf einst­wei­lige Ein­stel­lung der Voll­stre­ckung nach § 258 AO statt. Der BFH hat den An­trag des Fi­nanz­am­tes auf Aus­set­zung der Voll­zie­hung (AdV) des Be­schlus­ses ab­ge­lehnt.

Gründe:
Bei sum­ma­ri­scher Be­trach­tung ist der Be­schluss des FG (Az.: 11 V 1541/20 AO) rechtmäßig, so dass zur AdV kein An­lass be­steht.

Das FG hat zu­tref­fend einen An­ord­nungs­an­spruch aus § 258 AO be­jaht, weil es sich bei der Corona-So­fort­hilfe um eine nach § 851 Abs. 1 ZPO nicht pfänd­bare For­de­rung han­delte und dem­zu­folge der ent­spre­chende Be­trag auf dem Konto des An­trags­geg­ners nicht pfänd­bar war. Die Corona-So­fort­hilfe ist aus­weis­lich der ihr zu­grun­de­lie­gen­den Be­stim­mun­gen als zweck­ge­bun­den ein­zu­stu­fen (so auch: FG Müns­ter, Be­schl. v. 13.5.2020 - 1 V 1286/20 AO, AG Pas­sau, Be­schl. v. 7.5.2020 - 4 M 1551/20, LG Köln, Be­schl. v. 23.4.2020 - 39 T 57/20). Den Ge­rich­ten ist es nicht ver­wehrt, zur Be­ur­tei­lung der Zweck­bin­dung der Corona-So­fort­hilfe die Pro­gramme des Bun­des und der Länder oder an­dere Be­stim­mun­gen her­an­zu­zie­hen.

Auch so­weit der An­trags­geg­ner nach 5.3. Abs. 3 NRW-So­fort­hilfe 2020 (MinBl Nord­rhein-West­fa­len 2020, S. 360) für sei­nen fik­ti­ven Un­ter­neh­mer­lohn 2.000 € an­set­zen darf, recht­fer­tigt dies nicht die An­nahme, dass es sich bei der Corona-So­fort­hilfe le­dig­lich um einen pfänd­ba­ren Lohn­er­satz han­delt, so dass die Pfändung und Ein­zie­hung der Corona-So­fort­hilfe zu­guns­ten des Fi­nanz­am­tes als Altgläubi­ger kei­nen recht­li­chen Be­den­ken be­geg­ne­ten. Die dar­ge­stellte Zweck­bin­dung ent­fiele im Übri­gen nicht (rück­wir­kend), wenn dem An­trags­geg­ner man­gels Vor­lie­gens der Bei­hil­fe­vor­aus­set­zun­gen diese Bei­hilfe nicht zustünde und er sie zurück­zah­len müsste.

Zwar kann eine For­de­rung trotz Zweck­ge­bun­den­heit pfänd­bar sein, wenn sie durch die Voll­stre­ckungsmaßnahme ih­rer Zweck­be­stim­mung zu­geführt wer­den soll. Im Streit­fall ist das Fi­nanz­amt je­doch nicht als sog. An­lassgläubi­ger an­zu­se­hen, dem die Voll­stre­ckung ge­stat­tet ge­we­sen wäre. Denn wie be­reits dar­ge­stellt, soll die Corona-So­fort­hilfe zur Kom­pen­sa­tion der un­mit­tel­bar durch die Corona-Pan­de­mie aus­gelösten Li­qui­ditätsengpässe die­nen. Der Pfändungs- und Ein­zie­hungs­verfügung la­gen je­doch Um­satz­steu­er­for­de­run­gen be­tref­fend das Jahr 2015 ein­schließlich Ne­ben­an­sprüchen zu­grunde. Des­halb be­steht kein Zu­sam­men­hang zu der durch die Corona-Pan­de­mie aus­gelösten Li­qui­ditäts­krise des An­trags­geg­ners.

Schließlich hat das FG zu­tref­fend einen An­ord­nungs­grund an­ge­nom­men. Be­gehrt ein Voll­stre­ckungs­schuld­ner die Ab­wehr von Voll­stre­ckungsmaßnah­men und be­ruft er sich da­bei auf § 258 AO, so be­steht ein An­ord­nungs­grund nur bei außer­gewöhn­li­chen Umständen, z.B. Exis­tenz­ver­nich­tung oder kon­kre­ter und un­mit­tel­ba­rer Ge­sund­heits­gefähr­dung. (Loose in Tipke/Kruse, Ab­ga­ben­ord­nung, Fi­nanz­ge­richts­ord­nung, § 114 FGO Rz 29). Diese Umstände müssen über die Nach­teile hin­aus­ge­hen, die im Re­gel­fall bei ei­ner Voll­stre­ckung zu er­war­ten sind. Hierzu hat das FG bei sum­ma­ri­scher Prüfung nach­voll­zieh­bar aus­geführt, dass der An­trags­geg­ner ohne die Corona-So­fort­hilfe die lau­fen­den Kos­ten sei­nes Ge­schäfts­be­triebs nicht be­frie­di­gen könne.

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