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EuGH: Nationale Regelungen dürfen Unwirksamkeit von auf missbräuchlichen Klauseln beruhenden Verträgen vorsehen

Urteil des EuGH vom 15.3.2012 - C-453/10

Na­tio­nale Rechts­vor­schrif­ten können vor­se­hen, dass ein Ver­trag zwi­schen einem Ver­brau­cher und einem Ge­wer­be­trei­ben­den, der eine missbräuch­li­che Klau­sel enthält, un­wirk­sam ist, wenn da­durch ein bes­se­rer Schutz des Ver­brau­chers gewähr­leis­tet wird. Auch wenn das Uni­ons­recht grundsätz­lich nur auf die Be­sei­ti­gung missbräuch­li­cher Klau­seln ab­zielt, ge­stat­tet es den Mit­glied­staa­ten gleich­wohl, ein höheres Ver­brau­cher­schutz­ni­veau vor­zu­se­hen.

Hin­ter­grund:
Die Richt­li­nie 93/131 sieht vor, dass missbräuch­li­che Klau­seln in einem Ver­trag, der zwi­schen einem Ver­brau­cher und einem Ge­wer­be­trei­ben­den nach des­sen Vor­ga­ben ge­schlos­sen wurde, für den Ver­brau­cher un­ver­bind­lich sind. Da­bei ist eine Ver­trags­klau­sel als missbräuch­lich an­zu­se­hen, wenn sie ent­ge­gen dem Ge­bot von Treu und Glau­ben zum Nach­teil des Ver­brau­chers ein er­heb­li­ches und un­ge­recht­fer­tig­tes Miss­verhält­nis der ver­trag­li­chen Rechte und Pflich­ten der Ver­trags­part­ner ver­ur­sacht. Ein Ver­trag, der eine sol­che Klau­sel enthält, bleibt je­doch für beide Par­teien bin­dend, wenn er ohne die Klau­sel be­ste­hen kann.

Der Sach­ver­halt:
Die Kläger nah­men bei der be­klag­ten slo­wa­ki­schen SOS fi­nanc, die kein Kre­dit­in­sti­tut ist, aber Ver­brau­cher­kre­dit­verträge auf der Grund­lage von Stan­dard­for­mu­lar­verträgen gewährt, einen Kre­dit i.H.v. rs. 150.000 SKK (4.979 €) auf. Nach dem Kre­dit­ver­trag ist der Kre­dit in 32 Mo­nats­ra­ten von je 6.000 SKK (199 €) zzgl. ei­ner 33. Mo­nats­rate in Höhe des be­wil­lig­ten Kre­dits zurück­zu­zah­len. Die Kre­dit­neh­mer sind so­mit ver­pflich­tet, einen Be­trag von 342.000 SKK (11.352 €) zurück­zu­zah­len.

Der ef­fek­tive Jah­res­zins des Kre­dits, d.h. die Summe der mit ihm ver­bun­de­nen und vom Ver­brau­cher zu tra­gen­den Kos­ten, wurde in die­sem Ver­trag mit 48,63 Pro­zent an­ge­setzt, während er nach Be­rech­nung des slo­wa­ki­schen Ge­richts, das den EuGH be­fragt, in Wirk­lich­keit 58,76 Pro­zent beträgt. Die Kläger er­ho­ben beim Be­zirks­ge­richt Prešov, Slo­wa­kei, Klage auf Fest­stel­lung, dass ihr Kre­dit­ver­trag meh­rere missbräuch­li­che Klau­seln wie die un­ge­naue An­gabe des ef­fek­ti­ven Jah­res­zin­ses enthält; fer­ner be­an­tra­gen sie, die Un­wirk­sam­keit des ge­sam­ten Ver­trags fest­zu­stel­len.

Das slo­wa­ki­sche Ge­richt möchte vom EuGH wis­sen, ob die Richt­li­nie es ihm er­laubt, die Un­wirk­sam­keit ei­nes Ver­brau­cher­ver­trags, der missbräuch­li­che Klau­seln enthält, fest­zu­stel­len, wenn eine sol­che Lösung für den Ver­brau­cher güns­ti­ger wäre. Nach sei­nen Ausführun­gen müss­ten die be­trof­fe­nen Ver­brau­cher im Fall der Fest­stel­lung der Un­wirk­sam­keit nämlich nur die Ver­zugs­zin­sen i.H.v. 9 Pro­zent und nicht die ge­sam­ten Kos­ten des be­wil­lig­ten Kre­dits zah­len.

Die Gründe:
Ziel der Richt­li­nie ist es, missbräuch­li­che Klau­seln in Ver­brau­cher­verträgen zu be­sei­ti­gen, und da­bei - so­weit möglich - die Wirk­sam­keit des Ver­trags in sei­ner Ge­samt­heit auf­recht­zu­er­hal­ten, nicht aber darin, sämt­li­che Verträge, die sol­che Klau­seln ent­hal­ten, für nich­tig zu erklären. Es ist dem­nach nicht zulässig, bei der Be­ur­tei­lung der Frage, ob ein Ver­trag, der eine oder meh­rere missbräuch­li­che Klau­seln enthält, ohne diese Klau­seln be­ste­hen kann, aus­schließlich die Vor­teil­haf­tig­keit der Nich­ti­gerklärung des ge­sam­ten Ver­trags für den Ver­brau­cher zu berück­sich­ti­gen.

Al­ler­dings nimmt die Richt­li­nie nur eine teil­weise und mi­ni­male Har­mo­ni­sie­rung der na­tio­na­len Rechts­vor­schrif­ten in Be­zug auf missbräuch­li­che Klau­seln vor und stellt es den Mit­glied­staa­ten frei, für den Ver­brau­cher ein höheres als das von ihr vor­ge­se­hene Schutz­ni­veau zu gewähr­leis­ten. Folg­lich hin­dert die Richt­li­nie einen Mit­glied­staat nicht daran, im Ein­klang mit dem Uni­ons­recht eine na­tio­nale Re­ge­lung vor­zu­se­hen, die es er­laubt, einen Ver­trag, den ein Ge­wer­be­trei­ben­der mit einem Ver­brau­cher ge­schlos­sen hat und der eine oder meh­rere missbräuch­li­che Klau­seln enthält, in sei­ner Ge­samt­heit für nich­tig zu erklären, wenn sich er­weist, dass da­durch ein bes­se­rer Schutz des Ver­brau­chers gewähr­leis­tet wird.

Darüber hin­aus war fest­zu­stel­len, dass eine Ge­schäfts­pra­xis, die darin be­steht, in einem Kre­dit­ver­trag einen ge­rin­ge­ren als den rea­len ef­fek­ti­ven Jah­res­zins an­zu­ge­ben, eine fal­sche An­gabe der Ge­samt­kos­ten des Kre­dits dar­stellt, die als ir­reführende Ge­schäfts­pra­xis im Sinne der Richt­li­nie über un­lau­tere Ge­schäfts­prak­ti­ken ein­zu­stu­fen ist - vor­aus­ge­setzt, diese An­gabe ver­an­lasst den Durch­schnitts­ver­brau­cher tatsäch­lich oder vor­aus­sicht­lich zu ei­ner ge­schäft­li­chen Ent­schei­dung, die er an­sons­ten nicht ge­trof­fen hätte.

Nach An­sicht des EuGH kann die­ser Um­stand ne­ben an­de­ren berück­sich­tigt wer­den, um den missbräuch­li­chen Cha­rak­ter der Klau­seln ei­nes Ver­trags gemäß der Richt­li­nie über missbräuch­li­che Klau­seln fest­zu­stel­len; er ist aber nicht ge­eig­net, au­to­ma­ti­sch und für sich al­lein den missbräuch­li­chen Cha­rak­ter die­ser Klau­seln zu begründen. Vor ei­ner Ent­schei­dung über die Ein­stu­fung der frag­li­chen Klau­seln sind nämlich alle Umstände des kon­kre­ten Falls zu prüfen. Ebenso hat die Fest­stel­lung des un­lau­te­ren Cha­rak­ters ei­ner Ge­schäfts­pra­xis keine un­mit­tel­ba­ren Aus­wir­kun­gen auf die Frage, ob der Ver­trag in sei­ner Ge­samt­heit wirk­sam ist.

Link­hin­weis:

Für den auf den Web­sei­ten des EuGH veröff­ent­lich­ten Voll­text der Ent­schei­dung kli­cken Sie bitte hier.

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