Schließlich haben sich Bund und Länder 22.3.2020 auf ein bundesweites Kontaktverbot verständigt. Danach werden Ansammlungen von mehr als zwei Personen in ganz Deutschland verboten. Es ist davon auszugehen, dass die Beschränkungen von Veranstaltungen mit größerer Personenzahl noch einige Wochen dauern dürften.
Vor diesem Hintergrund ist die Abhaltung der diesjährigen ordentlichen Hauptversammlungen im Frühjahr dieses Jahres nach noch geltender Gesetzeslage faktisch ausgeschlossen.
Im Eilverfahren wurde mit dem Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht, das am 25.3.2020 den Bundestag und am 27.3.2020 den Bundesrat passierte, eine Aktienrechtsnovelle vorgenommen, um die Durchführbarkeit der diesjährigen ordentlichen Hauptversammlungen vor dem Hintergrund der Einschränkungen der Versammlungsmöglichkeiten zu ermöglichen. Der Bundespräsident hat das Gesetz am 27.3.2020 ausgefertigt. Es wurde am 27.3.2020 im Bundesgesetzblatt verkündet. In Kraft getreten sind die nachfolgend dargestellten Gesetzesänderungen am Tag nach der Verkündung. Mit Ablauf des 31. Dezember 2021 treten diese wieder außer Kraft.
Bereits einberufene Hauptversammlungen während bestehender Veranstaltungsverbote
Fällt eine bereits einberufene Hauptversammlung in den Zeitraum der derzeit bestehenden Veranstaltungsverbote wegen der Eindämmung der Ausbreitung von COVID-19, ist sie abzusagen. Eine Absage ist grundsätzlich möglich, wenn sie vor Beginn der Hauptversammlung (BGH, Urt. v. 30.6.2015 – II ZR 142/14, ZGR 2015, 1227) erfolgt. Die Absage muss durch das einberufende Organ erfolgen, in der Regel also durch den Vorstand.
Hauptversammlungen, die für Ende April einberufen wurden, können schon von der neuen Gesetzeslage profitieren. Dann müsste die bereits eingeladene Hauptversammlung zwar wieder ausgeladen werden, es kann aber fristgemäß erneut eingeladen werden, ohne den Termin verschieben zu müssen.
Mit der Gesetzesänderung kann die Gesellschaft die Hauptversammlung nämlich mit einer verkürzten Einladungsfrist einberufen. Sie ist dann am 21. Tag vor dem Tag der Versammlung einzuberufen. Dabei ist davon auszugehen, dass sich die Frist weiterhin um die satzungsmäßige Anmeldefrist verlängert.
Da aller Voraussicht nach Ende April noch keine Präsenzveranstaltung stattfinden kann, müsste die Gesellschaft zudem von der neu eingeräumten Möglichkeit Gebrauch machen, die Hauptversammlung ohne physische Präsenz von Aktionären oder Bevollmächtigten abzuhalten. Diese Möglichkeit wird - auch ohne entsprechende Satzungsermächtigung - eröffnet, wenn
- die Bild- und Tonübertragung der gesamten Hauptversammlung erfolgt,
- die Stimmrechtsausübung der Aktionäre über elektronische Kommunikation (Briefwahl oder elektronische Teilnahme) sowie Vollmachtserteilung möglich ist,
- den Aktionären eine Fragemöglichkeit im Wege der elektronischen Kommunikation eingeräumt wird und die Beantwortung der Fragen nach pflichtgemäßem Ermessen erfolgt, und
- den Aktionären unter Verzicht auf das Erfordernis des Erscheinens in der Hauptversammlung eine Möglichkeit zum Widerspruch gegen einen Beschluss der Hauptversammlung eingeräumt wird.
Damit wird für die Aktiengesellschaft erstmals die Möglichkeit geschaffen, eine vollständig virtuelle Hauptversammlung ohne physische Präsenz der Aktionäre abzuhalten, wobei das Gesetz auch hinsichtlich der Beteiligungsmöglichkeiten für Aktionäre Unterschiede zur üblichen Präsenzversammlung vorsieht.
Die Beantwortung der Fragen durch den Vorstand kann in Abweichung von § 131 AktG nach pflichtgemäßem Ermessen ausgeübt werden, so dass beispielsweise Fragen dergestalt zusammengefasst werden können, dass im Interesse anderer Aktionäre sinnvolle Fragen ausgewählt bzw. institutionelle Investoren mit bedeutenden Stimmanteilen bevorzugt werden.
Zur besseren Vorbereitung kann der Vorstand zudem entscheiden, dass Fragen durch angemeldete Aktionäre bis spätestens zwei Tage vor der Hauptversammlung elektronisch – beispielsweise an eine hierfür angegebene E-Mail-Adresse – eingereicht werden.
Sofern Unternehmen die präsenzlose Hauptversammlung in Betracht ziehen, sollten sie sich frühzeitig die Dienste von entsprechenden Online-Anbietern sichern.
Hinweis: Ist trotz der neuen Möglichkeiten eine Corona-bedingte Absage einer bereits einberufenen Hauptversammlung erforderlich, ist dies grundsätzlich eine ad-hoc meldepflichtige Tatsache, die unverzüglich zu veröffentlichen ist. Die Verschiebung der Hauptversammlung bedeutet zudem ein Aufschieben der ggf. bereits angekündigten Dividendenzahlung, die erst nach einem Beschluss der Hauptversammlung ausgezahlt werden kann.
Später anberaumte Hauptversammlungen
Liegt die bereits einberufene Hauptversammlung außerhalb des Zeitraums der derzeit angeordneten Versammlungsverbote, ist es aber unwahrscheinlich, dass eine Durchführung bis dahin wieder möglich ist, kann sie nach ordnungsgemäßem Ermessen des Vorstands abgesagt oder entsprechend der neuen Möglichkeiten neu einberufen werden.
Hinweis: Da derzeit nicht absehbar ist, ob die Versammlungsverbote verlängert werden, sollten unternehmensintern mit einer Absage oder Umladung gerechnet und frühzeitig entsprechende Vorkehrungen getroffen werden. Ist bereits offenkundig, dass eine solche Hauptversammlung nicht stattfinden kann, sollte nicht mit Zuwarten versucht werden, eine Ad-hoc Mitteilung zu verhindern oder zu verschieben.
Ersatztermin
Mit der Absage der Hauptversammlung kann grundsätzlich der Zeitrahmen für einen Ersatztermin genannt werden. Dies dürfte jedoch unter den derzeitigen Umständen nicht seriös darstellbar sein. Entsprechende Äußerungen, die später nicht eingehalten werden können, können sich nachteilig auf das Unternehmensimage auswirken.
Noch nicht einberufene Hauptversammlungen
Das neue Gesetz sieht eine Verlängerung der in § 175 Absatz 1 Satz 2 AktG normieren Acht-Monatsfrist zur Durchführung der Hauptversammlung um vier Monate vor.
Unklar ist, ob selbst die verlängerte Frist in diesem Jahr angesichts der Corona-Krise für alle noch nicht einberufenen Hauptversammlungen eingehalten werden kann. Das Überschreiten der Frist zur Einberufung einer Hauptversammlung berührt die Rechtswirksamkeit der zu spät gefassten Hauptversammlungsbeschlüsse nicht. Ruft der Vorstand schuldhaft eine Hauptversammlung nicht rechtzeitig ein, drohen Haftungsrisiken, wie bspw. Zwangsgeldverfahren, Schadenersatzansprüche oder eine Sanktionierung des Vorstandes durch den Aufsichtsrat.
Erfolgt die verspätete Einberufung aufgrund der Corona-Krise, kann eine Verschiebung - selbst über das Geschäftsjahr hinaus - nach pflichtgemäßem Ermessen des Vorstandes erforderlich sein, wenn die Corona-Krise noch sehr lange andauern sollte und eine (geänderte) Terminierung fristgerecht nicht möglich ist. In diesem Fall trifft den Vorstand kein Verschulden.
Hinweis: Zumindest für die größeren Hauptversammlungen wird es voraussichtlich nicht möglich sein, nach Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes genügend geeignete Veranstaltungsorte bis zum 31.12.2020 zu finden, so dass zu erwägen ist, von der neuen Möglichkeit Gebrauch zu machen, die Versammlung ohne Präsenz der Aktionäre stattfinden zu lassen.
Sofern dies nicht möglich ist, läuft der Vorstand insoweit ggf. sehenden Auges in eine formelle Pflichtverletzung. Es empfiehlt sich, trotz der derzeit offenkundigen Gründe vorsorglich die Grundlagen der Entscheidungsfindung und die getroffenen Abwägungen ausreichend zu dokumentieren.
Hauptversammlungsbeschlüsse
Sollte eine Hauptversammlung verschoben werden, werden neben dem Beschluss über die Verwendung des Bilanzgewinns - insoweit ist es nun möglich, dass ohne Satzungsermächtigung ein Abschlag auf den Bilanzgewinn nach Maßgabe von § 59 Abs. 2 AktG an die Aktionäre gezahlt werden kann - auch andere Beschlüsse tangiert oder unmöglich gemacht.
Bei Zustimmungen zu Maßnahmen mit steuerlicher Rückwirkung kann es dazu kommen, dass der Achtmonatszeitraum in § 17 Abs. 2 S. 4 UmwG, der auf zwölf Monate verlängert wurde, verstreicht.
Nur in Einzelfällen wird es möglich sein, vorgesehene Hauptversammlungsbeschlüsse gerichtlich zu ersetzen. Dies dürfte etwa für die Bestellung des Abschlussprüfers nach Ablauf des Geschäftsjahres möglich sein.