Im Eilverfahren wurde mit dem Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht, das am 25.03.2020 den Bundestag und am 27.03.2020 den Bundesrat passierte, eine Aktienrechtsnovelle vorgenommen, um die Durchführbarkeit der ordentlichen Hauptversammlungen in 2020 vor dem Hintergrund der Einschränkungen der Versammlungsmöglichkeiten zu ermöglichen. Das Gesetz wurde am 27.03.2020 im Bundesgesetzblatt verkündet und trat damit in Kraft. Mit Ablauf des 31.12.2021 sollte es wieder außer Kraft treten. Die Anwendbarkeit der Regelungen wurde jedoch mit einer Verordnung (GesRGenCOVMVV vom 20.10.2020) bis 31.12.2021 verlängert.
Bereits einberufene Hauptversammlungen während bestehender Veranstaltungsverbote
Fällt eine bereits einberufene Hauptversammlung in den Zeitraum bestehender Veranstaltungsverbote wegen der Eindämmung der Ausbreitung von COVID-19, ist sie abzusagen. Eine Absage ist grundsätzlich möglich, wenn sie vor Beginn der Hauptversammlung (BGH, Urt. v. 30.06.2015 – II ZR 142/14, ZGR 2015, 1227) erfolgt. Die Absage muss durch das einberufende Organ erfolgen, in der Regel also durch den Vorstand.
Eine bereits eingeladene Hauptversammlung müsste ausgeladen werden, und erneut eingeladen werden. Nach einer Gesetzesänderung kann die Gesellschaft die Hauptversammlung dabei mit einer verkürzten Einladungsfrist einberufen. Sie ist dann am 21. Tag vor dem Tag der Versammlung einzuberufen. Dabei ist davon auszugehen, dass sich die Frist weiterhin um die satzungsmäßige Anmeldefrist verlängert.
Mit dem Gesetz wurde die Möglichkeiteingeräumt, die Hauptversammlung ohne physische Präsenz von Aktionären oder Bevollmächtigten abzuhalten. Hiervon kann auch ohne entsprechende Satzungsermächtigung Gebrauch gemacht werden, wenn
- die Bild- und Tonübertragung der gesamten Hauptversammlung erfolgt,
- die Stimmrechtsausübung der Aktionäre über elektronische Kommunikation (Briefwahl oder elektronische Teilnahme) sowie Vollmachtserteilung möglich ist,
- den Aktionären eine Fragemöglichkeit im Wege der elektronischen Kommunikation eingeräumt wird und die Beantwortung der Fragen nach pflichtgemäßem Ermessen erfolgt, und
- den Aktionären unter Verzicht auf das Erfordernis des Erscheinens in der Hauptversammlung eine Möglichkeit zum Widerspruch gegen einen Beschluss der Hauptversammlung eingeräumt wird.
Damit wurde für die Aktiengesellschaft zeitlich befristet die Möglichkeit geschaffen, eine vollständig virtuelle Hauptversammlung ohne physische Präsenz der Aktionäre abzuhalten, wobei das Gesetz auch hinsichtlich der Beteiligungsmöglichkeiten für Aktionäre Unterschiede zur üblichen Präsenzversammlung vorsieht.
Die Beantwortung der Fragen durch den Vorstand kann in Abweichung von § 131 AktG nach pflichtgemäßem Ermessen ausgeübt werden, so dass beispielsweise Fragen dergestalt zusammengefasst werden können, dass im Interesse anderer Aktionäre sinnvolle Fragen ausgewählt bzw. institutionelle Investoren mit bedeutenden Stimmanteilen bevorzugt werden.
Zur besseren Vorbereitung kann der Vorstand zudem entscheiden, dass Fragen durch angemeldete Aktionäre bis spätestens zwei Tage vor der Hauptversammlung elektronisch – beispielsweise an eine hierfür angegebene E-Mail-Adresse – eingereicht werden.
Sofern Unternehmen die präsenzlose Hauptversammlung in Betracht ziehen, sollten sie sich frühzeitig die Dienste von entsprechenden Online-Anbietern sichern.
Hinweis: Ist trotz der neuen Möglichkeiten eine Corona-bedingte Absage einer bereits einberufenen Hauptversammlung erforderlich, ist dies grundsätzlich eine ad-hoc meldepflichtige Tatsache, die unverzüglich zu veröffentlichen ist. Die Verschiebung der Hauptversammlung bedeutet zudem ein Aufschieben der ggf. bereits angekündigten Dividendenzahlung, die erst nach einem Beschluss der Hauptversammlung ausgezahlt werden kann.
Später anberaumte Hauptversammlungen
Liegt die bereits einberufene Hauptversammlung außerhalb des Zeitraums von angeordneten Versammlungsverbote, ist es aber unwahrscheinlich, dass eine Durchführung bis dahin wieder möglich ist, kann sie nach ordnungsgemäßem Ermessen des Vorstands abgesagt oder entsprechend der neuen Möglichkeiten neu einberufen werden.
Hinweis: Zwar sind derzeit Versammlungsverbote aufgehoben. Da aber nicht auszuschließen ist, dass diese wieder eingeführt werden könnten, sollten unternehmensintern mit einer etwaigen Absage oder Umladung gerechnet und frühzeitig entsprechende Vorkehrungen getroffen werden. Ist bereits abzusehen, dass eine solche Hauptversammlung nicht stattfinden kann, sollte nicht mit Zuwarten versucht werden, eine Ad-hoc Mitteilung zu verhindern oder zu verschieben.
Ersatztermin
Mit der Absage der Hauptversammlung kann grundsätzlich der Zeitrahmen für einen Ersatztermin genannt werden. Entsprechende Äußerungen sollten allerdings nur getroffen werden, wenn zu erwarten ist, dass diese später eingehalten werden können. Andernfalls könnte sich dies nachteilig auf das Unternehmensimage auswirken.
Noch nicht einberufene Hauptversammlungen
Die zeitlich befristete Modifikation des Gesetzes sieht eine Verlängerung der in § 175 Absatz 1 Satz 2 AktG normieren Acht-Monatsfrist zur Durchführung der Hauptversammlung um vier Monate vor.
Das Überschreiten der Frist zur Einberufung einer Hauptversammlung berührt die Rechtswirksamkeit der zu spät gefassten Hauptversammlungsbeschlüsse nicht. Ruft der Vorstand schuldhaft eine Hauptversammlung nicht rechtzeitig ein, drohen Haftungsrisiken, wie bspw. Zwangsgeldverfahren, Schadenersatzansprüche oder eine Sanktionierung des Vorstandes durch den Aufsichtsrat.
Erfolgt die verspätete Einberufung aufgrund der Corona-Krise, kann eine Verschiebung - selbst über das Geschäftsjahr hinaus - nach pflichtgemäßem Ermessen des Vorstandes erforderlich sein, wenn die Corona-Krise noch sehr lange andauern sollte und eine (geänderte) Terminierung fristgerecht nicht möglich ist. In diesem Fall trifft den Vorstand kein Verschulden.
Hauptversammlungsbeschlüsse
Sollte eine Hauptversammlung verschoben werden, werden neben dem Beschluss über die Verwendung des Bilanzgewinns - insoweit ist es nun möglich, dass ohne Satzungsermächtigung ein Abschlag auf den Bilanzgewinn nach Maßgabe von § 59 Abs. 2 AktG an die Aktionäre gezahlt werden kann - auch andere Beschlüsse tangiert oder unmöglich gemacht.
Bei Zustimmungen zu Maßnahmen mit steuerlicher Rückwirkung kann es dazu kommen, dass der Achtmonatszeitraum in § 17 Abs. 2 S. 4 UmwG, der auf zwölf Monate verlängert wurde, verstreicht.
Nur in Einzelfällen wird es möglich sein, vorgesehene Hauptversammlungsbeschlüsse gerichtlich zu ersetzen. Dies dürfte etwa für die Bestellung des Abschlussprüfers nach Ablauf des Geschäftsjahres möglich sein.