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BGH zum Merkmal der gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnis als Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Heilmittelwerbung

Urteil des BGH vom 6. Februar 2013 - I ZR 62/11
Die Par­teien ver­trei­ben Arz­nei­mit­tel zur Be­hand­lung von Dia­be­tes mel­li­tus, die auf un­ter­schied­li­chen Wirk­stof­fen be­ru­hen. Das Präpa­rat der Kläge­rin enthält den Wirk­stoff In­su­lin­glar­gin, das Präpa­rat der Be­klag­ten den Wirk­stoff In­su­lin­de­temir. Die Kläge­rin wen­det sich im Kern ge­gen die in einem Falt­blatt der Be­klag­ten ent­hal­tene Wer­be­aus­sage, wo­nach das von der Be­klag­ten ver­trie­bene Mit­tel ge­genüber dem Mit­tel, das den von der Kläge­rin ver­wand­ten Wirk­stoff enthält, zu ei­ner ge­rin­ge­ren Ge­wichts­zu­nahme führe. Da­bei wen­det sich ein Teil der Kla­ge­anträge da­ge­gen, dass sich die Be­klagte zum Be­leg ih­rer Wer­be­aus­sage kon­kret auf eine Stu­die gestützt hat. Ein an­de­rer Teil der Anträge rich­tet sich ge­gen die Wer­be­aus­sage ohne Be­zug­nahme auf eine Stu­die.
Die Kläge­rin steht auf dem Stand­punkt, die Stu­di­en­er­geb­nisse, auf die sich die Be­klagte stützt, seien wis­sen­schaft­lich nicht hin­rei­chend ge­si­chert. Die Wer­bung sei da­her ir­reführend.
Das Land­ge­richt Ber­lin hat die Klage ab­ge­wie­sen. Die da­ge­gen ein­ge­legte Be­ru­fung blieb ohne Er­folg. Die Wer­bung, so das Kam­mer­ge­richt, ver­stoße nicht ge­gen das Wett­be­werbs­recht, weil die Stu­di­en­er­geb­nisse, auf die sich die Wer­be­aus­sa­gen der Be­klag­ten stütz­ten, Ein­gang in die beim Zu­las­sungs­ver­fah­ren geprüfte Fach­in­for­ma­tion ge­fun­den hätten. Des­halb sei zu ver­mu­ten, dass der Ge­wichts­vor­teil, mit dem die Be­klagte ge­wor­ben hatte, dem wis­sen­schaft­lich ge­si­cher­ten Stand ent­spre­che. Diese Ver­mu­tung habe die Kläge­rin nicht wi­der­legt. Mit der vom Se­nat zu­ge­las­se­nen Re­vi­sion will die Kläge­rin die Ver­ur­tei­lung der Be­klag­ten er­rei­chen.
Auf die Re­vi­sion des Klägers hat der Bun­des­ge­richts­hof (BGH) das Be­ru­fungs­ur­teil teil­weise auf­ge­ho­ben und die Sa­che in­so­weit zur neuen Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das Kam­mer­ge­richt zurück­ver­wie­sen. Von der Auf­he­bung be­trof­fen sind die­je­ni­gen Anträge, die sich ge­gen die durch Be­zug­nahme auf eine Stu­die be­legte Wer­bung mit einem Ge­wichts­vor­teil rich­ten.
Der Bun­des­ge­richts­hof hat an­ge­nom­men, dass in­so­weit eine Ir­reführung un­ter dem Ge­sichts­punkt des Ver­stoßes ge­gen den Grund­satz der "Zi­tat­wahr­heit" in Be­tracht kommt. Da­nach sind Stu­di­en­er­geb­nisse, die in der Wer­bung oder im Pro­zess als Be­leg ei­ner ge­sund­heits­be­zo­ge­nen Aus­sage an­geführt wer­den, grundsätz­lich nur dann hin­rei­chend aus­sa­gekräftig, wenn sie nach den an­er­kann­ten Re­geln und Grundsätzen wis­sen­schaft­li­cher For­schung durch­geführt und aus­ge­wer­tet wur­den. Dafür ist im Re­gel­fall er­for­der­lich, dass eine ran­do­mi­sierte, pla­ce­bo­kon­trol­lierte Dop­pelblind­stu­die mit ei­ner adäqua­ten sta­tis­ti­schen Aus­wer­tung vor­liegt, die durch die Veröff­ent­li­chung in den Dis­kus­si­ons­pro­zess der Fach­welt ein­be­zo­gen wor­den ist. Ob auch - wie im Streit­fall - nachträglich an­hand vor­lie­gen­der Stu­di­en­da­ten im Rah­men ei­ner so­ge­nann­ten Sub­grup­pen­ana­lyse oder im Wege der Zu­sam­men­fas­sung meh­re­rer wis­sen­schaft­li­chen Un­ter­su­chun­gen (Me­ta­ana­lyse) er­stell­ten Stu­dien eine Wer­be­aus­sage tra­gen können, hängt von den Umständen des Ein­zel­falls ab. Da­bei kommt es für die Frage der Ir­reführung ne­ben der Ein­hal­tung der für diese Stu­dien gel­ten­den wis­sen­schaft­li­chen Re­geln vor al­lem dar­auf an, ob der Ver­kehr in der Wer­bung hin­rei­chend deut­lich auf die Be­son­der­hei­ten der Art, Durchführung oder Aus­wer­tung die­ser Stu­die und ge­ge­be­nen­falls die in der Stu­die selbst ge­mach­ten Ein­schränkun­gen im Hin­blick auf die Va­li­dität und Be­deu­tung der ge­fun­de­nen Er­geb­nisse hin­ge­wie­sen und ihm da­mit die nur ein­ge­schränkte wis­sen­schaft­li­che Aus­sa­ge­kraft der Stu­die vor Au­gen geführt wird. Sol­che aufklären­den Hin­weise enthält die be­an­stan­dete Wer­bung nicht, ob­wohl die in Be­zug ge­nom­mene Stu­die An­lass dazu ge­ge­ben hat.
Da­ge­gen ist die ohne kon­kre­ten Be­zug zu der Stu­die auf­ge­stellte Be­haup­tung ei­nes Ge­wichts­vor­teils im Streit­fall recht­lich nicht zu be­an­stan­den, weil sich ein sol­cher Vor­teil - ge­nauer: eine ge­rin­gere Ge­wichts­zu­nahme - nach den rechts­feh­ler­freien Fest­stel­lun­gen des Kam­mer­ge­richts im Streit­fall aus der arz­nei­mit­tel­recht­li­chen Zu­las­sung und der Fach­in­for­ma­tion ent­neh­men lässt. Zwar gilt für An­ga­ben mit fach­li­chen Aus­sa­gen auf dem Ge­biet der ge­sund­heits­be­zo­ge­nen Wer­bung nach dem im Heil­mit­tel­wer­be­recht maßge­ben­den Stren­ge­prin­zip ge­ne­rell, dass die Wer­bung nur zulässig ist, wenn sie ge­si­cher­ter wis­sen­schaft­li­cher Er­kennt­nis ent­spricht. Grundsätz­lich kann sich aber - so der Bun­des­ge­richts­hof - ein Wer­ben­der zum wis­sen­schaft­li­chen Nach­weis der Rich­tig­keit sei­ner Wer­be­be­haup­tung auf den In­halt der Zu­las­sung und der Fach­in­for­ma­tion be­ru­fen, weil diese Un­ter­la­gen Ge­gen­stand der Überprüfung durch die Zu­las­sungs­behörde sind. Eine Ir­reführung kommt aber dann in Be­tracht, wenn der Kläger dar­legt und er­for­der­li­chen­falls be­weist, dass neuere, erst nach dem Zu­las­sungs­zeit­punkt be­kannt­ge­wor­dene oder der Zu­las­sungs­behörde bei der Zu­las­sungs­ent­schei­dung sonst nicht zugäng­li­che wis­sen­schaft­li­che Er­kennt­nisse vor­lie­gen, die ge­gen die wis­sen­schaft­li­che Tragfähig­keit der durch die Zu­las­sung be­leg­ten Aus­sa­gen spre­chen. Da die Kläge­rin nichts zu sol­chen Er­kennt­nis­sen vor­ge­tra­gen hatte, war die Kla­ge­ab­wei­sung in­so­fern zu Recht er­folgt. Quelle: Pres­se­mit­tei­lung des BGH Nr. 22/2013 vom 06.02.2013 
07.02.2013 nach oben

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