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BFH: Vorrang der Niederlassungsfreiheit gegenüber der Kapitalverkehrsfreiheit bei gesetzlich qualifizierter Mindestbeteiligungsquote

Urteil des BFH vom 29.8.2012 - I R 7/12

Zwar verstößt die sog. Schach­tel­strafe gem. § 8b Abs. 7 KStG 1999 n.F. ge­gen die uni­ons­recht­li­che Grund­frei­heit der freien Wahl der Nie­der­las­sung nach Art. 43 EG (jetzt Art. 49 AEUV) und bleibt des­we­gen in­ner­halb der EU un­an­wend­bar. Die Un­an­wend­bar­keit von § 8b Abs. 7 KStG 1999 er­streckt sich in­folge des Vor­rangs der Nie­der­las­sungs­frei­heit ge­genüber der Ka­pi­tal­ver­kehrs­frei­heit (nach Art. 56 EG, jetzt Art. 63 AEUV) je­doch nicht auf sog. Dritt­staa­ten.

Der Sach­ver­halt:
Die Kläge­rin ist eine GmbH, die im Streit­jahr 1999 zu 33,5 % an ei­ner in den USA ansässi­gen Ka­pi­tal­ge­sell­schaft (UC) be­tei­ligt war. Für die in die­sem Jahr aus die­ser Be­tei­li­gung er­zielte Brutto-Di­vi­dende wurde in den USA nach Art. 10 Abs. 2 S. 1a DBA-USA 1989 eine Quel­len­steuer von 5 % ein­be­hal­ten. Das Fi­nanz­amt nahm die Di­vi­dende nach Art. 23 Abs. 2 S. 1a S. 1 u. 3 i.V.m. Art. 10 Abs. 4 DBA-USA 1989 von der Be­mes­sungs­grund­lage der deut­schen Steuer aus, un­ter­warf sie je­doch der sog. Schach­tel­strafe nach § 8b Abs. 7 KStG 1999 (i.d.F. des StBereinG 1999) n.F. und berück­sich­tigte hier­nach steu­er­erhöhend 5 % der Brutto-Di­vi­dende als nicht ab­zugsfähige Be­triebs­aus­ga­ben. Tatsäch­lich be­tru­gen die der Kläge­rin im Zu­sam­men­hang mit der Be­tei­li­gung im Streit­jahr ent­stan­de­nen Kos­ten le­dig­lich rund 10.953 DM.

Die Kläge­rin sah hin­ge­gen nur die ihr tatsäch­lich ent­stan­de­nen Be­triebs­aus­ga­ben gem. § 3c EStG 1997 i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG 1999 als nicht­ab­zugsfähig an; die sog. Schach­tel­strafe des § 8b Abs. 7 KStG 1999 n.F. ver­stoße ih­rer An­sicht nach ge­gen die ge­mein­schafts­recht­li­chen Grund­frei­hei­ten der freien Wahl der Nie­der­las­sung so­wie der Frei­heit des Ka­pi­tal­ver­kehrs und bleibe in­fol­ge­des­sen auch be­zo­gen auf Be­tei­li­gun­gen in sog. Dritt­staa­ten wie hier in den USA un­an­wend­bar. Das Fi­nanz­amt teilte die An­sicht nicht.

Das FG gab der Klage statt. Auf die Re­vi­sion der Kläge­rin hob der BFH das Ur­teil auf und wies die Klage ab.

Die Gründe:
Das FG hatte zu Un­recht an­ge­nom­men, die sog. Schach­tel­strafe des § 8b Abs. 7 KStG 1999 n.F. bleibe in­folge ei­nes Ver­stoßes ge­gen die Ka­pi­tal­ver­kehrs­frei­heit be­zo­gen auf die Di­vi­dende aus der Ka­pi­tal­be­tei­li­gung in den USA un­an­ge­wandt.

Zwar verstößt die sog. Schach­tel­strafe gem. § 8b Abs. 7 KStG 1999 n.F. ge­gen die uni­ons­recht­li­che Grund­frei­heit der freien Wahl der Nie­der­las­sung nach Art. 43 EG (jetzt Art. 49 AEUV) und bleibt des­we­gen in­ner­halb der EU un­an­wend­bar. Streit be­steht aber darüber, ob die Vor­schrift des § 8b Abs. 7 KStG 1999 n.F. über die sog. Schach­tel­strafe nicht al­lein ge­gen die Nie­der­las­sungs­frei­heit, son­dern zu­gleich auch ge­gen die Ka­pi­tal­ver­kehrs­frei­heit des Art. 56 EG (Art. 63 AEUV) verstößt. Letz­te­res könnte zur Folge ha­ben, dass sich die Reich­weite der Ver­trags­ver­let­zung prin­zi­pi­ell nicht nur auf Be­tei­li­gungs­ge­sell­schaf­ten mit Sitz oder Ge­schäfts­lei­tung in einem Mit­glied­staat der EU und ei­nes Staa­tes er­streckt, auf den das Ab­kom­men über den Eu­ropäischen Wirt­schafts­raum An­wen­dung fin­det, son­dern auch auf sog. Dritt­staa­ten ("erga om­nes").

Das hat der Se­nat - im An­schluss an ein­schlägige EuGH-Ent­schei­dun­gen ver­schie­de­nen Ur­tei­len für die Re­ge­lun­gen in § 8b Abs. 5 KStG 1999/2002 a.F. an­ge­nom­men, wird sei­tens der Fi­nanz­ver­wal­tung aber bis­lang an­ders ge­se­hen. Auslösend für die­sen Streit ist das un­ter­schied­li­che Rechts­verständ­nis darüber, ob es für den sys­te­ma­ti­schen An­wen­dungs­vor­rang der Nie­der­las­sungs- ge­genüber der Ka­pi­tal­ver­kehrs­frei­heit auf das Te­los der be­tref­fen­den na­tio­na­len Vor­schrift oder aber auf die tatsäch­li­chen Be­tei­li­gungs­verhält­nisse an­kommt. Hier be­durfte es zu die­ser Kon­tro­verse al­ler­dings kei­ner wei­te­ren Ausführun­gen, weil eine Ver­let­zung der Ka­pi­tal­ver­kehrs­frei­heit je­den­falls un­ter den hier zu be­ur­tei­len­den Ge­ge­ben­hei­ten hin­ter die Ver­let­zung der Nie­der­las­sungs­frei­heit zurück­tritt und de­ren "un­ver­meid­li­che Folge" ist.

Grund dafür ist, dass § 8b Abs. 7 KStG 1999 n.F. nicht - wie aber des­sen Nach­fol­ge­re­ge­lung in § 8b Abs. 5 KStG 1999/2002 a.F.- all­ge­mein an die steu­er­freien Bezüge aus An­tei­len an ausländi­schen Ge­sell­schaf­ten anknüpft, son­dern nur an sol­che Ge­winn­aus­schüttun­gen der Aus­lands­ge­sell­schaft, die nach einem Ab­kom­men zur Ver­mei­dung der Dop­pel­be­steue­rung von der Körper­schaft­steuer be­freit sind. Das aber er­for­dert wie­derum nach dem hier an­zu­wen­den­den Art. 23 Abs. 2 S. 1a S. 1 u. 3 DBA-USA 1989 als maßge­ben­der Be­zugs­norm -ab­wei­chend von § 8b Abs. 1 KStG 2002 n.F. - eine un­mit­tel­bare Be­tei­li­gung an den stimm­be­rech­tig­ten An­tei­len der in den USA ansässi­gen Ge­sell­schaft von min­des­tens 10 % und da­mit eine (qua­li­fi­zierte) Min­dest­be­tei­li­gungs­quote, wel­che bei ty­pi­sie­ren­der Be­trach­tung ge­eig­net ist, nach der ein­schlägi­gen Spruch­pra­xis des EuGH "einen si­che­ren Ein­fluss auf die Ent­schei­dun­gen der Be­tei­li­gungs­ge­sell­schaft zu ermögli­chen". Die Un­an­wend­bar­keit von § 8b Abs. 7 KStG 1999 er­streckt sich des­halb in­folge Vor­rangs der Nie­der­las­sungs­frei­heit ge­genüber der Ka­pi­tal­ver­kehrs­frei­heit (nach Art. 56 EG, jetzt Art. 63 AEUV) nicht auf sog. Dritt­staa­ten.

Im Streit­fall, in dem die Kläge­rin einen An­teil von 33,5 % an der UC hielt und die Min­dest­be­tei­li­gungs­quote deut­lich über­traf, stand denn auch tatsäch­lich außer Frage, dass es sich so ver­hielt. Die sog. Schach­tel­strafe wi­der­spricht ent­ge­gen der An­sicht der Kläge­rin we­der den Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bo­ten des Art. XI des deut­sch-ame­ri­ka­ni­schen Freund­schafts­ver­tra­ges noch je­nen des Art. 24 DBA-USA 1989. Sie stellt ge­genüber den ab­kom­mens­recht­li­chen Schach­tel­pri­vi­le­gien (hier nach Art. 23 Abs. 2 S. 1a S. 1 u. 3 i.V.m. Art. 10 Abs. 4 DBA-USA 1989) auch kein "Treaty over­ride" dar.

Link­hin­weis:
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