Basierend auf den im Oktober 2015 von der OECD im Rahmen des BEPS-Projekts (Base Erosion and Profit Shifting) vorgelegten Empfehlungen wurde auf EU-Ebene die sog. Anti-Steuermeidungsrichtlinie, kurz ATAD, vom 12.7.2016 beschlossen. Diese am 29.5.2017 nochmals geänderte Richtlinie verpflichtet die EU-Mitgliedstaaten zur Anpassung ihrer steuerlichen Regelungen insb. in den Bereichen

- der Hinzurechnungsbesteuerung (Art. 7 und 8 ATAD),
- der Entstrickungs- und Wegzugsbesteuerung (Art. 5 ATAD) und
- der Neutralisierung von Besteuerungsinkongruenzen durch hybride Gestaltungen (Art. 9 und 9b ATAD).
Das BMF legte nun den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie (ATAD-Umsetzungsgesetz, ATADUmsG) mit Bearbeitungsstand 10.12.2019 vor und versandte diesen zur Stellungnahme an die Verbände.
Darin findet sich neben der Umsetzung der genannten ATAD-Vorgaben auch eine umfassende Neuregelung der Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes. Auch wenn das Gesetzgebungsverfahren erst noch angestoßen werden muss und ein Inkrafttreten des Gesetzes damit frühestens in 2020 möglich ist, sollen die darin enthaltenen Regelungen überwiegend bereits in 2020 zur Anwendung kommen.
Hinzurechnungsbesteuerung
Das BMF sieht aufgrund der ATAD-Vorgaben nur punktuellen Anpassungsbedarf bei der bereits bestehenden Hinzurechnungsbesteuerung.
Geändert werden soll u. a. das Kriterium der Beherrschung einer ausländischen Gesellschaft. Dieses soll künftig gesellschafterbezogen geprüft werden und dabei sowohl unmittelbare als auch mittelbare Beteiligungen berücksichtigen. So soll eine Beherrschung vorliegen, wenn dem Steuerpflichtigen allein oder zusammen mit ihm nahestehenden Personen am Ende des Wirtschaftsjahres der ausländischen Gesellschaft mehr als die Hälfte der Stimmrechte oder mehr als die Hälfte der Anteile am Nennkapital unmittelbar oder mittelbar zuzurechnen sind.
Die Abgrenzung passiver Einkünfte soll punktuell modifiziert werden. So sollen z. B. Streubesitzdividenden künftig als passive Einkünfte gelten.
Der Motivtest, wonach eine Hinzurechnung unterbleibt, wenn eine wesentliche wirtschaftliche Tätigkeit der ausländischen Gesellschaft in ihrem Sitzstaat oder Staat der Geschäftsleitung nachgewiesen werden kann, soll künftig nicht nur in EU-Fällen, sondern in Spezialfällen auch bei Drittstaaten zum Einsatz kommen.
Das Merkmal der niedrigen Besteuerung soll unverändert erfüllt sein, wenn die passiven Einkünfte der ausländischen Gesellschaft einer ertragsteuerlichen Belastung von unter 25 % unterliegen. Hier verweist das BMF darauf, dass damit nicht den Abstimmungen auf OECD-Ebene über die Einführung einer globalen Mindestbesteuerung durch eine unilaterale Regelung vorgegriffen werden sollte.
Hinweis
Das Beibehalten der Niedrigsteuerschwelle von 25 % löste deutliche Kritik der Wirtschaftsverbände aus. Angesichts der aktuellen Steuersätze in einer Vielzahl ausländischer Staaten, u. a. auch in Nachbarländern, führt diese Schwelle in zahlreichen Fällen zu einer Hinzurechnungsbesteuerung bzw. zwingt zur Durchführung des Motivtests.
Ist eine Hinzurechnungsbesteuerung wegen Vorliegens der Voraussetzungen vorzunehmen, sollen Gewinnausschüttungen der ausländischen Gesellschaft künftig nicht mehr innerhalb eines Zeitraums von sieben Jahren steuerfrei sein, sondern vielmehr direkt als Kürzungsbetrag zu berücksichtigen sein.
Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes
Ohne dass dies zwingend aufgrund der ATAD erforderlich wäre, sieht das BMF auch eine Neufassung der Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes vor. So soll der Begriff der nahestehenden Person ausgeweitet werden und künftig auch bei einer Beteiligung von mindestens einem Viertel an den Mitgliedschaftsrechten, den Beteiligungsrechten, den Stimmrechten oder am Gesellschaftsvermögen greifen.
Die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes soll konkretisiert werden. Explizit soll eine Regelung zu Finanzierungsbeziehungen aufgenommen werden. Die Vermittlung und Weiterleitung von Finanzierungsbeziehungen, wie es typische „Treasury“ Funktionen einer Unternehmensgruppe vorsehen, werden als funktions- und risikoarme Dienstleistung bewertet, mit entsprechender Auswirkung auf die anzuerkennenden Verrechnungspreise.
Für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2020 beginnen, sollen Unternehmen mit einem Umsatz von 50 Mio. Euro im vorangegangenen Wirtschaftsjahr - statt bislang 100 Mio. Euro - zur Erstellung einer Stammdokumentation (sog. Master File) verpflichtet werden, der künftig zum Ende des Wirtschaftsjahres elektronisch an die Finanzverwaltung zu übermitteln ist.
Zudem soll die Möglichkeit, ein Vorabverständigungsverfahren zu beantragen, gesetzlich geregelt werden. Dabei ist geplant, die bereits bislang vorgesehenen Gebühren zu erhöhen.
Entstrickung und Wegzugsbesteuerung
Die bereits bestehenden Regelungen zur Entstrickung bei der grenzüberschreitenden Überführung von Wirtschaftsgütern sollen an die ATAD-Vorgaben angepasst werden. So soll der Wegfall der Beschränkung des inländischen Besteuerungsrechts bei Überführung von Wirtschaftsgütern ins Inland (sog. Verstärkung des inländischen Besteuerungsrechts) künftig eine Besteuerung auslösen. Dabei soll es zu einer Verknüpfung der im Rahmen der ausländischen Entstrickungsbesteuerung angesetzten Werte mit dem Ansatz der Einlage im Inland kommen und eine ausländische Entstrickungssteuer im Inland angerechnet werden können. Daneben sind Änderungen an den Regeln zur ratierlichen Zahlung der Steuer auf den Entstrickungsgewinn geplant.
Außerdem soll die Wegzugsbesteuerung mit diversen Detailänderungen an die EuGH-Rechtsprechung angepasst werden. So werden u. a. die Voraussetzungen neu definiert, die bei Wegzug natürlicher Personen ins Ausland zu einer fiktiven Veräußerungsgewinnbesteuerung bei Kapitalgesellschaftsbeteiligungen von mindestens 1 % führen. Im Fall des Wegzugs ins EU-/EWR-Ausland sollen die Regeln zur Stundung der Wegzugsbesteuerung erheblich verschärft werden und in gleicher Weise für Drittstaatsfälle gelten.
Hybride Gestaltungen
Besteuerungsinkongruenzen, die sich aus der unterschiedlichen steuerlichen Beurteilung hybrider Elemente durch die beteiligten Staaten ergeben, sollen neutralisiert werden. Dazu ist vorgesehen, den Betriebsausgabenabzug u. a. zu versagen, wenn Aufwendungen in einem Staat abgezogen werden können, ohne dass die entsprechenden Erträge im anderen Staat der Besteuerung unterliegen.
Hinweis
Entgegen der ursprünglichen Pläne befasste sich die Bundesregierung nicht bereits am 18.12.2019 mit dem Referentenentwurf. Dem Vernehmen nach soll Anfang 2020 ein Gesetzentwurf in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht werden. Es bleibt abzuwarten, ob damit der Kritik der Wirtschaftsverbände u.a. hinsichtlich der Höhe der Niedrigbesteuerungsschwelle im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung und hinsichtlich der vorgesehenen Anwendung der Vorgaben bereits zum Jahreswechsel Rechnung getragen wird.