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Umfang der Bindungswirkung eines geänderten Grundlagenbescheids

BFH 21.1.2014, IX R 38/13

Enthält ein geänder­ter Grund­la­gen­be­scheid zu­gleich eine Auf­he­bung des Vor­be­halts der Nachprüfung und ist er da­mit nach § 164 Abs. 3 S. 2 1. Halbs., § 181 Abs. 1 S. 1 AO wie eine erst­ma­lige Fest­stel­lung zu wer­ten, dann ist sein Re­ge­lungs­in­halt nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 182 Abs. 1 S. 1 AO in vol­lem Um­fang und ohne Bin­dung an in der Ver­gan­gen­heit be­reits er­folgte Über­nah­men aus vor­an­ge­gan­ge­nen Fest­stel­lungs­be­schei­den in den Fol­ge­be­scheid zu über­neh­men.

Der Sach­ver­halt:
Die kla­gen­den Ehe­leute wur­den im Streit­jahr 1992 zu­sam­men zur Ein­kom­men­steuer ver­an­lagt. Die Kläge­rin war u.a. Ge­sell­schaf­te­rin ei­ner vermögens­ver­wal­ten­den GbR, die im Streit­jahr Ver­luste aus Spe­ku­la­ti­ons­ge­schäften er­zielte. Am 8.12.1994 wurde ein Fest­stel­lungs­be­scheid für 1992 er­las­sen, in dem der Kläge­rin u.a. ein Ver­lust aus Spe­ku­la­ti­ons­ge­schäften i.H.v. rd.584.000 DM zu­ge­wie­sen wurde. Die­ser Be­scheid wurde be­standskräftig, stand je­doch un­ter dem Vor­be­halt der Nachprüfung. Im dar­auf­hin er­gan­ge­nen (erst­ma­li­gen) Ein­kom­men­steu­er­be­scheid 1992 vom 20.3.1995 blieb der Ver­lust im Hin­blick auf die Vor­schrift des § 23 Abs. 4 S. 3 EStG un­berück­sich­tigt. Auch die­ser Be­scheid wurde - ebenso wie nach­fol­gende Ände­rungs­be­scheide - be­standskräftig, stand je­doch un­ter dem Vor­be­halt der Nachprüfung.

Mit Ein­kom­men­steu­er­be­scheid vom 20.11.2000 wurde der Vor­be­halt der Nachprüfung auf­ge­ho­ben. Die­ser Be­scheid wurde nicht mit dem Ein­spruch an­ge­foch­ten und da­mit be­standskräftig. Die Ein­kom­men­steuer wurde auf rd. 680.000 DM fest­ge­setzt. Am 27.10.2000 er­ließ das für die GbR zuständige Fest­stel­lungs­fi­nanz­amt einen geänder­ten Fest­stel­lungs­be­scheid für 1992, in dem für die Kläge­rin ein Ver­lust aus Spe­ku­la­ti­ons­ge­schäften i.H.v. rd. 588.000 DM ent­hal­ten war. Die ent­spre­chende Mit­tei­lung ging am 6.11.2000 beim be­klag­ten Fi­nanz­amt ein. Die­ses wer­tete die Mit­tei­lung da­hin­ge­hend aus, dass es am 1.3.2001 einen geänder­ten Ein­kom­men­steu­er­be­scheid für 1992 er­ließ, den Spe­ku­la­ti­ons­ver­lust aber wei­ter­hin nicht berück­sich­tigte. Die Ein­kom­men­steuer wurde auf rd. 618.000 DM fest­ge­setzt.

Die Kläger leg­ten ge­gen den geänder­ten Ein­kom­men­steu­er­be­scheid 1992 Ein­spruch ein. Sie mach­ten gel­tend, dass die Ein­schränkung der Ver­rech­nung von Ver­lus­ten aus Spe­ku­la­ti­ons­ge­schäften nach § 23 Abs. 4 S. 3 EStG ver­fas­sungs­wid­rig sei. Das Ein­spruchs­ver­fah­ren ruhte zunächst. Nach­dem der BFH in der Fol­ge­zeit ent­schie­den hatte, dass Spe­ku­la­ti­ons­ver­luste aus den Jah­ren vor 1999 grundsätz­lich un­ein­ge­schränkt aus­gleichsfähig sind, er­ließ das Fi­nanz­amt am 2.7.2010 einen geänder­ten Ein­kom­men­steu­er­be­scheid für 1992, in dem es einen Spe­ku­la­ti­ons­ver­lust i.H.v. rd. 4.400 DM berück­sich­tigte. Eine wei­ter­ge­hende Berück­sich­ti­gung des Spe­ku­la­ti­ons­ver­lusts un­ter­blieb. Die Ein­kom­men­steuer wurde auf rd. 616.000 DM fest­ge­setzt.

Das FG wies die hier­ge­gen ge­rich­tete Klage, mit der die Kläger den An­satz der Spe­ku­la­ti­ons­ver­luste in vol­ler Höhe be­gehr­ten, ab. Auf die Re­vi­sion der Kläger hob der BFH das Ur­teil auf und ver­wies die Sa­che zur an­der­wei­ti­gen Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das FG zurück.

Die Gründe:
Das FG hat nicht wei­ter geprüft, ob der geänderte Fest­stel­lungs­be­scheid vom 27.10.2000 zu­gleich eine Auf­he­bung des Vor­be­halts der Nachprüfung ent­hielt und da­mit nach § 164 Abs. 3 S. 2 1. Halbs., § 181 Abs. 1 S. 1 AO wie eine erst­ma­lige Fest­stel­lung der Einkünfte aus Spe­ku­la­ti­ons­ge­schäften zu wer­ten ist. In die­sem Fall sind die Be­steue­rungs­grund­la­gen nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO in vol­lem Um­fang und ohne Bin­dung an in der Ver­gan­gen­heit be­reits er­folgte Über­nah­men aus vor­an­ge­gan­ge­nen Fest­stel­lungs­be­schei­den in den - mit dem Ein­spruch an­ge­foch­te­nen - Fol­ge­be­scheid vom 1.3.2001 und da­mit auch in den an seine Stelle tre­ten­den Fol­ge­be­scheid vom 2.7.2010 in Ge­stalt der Ein­spruchs­ent­schei­dung vom 22.7.2010 zu über­neh­men.

Nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO ist ein Steu­er­be­scheid (Fol­ge­be­scheid) zu er­las­sen, auf­zu­he­ben oder zu ändern, so­weit ein Grund­la­gen­be­scheid, dem Bin­dungs­wir­kung für die­sen Steu­er­be­scheid zu­kommt, er­las­sen, auf­ge­ho­ben oder geändert wird. Grund­la­gen­be­scheid ist nach § 171 Abs. 10 S. 1 AO auch ein Fest­stel­lungs­be­scheid, so­weit er für die Fest­set­zung ei­ner Steuer bin­dend ist. Fest­stel­lungs­be­scheide (Grund­la­gen­be­scheide) sind u.a. für Steu­er­be­scheide (Fol­ge­be­scheide) bin­dend, so­weit in ih­nen ge­trof­fene Fest­stel­lun­gen für diese Fol­ge­be­scheide von Be­deu­tung sind (§ 182 Abs. 1 S. 1 AO).

§ 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO lässt je­doch keine un­ein­ge­schränkte Auf­he­bung/Ände­rung des Fol­ge­be­scheids zu, son­dern nur eine der Bin­dungs­wir­kung ent­spre­chende An­pas­sung an den er­las­se­nen, auf­ge­ho­be­nen oder geänder­ten Grund­la­gen­be­scheid. Die Auf­gabe, den Fol­ge­be­scheid an den Grund­la­gen­be­scheid an­zu­pas­sen, recht­fer­tigt keine Wie­der­auf­rol­lung der ge­sam­ten Steu­er­ver­an­la­gung; sie reicht nur so weit, wie es die Bin­dungs­wir­kung des Grund­la­gen­be­scheids ver­langt. 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO kann eine Ände­rung des Fol­ge­be­scheids so­mit nicht be­wir­ken, so­weit der (geänderte) Grund­la­gen­be­scheid be­zo­gen auf sei­nen In­halt für den Fol­ge­be­scheid nur mehr als "Wie­der­ho­lung" zu wer­ten ist.

Die Bin­dungs­wir­kung ist je­doch un­be­schränkt, wenn der geänderte Fest­stel­lungs­be­scheid zu­gleich eine Auf­he­bung des Vor­be­halts der Nachprüfung nach § 164 Abs. 3 S. 2 1. Halbs. AO enthält. Nach die­ser Vor­schrift gilt der geänderte Fest­stel­lungs­be­scheid als erst­ma­lige Fest­stel­lung und da­mit als erst­ma­lige Ein­zel­fall­re­ge­lung, der kein bloß wie­der­ho­len­der Cha­rak­ter zu­zu­mes­sen ist. Die durch die Auf­he­bung des Vor­be­halts der Nachprüfung ent­stan­dene Bin­dungs­wir­kung um­fasst folg­lich den ge­sam­ten Grund­la­gen­be­scheid. Das gilt auch dann, wenn der Vor­be­halt der Nachprüfung des Grund­la­gen­be­scheids auf­ge­ho­ben wird, ohne dass eine sach­li­che Ände­rung des Grund­la­gen­be­scheids er­folgt.

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