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Zukunft der Fleischindustrie: „Es ist drei Minuten vor Zwölf“

Seit Jah­ren hat die deut­sche Fleisch­in­dus­trie einen schwe­ren Stand - durch haus­ge­machte Skan­dale, veränder­tes Ver­brau­cher­ver­hal­ten, gna­den­lo­sen Preis­kampf. Zur Zu­kunft der Bran­che äußert sich Klaus Mar­tin Fi­scher im In­ter­view, das so ak­tu­ell in ei­ner Stu­die der HSH Nord­bank er­schie­nen ist.

An­fang 2017 ge­rie­ten meh­rere Fleisch­ver­ar­bei­ter in er­heb­li­che Schwie­rig­kei­ten. Hat sich die Lage aus Ih­rer Sicht sta­bi­li­siert?

Ak­tu­ell ist et­was Druck vom Kes­sel. Die vi­ru­len­ten Ba­sis­the­men – zurück­ge­hen­der Fleisch­kon­sum, gna­den­lo­ser Preis­kampf, stei­gende Löhne und da­mit ein­her­ge­hend ex­tre­mer Kos­ten­druck – ha­ben die Fleisch­pro­du­zen­ten und -ver­ar­bei­ter aber wei­ter­hin im Schwitz­kas­ten. Trotz ei­ner ei­ni­germaßen sta­bi­len Pro­duk­tion sin­ken die Erträge. Wenn dann Un­ter­neh­men be­gin­nen, ihre Cash-Re­ser­ven auf­zu­brau­chen, wird die Lage kri­ti­sch.

Klaus Martin Fischer über die Zukunft der Fleischindustrie

Vor wel­chen kon­kre­ten Her­aus­for­de­run­gen steht die Fleisch­bran­che in den kom­men­den Jah­ren?

Zu­sam­men­ge­fasst geht es um drei Haupt­the­men: Preis, Wett­be­werb und Kos­ten. Neh­men wir den Preis. Zwar gibt es ei­nige kleine Ni­schenmärkte, in de­nen Kun­den be­reit sind, für in­no­va­tive Pro­dukte oder be­stimmte Ei­gen­schaf­ten einen höheren Preis zu zah­len. Das Gros der Ver­brau­cher ist al­ler­dings wei­ter­hin äußerst preis­sen­si­bel. Das, was die Kun­den kau­fen, ist da­bei nicht un­be­dingt das, was sie laut ei­ge­ner Aus­sage be­vor­zu­gen, zum Bei­spiel öko­lo­gi­sch, re­gio­nal und ethi­sch pro­du­zierte Fleisch- und Wurst­wa­ren. Die meis­ten ent­schei­den sich dann aber doch für das Hack­fleisch aus dem SB-Re­gal für 1,89 Euro je 500-g-Pa­ckung. Das be­legt auch die om­nipräsente prei­sag­gres­sive Wer­bung. Aus Sicht des Han­dels ist und bleibt Fleisch ein „Lock­pro­dukt“.

Der zweite Fak­tor ist der hohe Wett­be­werbs­druck. Trotz Kon­so­li­die­rung be­ste­hen nach wie vor Über­ka­pa­zitäten in Schlach­tung, Zer­le­gung und Wei­ter­ver­ar­bei­tung. Die frag­men­tierte Wei­ter­ver­ar­bei­tung steht, nicht zu­letzt auch durch die Kon­kur­renz der LEH-ei­ge­nen Ver­ar­bei­tung, be­son­ders un­ter Druck. Ver­schärft wird der Wett­be­werb durch den rückläufi­gen Markt für Fleisch- und Wurst­wa­ren. Hier schlägt die In­ten­si­vie­rung der me­dial in­sze­nier­ten, kri­ti­schen Be­richt­er­stat­tung zu Bu­che. Zu land- und ins­be­son­dere fleisch­wirt­schaft­li­chen The­men ge­ne­rell so­wie spe­zi­ell zu Tier­hal­tungs- und Ernährungs­fra­gen.

Drit­tens drücken stei­gende Kos­ten in der Ur­pro­duk­tion und die lang­sam ab­neh­mende Verfügbar­keit schlachtrei­fer Tiere und der sich dar­aus ent­wi­ckelnde „Kampf um’s Schwein“.

Wie können die Fleisch­wa­ren­her­stel­ler ge­gen­steu­ern?

Roh­stof­fein­kauf und Ver­kaufs­preis un­ter­lie­gen über­wie­gend äußeren Einflüssen. Hier ha­ben die Un­ter­neh­men li­mi­tierte ei­gene Ein­flussmöglich­kei­ten, um ihre Wett­be­werbs­po­si­tion zu ver­bes­sern. Sie soll­ten sich da­her auf in­terne Fak­to­ren kon­zen­trie­ren, sprich auf die Kos­ten. Durch die Ver­bes­se­rung der Kos­ten­po­si­tion können die Un­ter­neh­men ihre Wett­be­werbsfähig­keit nach­hal­tig ver­bes­sern.

Ein an­de­res Thema ist das Sor­ti­ment. Bli­cken wir in die Wurst­in­dus­trie, wird deut­lich, dass sich das Vo­lu­men in ers­ter Li­nie im Preis­ein­stiegs- und im Eco-Seg­ment ab­spielt, we­ni­ger in der Mit­tel- oder Pre­mi­um­klasse. Für Un­ter­neh­men heißt dies, ent­we­der hohe Vo­lu­men ef­fi­zi­ent zu be­die­nen oder aber eine (Mar­ken-) Ni­sche auf­zu­bauen. Mar­ken las­sen sich zwar eta­blie­ren, das zei­gen ei­nige Bei­spiele, her­aus­ste­chend wer­den sie aber sel­ten. Und: Eine Aus­dif­fe­ren­zie­rung ist und bleibt enorm teuer!

Bei einem gesättig­ten In­lands­markt sind Un­ter­neh­men gut be­ra­ten, auch an Möglich­kei­ten im Ex­port den­ken. Al­ler­dings sind Aus­landsmärkte von der po­li­ti­schen und ge­sell­schaft­li­chen Ent­wick­lung abhängig. Da­her be­steht ein großes „boost-or-break“-Ri­siko. Der Ex­port kann aber ein zusätz­li­ches Stand­bein sein.

Wel­che Möglich­kei­ten ha­ben Un­ter­neh­men, wenn sie Kos­ten sen­ken möch­ten?

Kos­ten­op­ti­mum in sta­gnie­ren­den Märk­ten zu er­rei­chen, be­deu­tet an­ge­sichts der ho­hen Fix­kos­ten in ers­ter Li­nie, vor­han­dene Ka­pa­zitäten ma­xi­mal aus­zu­las­ten. Fer­ner muss sich das Ma­nage­ment aus­nahms­los je­den Be­reich an­se­hen, vom Per­so­nal über Ver­pa­ckung und En­er­gie bis zu Lea­sing und Lo­gis­tik. Es kommt dar­auf an, sich kon­se­quent auf mess­bare Leis­tungsfähig­keit und Ef­fi­zi­enz zu trim­men. Sind alle fi­nanz- und leis­tungs­wirt­schaft­li­chen Po­ten­ziale aus­ge­schöpft, müssen die Ent­schei­der wei­ter­den­ken und das ge­samte Ge­schäfts­mo­dell hin­ter­fra­gen. Dies be­deu­tet meist im ers­ten Schritt, ge­zielt auf Größe zu­guns­ten stei­gen­der Pro­fi­ta­bi­lität zu ver­zich­ten. Da­bei geht es nicht mehr um Ska­len­ef­fekte wie vor ei­ni­gen Jah­ren und Jahr­zehn­ten, son­dern um eine nach­hal­tig höhere Wert­schöpfung.

Und wenn ein Un­ter­neh­men be­reits in ernst­haf­ten Schwie­rig­kei­ten steckt?

Die Au­gen zu ver­schließen, hilft zu kei­nem Zeit­punkt wei­ter. Im Ge­gen­teil. Auch der Griff in das ei­gene Porte­mon­naie ist keine Lösung. Man muss sich ehr­lich fra­gen: In wel­chen Be­rei­chen, Re­gio­nen, Kun­den und Ar­ti­kel­grup­pen er­zie­len wir be­deu­tungs­lose oder so­gar ne­ga­tive De­ckungs­beiträge? Wie können wir diese Ver­lust­brin­ger op­ti­mie­ren oder ab­bauen? Und: Können wir eine wett­be­werbsfähige Zu­kunfts­po­si­tion al­leine er­rei­chen? Oder soll­ten wir über eine Al­li­anz oder eine Fu­sion nach­den­ken?

Was wird die Bran­che noch be­schäfti­gen?

In­te­grierte Wert­schöpfungs­ket­ten vom Fer­kel bis zur Ver­ar­bei­tung ver­spre­chen – gut, ge­schlos­sen und sta­bil ge­macht – einen ech­ten Mehr­wert. Zu häufig aber feh­len ganze Ket­ten­glie­der oder verläss­li­che Ver­bin­dun­gen zwi­schen den ein­zel­nen Wert­schöpfungs­stu­fen. Nach­hal­tig­keit und Ethik blei­ben eben­falls sehr präsent und ge­sell­schaft­lich kon­sensfähig. Auch wenn sich das, wie oben be­reits erwähnt, nicht im­mer im Kauf­ver­hal­ten wi­der­spie­gelt. Ein wei­te­rer Dau­er­bren­ner ist Com­pli­ance, ein Thema mit sehr vie­len Fa­cet­ten. Dar­un­ter fal­len di­verse po­li­ti­sche, recht­li­che und an­dere The­men. Vom Ver­hal­ten ge­genüber Mit­ar­bei­tern über die Le­bens­mit­tel­si­cher­heit bis zum Ver­brau­cher­schutz.

Wel­che Chan­cen bie­tet die Di­gi­ta­li­sie­rung und wie weit ist Bran­che hier?

Die Fleisch­wirt­schaft steht bei der Di­gi­ta­li­sie­rung noch am An­fang. Natürlich, viele Pro­zesse rund um die Rück­ver­folg­bar­keit etc. sind be­reits stark au­to­ma­ti­siert. Aber zukünf­tig geht es darum, ent­lang der Wert­schöpfung den im­mer dif­fe­ren­zier­te­ren An­sprüchen ge­recht zu wer­den – und da­bei auch noch Geld zu ver­die­nen. Das ruft die in­tel­li­gente Ver­net­zung al­ler Teil­pro­zesse, also von der Ab­bil­dung der Wa­ren­ströme und La­ger­ma­nage­ment über Pro­duk­ti­on­steue­rung bis hin zu Ver­trieb und Con­trol­ling, auf die Agenda. Eine große Her­aus­for­de­rung, denn Di­gi­ta­li­sie­rung ist we­der ein­fach noch zum Null­ta­rif zu ha­ben. Und: Ohne Führung geht nichts!

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