Klaus-Martin Fischer und Dr. Jens Petersen, Partner der Ebner Stolz Management Consultants, führten durch die Jubiläumsausgabe des Branchendialogs Agrar & Ernährung, der einmal mehr mit einer breiten Themenpalette aufwarten konnte - von den Perspektiven der Fleischindustrie über die Zukunft des Agrarhandels bis zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Nahrungsmittelerzeugung. Dabei zogen sich vor allem die Aspekte Nachhaltigkeit und Digitalisierung wie ein roter Faden durch alle Beiträge des Tages.
Die aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen halten die Agrar- und Ernährungsindustrie auch weiterhin in Atem - Konflikte und Kriege wie in der Ukraine, Finanz- und Flüchtlingskrisen, die Nachwehen einer Pandemie, eine Hochinflationsphase, explodierende Rohstoffpreise sowie eine Rezession in Deutschland haben erhebliche Rückwirkungen auf die gesamte Branche. Vor diesem Hintergrund gab es also ausreichend Diskussionsbedarf rund um die Frage: Wer hat in den vergangenen Jahren seine Hausaufgaben am besten gemacht und welche Chancen bieten sich auch in dieser Situation für Unternehmen und Finanzierer?
Wachstum mit Augenmaß, Kosten im Blick
„Fleisch ist grundsätzlich ein gesundes Lebensmittel“ - ausgehend von dieser These beleuchtete Axel Knau, Vorstandsmitglied der Tönnies Holding und CEO der Zur Mühlen Gruppe, in seinem Impulsvortrag die aktuellen Herausforderungen und Perspektiven der deutschen Fleischwirtschaft. Obwohl im heimischen Markt seit Jahren mit einem - entgegen des globalen Trends - kontinuierlich sinkenden Konsum von Rind- und Schweinefleisch konfrontiert, ist die größte Teilbranche der deutschen Ernährungsindustrie mit einem aktuellen Gesamtumsatz von mehr als EUR 47 Mrd. und rund 150.000 Beschäftigten nach wie vor ein bedeutender Wirtschaftsfaktor.
Allerdings sind für die Zukunft über den Export hinaus alternative Geschäftsmodelle und neue Strategien für die Branche gefragt. Diese müssen von der Rohstoffverfügbarkeit, einer zukunftsfesten Tierhaltung, zusätzlichen Kostensteigerungen und Fachkräftemangel auch einen deutlichen Wandel im Konsumverhalten berücksichtigen. Daher sind Themen wie Preis- und Sortimentsgestaltung, Recruiting und Nachhaltigkeit für die Fleischwirtschaft von besonderer Bedeutung. Ein wichtiges Handlungsfeld sieht Axel Knau vor allem in der Kommunikation der Branche: „Der Fleischindustrie fehlen nach wie vor gute Botschaften für Medien, Politik und Öffentlichkeit sowie eine offene Diskussion ohne Selbstmitleid. Da müssen wir besser werden, ergänzt durch eine emotionale Ansprache auch über Social Media-Plattformen wie TikTok und Instagram.“
Landwirtschaft ist Zukunft: Agrarhandel im Wandel der Zeit
Dr. Marlen Wienert, Mitglied des Vorstands der BayWa AG, erläuterte am Beispiel des eigenen Konzerns wie eine langfristige strategische Ausrichtung erfolgreich die Weichen für die Zukunft stellen kann. Das Portfolio-Unternehmen BayWa - mit einem Konzern-Umsatz von rund EUR 27 Mrd. einer führenden Agrarhändler in Europa - setzt dabei neben der Diversifizierung ihrer Produkte und Dienstleistungen auf moderne Technologien sowie die weitere Internationalisierung des Konzerns, denn: „Wer sich nicht verändert, bleibt stehen und wird am Markt nicht mehr gebraucht.“
Fest steht: Der Agrarhandel sieht sich vor große Herausforderungen gestellt. Umwelt und Klima sind enormen Veränderungen unterworfen, digitale Technologien halten auch in der Landwirtschaft vermehrt Einzug, die Anforderungen von Gesellschaft und Politik werden größer und der Wettbewerb nimmt zu. Hinzu kommen der „Green Deal“ mit seinen strengen Vorgaben für die EU-Agrarindustrie, ein stetiger Strukturwandel in den deutschen Betrieben und eine wachsende Weltbevölkerung. Hier muss auch der Agrarhandel mit neuen Ansätzen und innovativen Ideen Antworten finden. Die Förderung digitaler Technologien, die Einführung mittels Gentechnik optimierter Pflanzen und interdisziplinär entwickelte Lösungen für die Landwirtschaft sind bereits heute wirksame Rezepte. Marlen Wienert erklärte abschließend, dass die heimische Agrarindustrie nach Ansicht des Agrarhandels bei allen Herausforderungen gut aufgestellt ist: „Die Landwirtschaft in Deutschland wird eine Zukunft haben, weil Deutschland aufgrund der Rahmenbedingungen ein Gunststandort für die tierische und pflanzliche Produktion ist und seine Landwirte im europäischen Vergleich eine exzellente Ausbildung besitzen.“
Nachhaltigkeit meets Digitalisierung - mit klarer Strategie zum Marktführer
Als Bernd Eßer, Geschäftsführer der Berief Food GmbH, die Führung des auf Bio- und pflanzliche Lebensmittel spezialisierten Familienunternehmens übernahm, setzte er nach dem Vorbild der Autoindustrie zunächst einen wegweisenden Strategiewechsel in Gang - weg von der Produktorientierung, hin zum Marktfokus. „Wir wollten künftig nicht mehr VW, sondern Uber sein“, beschreibt Eßer den neuen Ansatz, der für die Berief GmbH zum „Game Changer“ wurde. Das Unternehmen trifft damit den Nerv vieler Kunden und hat in den vergangenen Jahren einen rasanten Aufstieg mit einem aktuellen Umsatz von über EUR 100 Mio. genommen.
Die erfolgreiche Transformation der Berief GmbH zu einem modernen Unternehmen der Lebensmittelindustrie beruht neben der konsequenten Strategieumsetzung vor allem auf zwei Schwerpunkten: der Ausrichtung auf Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Denn zum einen wird eine nachhaltige, ausgewogene Ernährung immer mehr zum Schlüssel für Wirtschaft, Umwelt und Gesundheit, zum anderen schaffen Daten die notwendige Transparenz für die Weiterentwicklung des Unternehmens. „Innovation ist einfach, Umsetzung ist alles“, fasste Bernd Eßer die Neuausrichtung der Berief GmbH zusammen.
Künstliche kulinarische Intelligenz: Behalten wir die Kontrolle über unsere Lebensmittel?
Publizist und Food-Aktivist Hendrik Haase tauchte mit den Teilnehmern des Branchendialogs tief in die Zukunftsszenarien für die Agrar- und Ernährungsindustrie ein und stellte gleich zu Beginn die entscheidenden Fragen: Was ist KI? Wo wirkt das entlang der Lieferkette? Geht das wieder weg? Die klare Antwort: Nein, das geht nicht mehr weg und wird uns künftig auch in der Agrar- und Ernährungsindustrie begleiten.
Künstliche Intelligenz hat inzwischen in vielen Bereichen der Branche Einzug gehalten. Das Einsatzspektrum der Algorithmen reicht von der Produktanalyse über die Erntevorhersage bis zur individuellen Gestaltung von Essensplänen in Pflegeeinrichtungen und der Überwachung von Backprozessen mittels Geruchsanalyse. „Es handelt sich um einen Paradigmenwechsel, wir kommen in eine andere Welt hinein“, beschrieb Hendrik Haase die bereits zahlreichen Anwendungsmöglichkeiten für KI, die weit über den Begriff der „Digitalisierung“ hinausgehen. Allerdings gilt auch für die KI-Transformation: es braucht Mut und Investitionen in die Weiterentwicklung und Veränderung der Geschäftsmodelle, wenn aus Daten und Ideen Nutzen gezogen werden soll. Vor allem aber: „Begreifen Sie Technologie als Werkzeug und nicht als etwas, das einfach über uns kommt“, appellierte Haase an das Auditorium.
Nachhaltigkeit in der Zuckerindustrie
Dr. Lars Gorissen, Vorstandsvorsitzender der Nordzucker AG, umriss in seinem Beitrag die aktuellen Herausforderungen der Zuckerindustrie. Ganz oben auf der Agenda stehen auch hier der Klimawandel, die Anforderungen von Gesetzgeber, Kunden und Öffentlichkeit sowie die nachhaltige Ausrichtung der Branche. Insbesondere diese Aufgabe ist nicht zu unterschätzen, denn die Zuckerherstellung ist ein sehr energieintensiver Prozess an dessen Ende ein qualitativ hochwertiges Produkt stehen soll. Doch gerade darin liegt laut Lars Gorissen das Dilemma für die Produzenten: „Im Ergebnis werden die Kunden den Unterschied in der Herstellung nicht spüren, aber dahinter wird in wenigen Jahren ein anderes Produktionsverfahren liegen - vom Anbau bis zur Verarbeitung auf Basis einer neuen Energieversorgung. Unsere Aufgabe ist es, dies transparent zu dokumentieren und zu kommunizieren.“
Nordzucker strebt an, die CO2-Emissionen entlang seiner gesamten Wertschöpfungskette bis 2030 deutlich zu reduzieren - um über 50 % in der eigenen Produktion und bei zugekaufter Energie sowie bei vor- und nachgelagerten Prozessen um 30 % - und bis 2050 ein klimaneutrales Unternehmen zu sein. Aber damit nicht genug: Gemeinsam mit seinen rund 12.000 Erzeugerbetrieben arbeitet der Konzern unter Berücksichtigung von Klima-, Wasser- und Bodenschutz sowie von Biodiversität und weniger Pflanzenschutz an innovativen Lösungen für den Rübenanbau von morgen. Im Projekt „Smart Beet Initiative“ hat Nordzucker seine verstärkte Anbauberatung für die Landwirte gebündelt, während die „Green Data Base“ die digitale Landwirtschaft auf Datenbasis vorantreibt. Zusammenfassend stellte Lars Gorissen fest: „Die Branche verfügt über ein hervorragendes Angebot: Zucker ist bei aller Kritik ein wertvolles Lebensmittel, seine Hersteller sind regional fest verankert und mit Blick in die Zukunft genießen Klimaschutz und Nachhaltigkeit hohe Priorität.“
Fortsetzung folgt: Branchendialog Agrar & Ernährung auch 2024 wieder in Düsseldorf
Die Jubiläumsausgabe des Branchendialogs Agrar & Ernährung setzte einmal mehr wichtige Impulse für die Branche und so konnte Dr. Jens Petersen zufrieden feststellen: „Unser Ziel ist es immer, im Rahmen der Veranstaltung die gesamte Wertschöpfungskette der Branche abzubilden und den Teilnehmern aus erster Hand einen umfassenden Einblick in die Agrar- und Ernährungsindustrie zu geben. Dies ist uns auch in diesem Jahr wieder gut gelungen.“
„Wir hatten einmal mehr starke Vorträge und lebhafte Diskussionen zu zahlreichen aktuellen Themen und wir gehen davon aus, dass sich daran auch im kommenden Jahr nichts ändern wird. Als führender Berater der Agrar- und Ernährungsindustrie freuen wir uns bereits jetzt auf die Fortsetzung des Dialogs“, blickte Klaus-Martin Fischer bereits auf die 11. Ausgabe des Branchendialogs Agrar & Ernährung 2024 in Düsseldorf voraus.