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Steuerberatung

Vorläufige Insolvenzverwaltung: Vorsteuererstattungsanspruch gehört Masse

Niedersächsisches FG 7.9.2017, 11 K 10305/15

Nach § 55 Abs. 4 InsO sind le­dig­lich Ver­bind­lich­kei­ten, nicht aber For­de­run­gen den Mas­se­ver­bind­lich­kei­ten zu­ge­wie­sen. An­ge­sichts des ein­deu­ti­gen Wort­lauts der Vor­schrift ist die­ser ei­ner ab­wei­chen­den Aus­le­gung nicht zugäng­lich.

Der Sach­ver­halt:
Strei­tig ist, ob es sich bei einem während der Zeit der vorläufi­gen In­sol­venz­ver­wal­tung begründe­ten Vor­steu­er­er­stat­tungs­an­spruch um einen An­spruch der In­sol­venz­masse han­delt oder die­ser dem vor­in­sol­venz­recht­li­chen Un­ter­neh­mens­teil zu­zu­ord­nen ist. Der Kläger ist In­sol­venz­ver­wal­ter über das Vermögen der X-GmbH & Co. KG. Mit Be­schluss des AG Ham­burg wurde der Kläger im März 2014 zur Si­che­rung der künf­ti­gen In­sol­venz­masse und zur Aufklärung des Sach­ver­halts zum vorläufi­gen In­sol­venz­ver­wal­ter be­stellt.

Das AG ord­nete an, dass Verfügun­gen der GmbH & Co. KG über ihr Vermögen nur noch mit Zu­stim­mung des Klägers wirk­sam sein soll­ten. Dritt­schuld­nern wurde ver­bo­ten, an die GmbH & Co KG zu zah­len. Der Kläger wurde ermäch­tigt, Bank­gut­ha­ben und sons­tige For­de­run­gen der GmbH & Co KG ein­zu­zie­hen so­wie ein­ge­hende Gelder ent­ge­gen­zu­neh­men. Die Dritt­schuld­ner wur­den auf­ge­for­dert, nur noch un­ter Be­ach­tung die­ser An­ord­nung zu leis­ten. Der Kläger wurde nicht zum all­ge­mei­nen Ver­tre­ter der GmbH & Co KG be­stellt. Die Ver­wal­tungs- und Verfügungs­be­fug­nis ist nicht nach § 22 InsO auf den Kläger über­tra­gen wor­den (sog. "schwa­cher vorläufi­ger In­sol­venz­ver­wal­ter"). Über das Vermögen der GmbH & Co. KG wurde im Ok­to­ber 2014 das In­sol­venz­ver­fah­ren eröff­net.

Im März 2015 reichte der Kläger Um­satz­steuer-Vor­an­mel­dun­gen für das 2. und 3. Ka­len­der­vier­tel­jahr 2014 mit Vor­steuer-Gut­ha­ben ein. Das Fi­nanz­amt lehnte die Fest­set­zun­gen ab. Eine Fest­set­zung im Mas­se­zeit­raum komme nur in Frage, so­fern im Zeit­raum des vorläufi­gen In­sol­venz­ver­fah­rens ins­ge­samt eine Um­satz­steuer-Zahl­last ent­stan­den sei. Vor­lie­gend sei für beide Vor­an­mel­dungs­zeiträume je­doch eine Er­stat­tung an­ge­mel­det wor­den. Er­stat­tungs­an­sprüche zähl­ten zu den In­sol­venz­for­de­run­gen und nicht zu den Mas­se­ver­bind­lich­kei­ten. Nicht als Mas­se­ver­bind­lich­keit i.S.d. § 55 Abs. 4 InsO gel­tend zu ma­chende Um­satz­steu­er­ver­bind­lich­kei­ten müss­ten als In­sol­venz­for­de­rung zur In­sol­venz­ta­belle an­ge­mel­det wer­den.

Das FG wies die Klage ab. Die Re­vi­sion zum BFH wurde we­gen der grundsätz­li­chen Be­deu­tung der Rechts­sa­che zu­ge­las­sen.

Die Gründe:
Das Fi­nanz­amt hat zu Recht an­ge­nom­men, dass es sich bei dem während der Zeit der vorläufi­gen In­sol­venz­ver­wal­tung begründe­ten Vor­steu­er­er­stat­tungs­an­spruch um einen An­spruch der In­sol­venz­masse han­delt.

Nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO sind Mas­se­ver­bind­lich­kei­ten nur die Ver­bind­lich­kei­ten, die durch Hand­lun­gen des In­sol­venz­ver­wal­ters oder in an­de­rer Weise durch die Ver­wal­tung, Ver­wer­tung und Ver­tei­lung der In­sol­venz­masse begründet wer­den. Ver­bind­lich­kei­ten, die von einem vorläufi­gen In­sol­venz­ver­wal­ter oder vom Schuld­ner mit Zu­stim­mung ei­nes vorläufi­gen In­sol­venz­ver­wal­ters begründet wor­den sind, gel­ten nach Eröff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens nach § 55 Abs. 4 InsO als Mas­se­ver­bind­lich­keit.

Vor­lie­gend ist § 55 Abs. 4 InsO schon sei­nem Wort­laut nach nicht an­wend­bar, da die Vor­schrift le­dig­lich Ver­bind­lich­kei­ten, nicht aber For­de­run­gen den Mas­se­ver­bind­lich­kei­ten zu­weist. An­ge­sichts des ein­deu­ti­gen Wort­lauts ist die­ser ei­ner ab­wei­chen­den Aus­le­gung nicht zugäng­lich. Denn auch die Ge­set­zes­begründung geht ein­deu­tig da­von aus, dass diese Norm le­dig­lich den Nach­teil aus­glei­chen will, den der Fis­kus als Zwangsgläubi­ger hin­zu­neh­men hat. Dar­aus folgt, dass der Ge­setz­ge­ber in­so­fern keine Gleich­be­hand­lung von Ver­bind­lich­kei­ten und For­de­run­gen zum Re­ge­lungs­ziel hatte. Die Neu­re­ge­lung verstößt auch nicht ge­gen Art. 3 GG, da es sich bei der an­sons­ten schutz­lo­sen Zwangsgläubi­ger­schaft des Fis­kus um einen sach­li­chen Recht­fer­ti­gungs­grund für eine ggf. be­ste­hende Un­gleich­be­hand­lung han­delt.

Die Ar­gu­men­ta­tion des Klägers, wo­nach eine Qua­li­fi­ka­tion des Vor­steu­er­er­stat­tungs­an­spruchs als Mas­se­ver­bind­lich­keit dar­aus ab­zu­lei­ten sei, dass mit der In­sol­ven­zeröff­nung eine durchgängige Um­stel­lung von der Soll- auf die Ist-Ver­steue­rung mit der Folge ei­ner Kon­ne­xität zwi­schen Um­satz­steu­er­pflicht und Vor­steu­er­ab­zugs­be­rech­ti­gung statt­finde, ver­kennt, dass nach ständi­ger zu­tref­fen­der höchstrich­ter­li­cher Recht­spre­chung das Un­ter­neh­men - be­dingt durch die Er­for­der­nisse des In­sol­venz­rechts - nach Ver­fah­ren­seröff­nung aus meh­re­ren Un­ter­neh­mens­tei­len (vor­in­sol­venz­recht­li­cher Un­ter­neh­mens­teil, In­sol­venz­masse und in­sol­venz­freies Vermögen) be­steht, zwi­schen de­nen ein­zelne um­satz­steu­er­recht­li­che Be­rech­ti­gun­gen und Ver­pflich­tun­gen nicht mit­ein­an­der ver­rech­net wer­den können.

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