Die Zeiten der Konkursordnung sind längst vorbei. Eine Insolvenz bedeutet schon lange nicht mehr automatisch die Abwicklung von in Not geratenen Unternehmen. Vielmehr steht seit der 1999 in Kraft getretenen Insolvenzordnung der Sanierungsgedanke im Vordergrund. Mit einer weiteren Reform des Insolvenzrechts im Jahr 2011 wurden die Möglichkeiten zur Sanierung durch ein Insolvenzverfahren (Insolvenzplanverfahren, Schutzschirmverfahren und Eigenverwaltung) weiter gestärkt mit dem Ergebnis zahlreicher erfolgreicher Restrukturierungen. Allerdings haben solche gerichtlichen Verfahren erhebliche Auswirkungen auf die Unternehmen. Sie erfordern beträchtlichen Koordinationsaufwand, der in der Regel nicht ohne fachkundige Berater bewältigt werden kann. Auch sind Insolvenzverfahren komplex und ihr Ausgang nicht immer vorhersagbar. Deshalb ist eine Sanierung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens meistens nur die zweitbeste Lösung.
Vorzuziehen sind Sanierungen außerhalb einer Insolvenz, wenngleich diese eine Reihe von Hindernissen nach sich ziehen. So sind Sanierungsbeiträge der Stakeholder, insbesondere der Gläubiger, meist nur mit deren Zustimmung bzw. entsprechenden Vertragsänderungen zu erlangen. Auch stellen die Finanzierer ihre Beiträge in der Regel unter Konsortialvorbehalt. Sie leisten also ihren Beitrag nur, wenn auch alle anderen Stakeholder dazu bereit sind - eine der größten Herausforderungen in der außergerichtlichen Restrukturierung. Dies macht teilweise langwierige Verhandlungen erforderlich. Nicht selten nutzen einzelne Gläubiger ihre Position, um Sondervorteile zu erlangen. Mitunter scheitern hieran außerinsolvenzliche Sanierungen. Dann bleibt ein Insolvenzverfahren als einziger Ausweg.
2016 hat die EU-Kommission den Entwurf einer Richtlinie über „einen präventiven Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren“ präsentiert. Am 28.3.2019 beschloss nun das EU-Parlament die Richtlinie in der endgültigen Fassung. Einen wesentlichen Bestandteil der Richtlinie bildet der sog. „präventive Restrukturierungsrahmen“. Dieser ermöglicht den in finanziellen Schwierigkeiten befindlichen Unternehmen frühzeitig eine strukturierte Sanierung. Derartige vorinsolvenzliche Verfahren gibt es teilweise bereits in anderen Ländern, etwa in Großbritannien das „Scheme of Arrangement“.
Der „präventive Restrukturierungsrahmen“ ist ein Mittel zur Reorganisation des Unternehmens durch finanzielle Restrukturierung. Im Mittelpunkt steht eine Neugestaltung der Finanzierungsstruktur, z. B. durch DebtEquity Swaps, Forderungs(teil)verzichte, Beteiligungsmodifikationen, Umschuldung oder Neuregelung der Sicherheiten. Die notwendigen Maßnahmen sollen in einem Restrukturierungsplan erfasst werden. Am Ende des Verfahrens stimmen die Gläubiger über den Restrukturierungsplan ab, der vom Gericht bestätigt wird. In dem Plan sind die rechtlichen Regelungen enthalten, die zur beabsichtigten Restrukturierung als notwendig erachtet werden. Der Restrukturierungsplan ist gleichsam ein Gesamtvergleich mit allen betroffenen Gläubigern. Anders als ein außergerichtlicher Sanierungsvergleich muss der Restrukturierungsplan jedoch nicht einstimmig, sondern lediglich mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden. Die nicht zustimmenden Gläubiger sind dann auch an den Plan gebunden.
Noch ist unklar, wie der deutsche Gesetzgeber die Einzelheiten der Richtlinie in nationales Recht umsetzen wird. Fest steht jedoch, dass es ein zusätzliches, förmliches Sanierungsinstrument geben wird, das sich von einer Insolvenz unterscheidet und vorher ansetzt. Das Verfahren wird in „Eigenverwaltung“ durchgeführt. Damit gibt die Geschäftsführung die Leitung nicht an einen gerichtlich bestellten Verwalter ab. Dadurch dürfte sich die Akzeptanz und Prozesssicherheit des neuen Sanierungsinstruments erhöhen.
Die Einführung eines „präventiven Restrukturierungsrahmens“ ist zu begrüßen. Nach der mit der Richtlinie vorgegebenen Grundkonzeption bietet das Verfahren ein nützliches Instrument im Baukasten der Restrukturierung. Zweifelsohne wird auch ein „präventiver Restrukturierungsrahmen“ kein Selbstläufer sein. Ein solches Verfahren kann die offene Kommunikation und ergebnisorientierte Verhandlung mit den Gläubigern, beides Kern jeder erfolgreichen Sanierung, nicht ersetzen. Auch mit einem solchen Instrument bedarf es der Überzeugung der Mehrheit der Gläubiger. Eine Sanierung gegen deren Willen ist auch mit einem „präventiven Restrukturierungsrahmen“ aussichtslos. Allerdings kann der präventive Restrukturierungsrahmen dazu beitragen, dass Unternehmen in einer Sanierung weniger erpressbar sind. Einzelnen Gläubigern wird die Realisierung von Partikularinteressen erschwert.
Das Heft des Handelns liegt nun bei den EU-Mitgliedstaaten, so auch beim deutschen Gesetzgeber, der die Richtlinie in nationales Recht umsetzen muss. Mit einem Einsatz des neuen Instruments ist spätestens ab 2022 zu rechnen.