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Rechtsprechungsänderung bei der Eigenbedarfskündigung

BGH 14.12.2016, VIII ZR 232/15

Die Gel­tend­ma­chung des Ei­gen­be­darfs ei­nes Ge­sell­schaf­ters oder des­sen An­gehöri­gen ist in al­len we­sent­li­chen Punk­ten ei­ner Mit­ei­gentümer- oder Er­ben­ge­mein­schaft ver­gleich­bar, die sich als recht­lich nicht ver­selbständigte Zu­sam­men­schlüsse natürli­cher Per­so­nen un­mit­tel­bar auf § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB be­ru­fen können. sich im sel­ben Haus oder der­sel­ben Wohn­an­lage be­fin­det. Der BGH hält nicht länger daran fest, dass die Ver­let­zung ei­ner An­biet­pflicht durch den Ver­mie­ter die Un­wirk­sam­keit der Ei­gen­be­darfskündi­gung zur Folge hat.

Der Sach­ver­halt:
Die Be­klag­ten hat­ten im Jahr 1985 vom Rechts­vorgänger der Kläge­rin eine 5-Zim­mer-Woh­nung in München an­ge­mie­tet. Die Miete für die 166 qm große Woh­nung beläuft sich mitt­ler­weile auf rund 1.374 € mo­nat­lich. Die Kläge­rin ist eine im Jahr 1991 gegründete, aus vier Ge­sell­schaf­tern be­ste­hende GbR, die das An­we­sen, in dem die strei­tige Woh­nung liegt, im Gründungs­jahr er­wor­ben hatte. Nach dem Ge­sell­schafts­ver­trag be­steht der Zweck der Ge­sell­schaft in der "In­stand­set­zung, Mo­der­ni­sie­rung und dem Aus­bau des An­we­sens, des­sen Ver­mie­tung so­wie nach Möglich­keit der Auf­tei­lung in Woh­nungs­ei­gen­tum".

Im Jahr 1994 be­gann die Kläge­rin mit der Sa­nie­rung des An­we­sens und der Auf­tei­lung der Woh­nun­gen, wo­bei ei­nige in­zwi­schen ver­kauft wur­den. Die Woh­nung der Be­klag­ten ist die letzte Woh­nung, die noch nicht sa­niert ist. Im Sep­tem­ber 2013 kündigte die Kläge­rin das Miet­verhält­nis und begründete dies mit Ei­gen­be­darf der Toch­ter ei­nes der Ge­sell­schaf­ter. Die Be­klag­ten tra­ten der Kündi­gung je­doch ent­ge­gen­ge­tre­ten.

Das AG wies die Räum­ungs­klage ab. Das Ge­richt war der An­sicht, dass die Kündi­gung im Hin­blick auf die ein­schlägige BGH-Recht­spre­chung we­gen Rechts­miss­brauchs un­wirk­sam war, da die Kläge­rin treu­wid­rig versäumt hatte, den Be­klag­ten eine seit April 2014 leer­ste­hende 76 qm große 2-Zim­mer-Woh­nung im Erd­ge­schoss an­zu­bie­ten. Das LG wies die Be­ru­fung der Kläge­rin zurück, wo­bei das Ge­richt - un­ter be­wuss­ter Ab­wei­chung von der BGH-Recht­spre­chung - die Auf­fas­sung ver­tre­ten hatte, dass mit Rück­sicht auf den u.a. in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB vor­ge­se­he­nen Be­stands- und Verdrängungs­schutz des Mie­ters eine GbR einen Wohn­raum­miet­ver­trag be­reits von vorn­her­ein nicht we­gen Ei­gen­be­darfs ei­nes Ge­sell­schaf­ters oder des­sen An­gehöri­gen kündi­gen dürfe.

Auf die Re­vi­sion der Kläge­rin hat der BGH das Be­ru­fungs­ur­teil auf­ge­ho­ben und zur er­neu­ten Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das LG zurück­ver­wie­sen.

Gründe:
Die Vor­in­stanz muss noch wei­tere not­wen­dige Fest­stel­lun­gen zum Vor­lie­gen des gel­tend ge­mach­ten Ei­gen­be­darfs und zu mögli­chen Härtegründen tref­fen.

Zulässig­keit von Ei­gen­be­darfskündi­gun­gen durch GbR
Der sei­nem Wort­laut nach auf natürli­che Per­so­nen zu­ge­schnit­tene Kündi­gungs­tat­be­stand des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB ist in den Fällen ent­spre­chend an­zu­wen­den, in de­nen als Ver­mie­te­rin eine teil­rechtsfähige (Außen-)Ge­sell­schaft des bürger­li­chen Rechts auf­tritt. Ei­ner GbR ist so­mit ein Ei­gen­be­darf ei­nes Ge­sell­schaf­ters oder de­ren An­gehöri­gen "zu­zu­rech­nen". Die vom LG an­ge­stell­ten Schutz­zwecküber­le­gun­gen ste­hen ei­ner ent­spre­chen­den An­wen­dung des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB nicht ent­ge­gen. Un­zu­tref­fend ist be­reits die Prämisse, der Kündi­gungs­tat­be­stand des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB solle den Mie­ter vor einem Verdrängungs­ri­siko durch eine unüber­schau­bare An­zahl von Per­so­nen auf Ver­mie­ter­seite schützen. Denn die­ser Zweck kommt al­lein der Kündi­gungs­sperre in § 577a BGB zu.

Der Zweck der Kündi­gungs­re­ge­lun­gen in § 573 BGB be­steht viel­mehr darin, ei­ner­seits den ver­trags­treuen Mie­ter, für den die Woh­nung einen Le­bens­mit­tel­punkt dar­stellt, vor willkürli­chen Kündi­gun­gen zu schützen, an­de­rer­seits aber auch dem Ver­mie­ter die Be­fug­nis ein­zuräumen, sich bei Vor­lie­gen ei­nes trif­ti­gen Grun­des aus dem Miet­verhält­nis lösen zu können. Durch die Aus­ge­stal­tung der ein­zel­nen Kündi­gungs­tat­bestände sol­len kei­nes­wegs nur (be­rech­tigte) Mie­ter­in­ter­es­sen ge­schützt wer­den. Viel­mehr soll ein ge­rech­ter In­ter­es­sen­aus­gleich zwi­schen den Miet­ver­trags­par­teien ermöglicht wer­den. In­so­fern wurde den Mit­glie­dern ei­ner (Außen-)Ge­sell­schaft des bürger­li­chen Rechts vor de­ren im Jahr 2001 durch den BGH er­folg­ten An­er­ken­nung ih­rer Teil­rechtsfähig­keit - un­abhängig von der Über­schau­bar­keit ih­rer Ge­sell­schaf­ter­verhält­nisse - die Be­fug­nis zu­ge­bil­ligt, sich als Ver­mie­ter­mehr­heit gem. § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB auf den Ei­gen­be­darf ei­nes Ge­sell­schaf­ters oder des­sen An­gehöri­gen zu be­ru­fen.

Durch die An­er­ken­nung ei­ner Teil­rechtsfähig­keit ei­ner (Außen-)Ge­sell­schaft des bürger­li­chen Rechts sind zwar nicht mehr die Ge­sell­schaf­ter als natürli­che Per­so­nen Ver­mie­ter, son­dern die Ge­sell­schaft ist selbst Ver­mie­te­rin ge­wor­den, so dass der auf natürli­che Per­so­nen zu­ge­schnit­tene Kündi­gungs­tat­be­stand des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB nicht mehr di­rekt an­wend­bar ist. Die In­ter­es­sen­lage hat sich aber - was das LG nicht hin­rei­chend in den Blick ge­nom­men hatte - nicht verändert. Ins­be­son­dere hatte die An­er­ken­nung der Teil­rechtsfähig­keit ei­ner (Außen-)Ge­sell­schaft des bürger­li­chen Rechts nicht zum Ziel, die ihr bis da­hin zu­kom­mende Rechts­po­si­tion zu be­schnei­den. Auch ha­ben sich An­zahl und Iden­tität der Mit­glie­der ei­ner GbR hier­durch nicht verändert.

Al­ler­dings ist durch diese rein auf ge­sell­schafts­recht­li­chen Erwägun­gen be­ru­hende Recht­spre­chungsände­rung eine - auch vom Ge­setz­ge­ber im Rah­men der Miet­rechts­re­form nicht er­kannte und da­mit un­ge­plante - Re­ge­lungslücke ent­stan­den. Den Ge­set­zes­ma­te­ria­lien zum Miet­rechts­re­form­ge­setz (in Kraft seit 1.9.2001) ist zu ent­neh­men, dass eine Ände­rung der bis­he­ri­gen Rechts­lage nicht be­ab­sich­tigt war. Mit der im Jahr 2013 er­folg­ten Ergänzung der Kündi­gungs­sperre des § 577a BGB auf be­stimmte Fälle der Kündi­gung we­gen Ei­gen­be­darfs ei­nes Ge­sell­schaf­ters ei­ner Per­so­nen­ge­sell­schaft hat der Ge­setz­ge­ber (er­neut) bestätigt, dass er ei­ner GbR nicht die Be­fug­nis zur Kündi­gung we­gen Ei­gen­be­darfs ei­nes Ge­sell­schaf­ters oder des­sen An­gehöri­gen ab­spre­chen will, son­dern le­dig­lich in be­stimm­ten Fall­kon­stel­la­tio­nen die Verlänge­rung der Kündi­gungs­frist für ge­bo­ten hält.

Die durch die An­er­ken­nung der Teil­rechtsfähig­keit ei­ner (Außen-)Ge­sell­schaft des bürger­li­chen Rechts ent­stan­dene Re­ge­lungslücke lässt sich nicht al­lein durch einen Rück­griff auf die Ge­ne­ralklau­sel des § 573 Abs. 1 S. 1 BGB schließen, denn ein be­rech­tig­tes In­ter­esse i.S.d. Vor­schrift er­for­dert eine um­fas­sende Würdi­gung al­ler Ein­zel­fal­lumstände, während es sich bei den in § 573 Abs. 2 BGB auf­geführ­ten Kündi­gungs­tat­beständen um ge­setz­lich ty­pi­sierte Fälle ei­nes die Be­lange des Mie­ters über­wie­gen­den be­rech­tig­ten In­ter­es­ses des Ver­mie­ters han­delt. Viel­mehr ist die Lücke im Wege der ana­lo­gen An­wen­dung des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB da­hin zu schließen, dass sich auch eine teil­rechtsfähige (Außen-) Ge­sell­schaft bürger­li­chen Rechts auf einen Ei­gen­be­darf ih­rer Ge­sell­schaf­ter oder de­ren An­gehöri­gen be­ru­fen darf.

Die Gel­tend­ma­chung des Ei­gen­be­darfs ei­nes Ge­sell­schaf­ters oder des­sen An­gehöri­gen ist in al­len we­sent­li­chen Punk­ten ei­ner Mit­ei­gentümer- oder Er­ben­ge­mein­schaft ver­gleich­bar, die sich als recht­lich nicht ver­selbständigte Zu­sam­men­schlüsse natürli­cher Per­so­nen un­mit­tel­bar auf § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB be­ru­fen können. Auch bei sol­chen Ver­mie­ter­mehr­hei­ten gibt es - ebenso wie bei GbR - eine große Band­breite un­ter­schied­li­cher Struk­tu­ren. Ne­ben klei­nen und kom­pak­ten Mit­ei­gentümer- und Er­ben­ge­mein­schaf­ten gibt es auch sol­che, die eine große Mit­glie­der­zahl oder ver­floch­tene Struk­tu­ren auf­wei­sen, was etwa bei über meh­rere Ge­ne­ra­tio­nen fort­ge­setz­ten Er­ben­ge­mein­schaf­ten der Fall ist. Folg­lich ist die vom LG an­geführte "Unüber­schau­bar­keit" des Mit­glie­der­be­stands be­stimm­ter GbR in An­be­tracht des Norm­zwecks des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB kein Kri­te­rium, das es er­lau­ben würde, eine GbR schlech­ter zu stel­len als eine Mit­ei­gentümer- oder Er­ben­ge­mein­schaft. Auf Miss­brauchsfälle können die Ge­richte wei­ter­hin mit der An­wen­dung der Vor­schrift des § 242 BGB an­ge­mes­sen rea­gie­ren.

Recht­spre­chungsände­rung zur An­biet­pflicht ei­nes Ver­mie­ters
Bezüglich der vom AG be­jah­ten und vom LG of­fen ge­las­se­nen Frage, ob die Ei­gen­be­darfskündi­gung der Ver­mie­te­rin durch die un­ter­las­sene An­bie­tung ei­ner im sel­ben An­we­sen ge­le­ge­nen Zwei­zim­mer­woh­nung rechts­missbräuch­lich und da­mit un­wirk­sam ge­wor­den ist, hat der Se­nat in Abände­rung sei­ner bis­he­ri­gen Recht­spre­chung aus­ge­spro­chen, dass dies nicht die Un­wirk­sam­keit ei­ner be­rech­tigt aus­ge­spro­che­nen Ei­gen­be­darfskündi­gung zur Folge hat. Zwar ist ein Ver­mie­ter ver­pflich­tet, die Fol­gen ei­ner auf Ei­gen­be­darf gestütz­ten Kündi­gung für den Mie­ter so ge­ring wie möglich zu hal­ten, da der Woh­nung als Mit­tel­punkt der persönli­chen Exis­tenz ei­nes Men­schen be­son­dere Be­deu­tung von Ver­fas­sungs­rang zu­kommt. Der Ver­mie­ter hat dem be­trof­fe­nen Mie­ter des­halb eine an­dere, ihm während der Kündi­gungs­frist zur Verfügung ste­hende Woh­nung zur An­mie­tung an­zu­bie­ten, so­fern diese sich im sel­ben Haus oder der­sel­ben Wohn­an­lage be­fin­det. Al­ler­dings hält der Se­nat nicht länger daran fest, dass die Ver­let­zung ei­ner sol­chen An­biet­pflicht durch den Ver­mie­ter die Un­wirk­sam­keit der Ei­gen­be­darfskündi­gung zur Folge hat.

Schließlich stellt sich hier­durch eine - rechts­wirk­sam - aus­ge­spro­chene Kündi­gung nicht nachträglich als un­zulässige Rechts­ausübung gem. § 242 BGB dar. Viel­mehr zieht eine Ver­let­zung der miet­ver­trag­li­chen Rück­sicht­nah­me­pflich­ten des Ver­mie­ters gem. § 241 Abs. 2 BGB - wie auch bei sons­ti­gen Verstößen ge­gen Ne­ben­pflich­ten - le­dig­lich Scha­dens­er­satz­an­sprüche nach sich. Dem Mie­ter können da­her al­len­falls Er­satz­an­sprüche in Geld für hier­durch ent­stan­dene Schäden (etwa Um­zugs- und Mak­ler­kos­ten) zu­ste­hen.

Link­hin­weise:

  • Der Voll­text die­ser Ent­schei­dung wird demnächst auf den Web­sei­ten des BGH veröff­ent­licht.
  • Für den Voll­text der Ent­schei­dung kli­cken Sie bitte hier.
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