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Steuerberatung

Öffnungsklausel: Berücksichtigung von Beitragsnachzahlungen für Vorjahre

BFH v. 4.9.2019 - X R 43/17

Konnte der Steu­er­pflich­tige in ren­ten­recht­lich zulässi­ger Weise Nach­zah­lun­gen von Vor­sor­ge­beiträgen für ein vor­an­ge­gan­ge­nes Ka­len­der­jahr leis­ten, die je­doch erst im Zah­lungs­jahr ren­ten­recht­lich wirk­sam wer­den, sind diese Beiträge im Rah­men der Öff­nungs­klau­sel des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Dop­pel­buchst. bb Satz 2 EStG als Beiträge für das Jahr zu berück­sich­ti­gen, für das sie zulässi­ger­weise ge­leis­tet wur­den.

Der Sach­ver­halt:
Der Kläger be­zieht seit Ok­to­ber 2003 we­gen Be­rufs­unfähig­keit Ver­sor­gungs­leis­tun­gen aus der Baye­ri­schen Ärz­te­ver­sor­gung (Ver­sor­gungs­werk). Er war seit 1970 bis zu sei­ner Ver­ren­tung im We­sent­li­chen als an­ge­stell­ter Arzt, zeit­weise auch frei­be­ruf­lich tätig. In die­ser Zeit hatte er Beiträge an das Ver­sor­gungs­werk ge­leis­tet, da­von während sei­ner Aus­landstätig­keit in den 80er-Jah­ren und nach­fol­gend we­gen Über­schrei­tens der Al­ters­grenze als frei­wil­li­ges Mit­glied. Aus­weis­lich der Über­sicht des Ver­sor­gungs­werks la­gen die Beiträge für neun Jahre (1985, 1987, 1995, 1997, 1998, 1999, 2000, 2001 und 2003) über dem Höchst­bei­trag zur ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung. Im Jahr 2003 wa­ren es Ein­zah­lun­gen i.H.v. ins­ge­samt 52.676 €. Hier­von wa­ren laut Über­wei­sungsträger frei­wil­lige Mehr­zah­lun­gen i.H.v. ins­ge­samt 25.776 € für das Ka­len­der­jahr 2002 be­stimmt.

Das Ver­sor­gungs­werk setzte als frei­wil­lige Mehr­zah­lun­gen für 2002 einen Be­trag von 23.711 € und für 2003 einen Be­trag von 16.800 € fest. Es teilte dem Kläger mit, die Vor­aus­set­zun­gen der sog. Öff­nungs­klau­sel gem. § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Dop­pel­buchst. bb Satz 2 EStG seien nicht erfüllt, da er vor 2005 nur in neun Jah­ren Ein­zah­lun­gen ober­halb des Höchst­bei­trags ge­leis­tet habe. Die frei­wil­li­gen Mehr­zah­lun­gen für 2002 seien da­her eben­falls dem be­reits berück­sich­tig­ten Zah­lungs­jahr 2003 zu­zu­ord­nen.

Das Fi­nanz­amt be­steu­erte die Ver­sor­gungs­leis­tun­gen in den Streit­jah­ren 2009, 2010 und 2012 mit ih­rem Be­steue­rungs­an­teil gem. § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Dop­pel­buchst.aa EStG. Da­ge­gen be­an­tragte der Kläger die An­wen­dung der Öff­nungs­klau­sel auf die Ver­sor­gungs­leis­tun­gen, da der Höchst­bei­trag bei zu­tref­fen­der Sicht­weise zehn Jahre über­schrit­ten wor­den sei. So­mit seien 22,11 % der Rente mit dem Er­trags­an­teil zu ver­steu­ern.

Das FG gab der Klage statt. Auf die Re­vi­sion des Fi­nanz­am­tes hob der BFH die Ent­schei­dung auf und ver­wies die Sa­che zur wei­te­ren Sach­aufklärung und er­neu­ten Ent­schei­dung zurück.

Gründe:
Die Fest­stel­lun­gen des FG tra­gen nicht des­sen Ent­schei­dung, dass der Höchst­bei­trag in dem für die An­wen­dung der Öff­nungs­klau­sel er­for­der­li­chen Um­fang von (min­des­tens) zehn Jah­ren über­schrit­ten wurde.

Der vor­lie­gende Fall, der da­durch ge­kenn­zeich­net ist, dass der Kläger zwar in ren­ten­recht­lich zulässi­ger Weise Nach­zah­lun­gen für ein vor­an­ge­gan­ge­nes Ka­len­der­jahr leis­ten konnte, diese aber erst im nach­fol­gen­den Zah­lungs­jahr ren­ten­recht­lich wirk­sam wur­den, ist bei der Prüfung des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Dop­pel­buchst. bb Satz 2 EStG mit der Kon­stel­la­tion ei­ner Nach­ver­si­che­rung in die ge­setz­li­che Ren­ten­ver­si­che­rung ver­gleich­bar. Nach Sinn und Zweck der Öff­nungs­klau­sel sind diese Nach­zah­lun­gen bei der Er­mitt­lung des Zehn­jah­res­zeit­raums eben­falls als Beiträge des Jah­res zu berück­sich­ti­gen, für das sie zulässi­ger­weise ge­leis­tet wur­den. Be­han­delt dem­nach das Ver­sor­gungs­werk auf­grund sei­ner Sat­zungs­be­stim­mun­gen einen Teil der frei­wil­li­gen Mehr­zah­lun­gen in einem Jahr - mit Aus­nahme des Zeit­punkts der Ren­ten­wirk­sam­keit - wie eine Nach­ver­si­che­rung für das vor­he­rige Jahr, ähnelt dies - wirt­schaft­lich be­trach­tet - ei­ner Ver­ren­tung nach dem Für- Prin­zip. Je­den­falls ist es ge­bo­ten, im Jahr 2002, für das in ren­ten­recht­lich zulässi­ger und ren­ten­erhöhen­der Weise frei­wil­lige Zah­lun­gen ge­leis­tet wur­den, im Rah­men der Öff­nungs­klau­sel auch die Nach­zah­lun­gen zu berück­sich­ti­gen.

Ein Son­der­aus­ga­ben­ab­zug war für die vom Kläger für 2002 nach­ge­zahl­ten frei­wil­li­gen Mehr­zah­lun­gen, die wie Pflicht­beiträge ver­ren­tet wer­den, so­mit nicht möglich. Er konnte sie im Jahr 2002 we­gen des Ab­fluss­prin­zips (§ 11 Abs. 2 Satz 1 EStG) steu­er­lich nicht gel­tend ma­chen. In dem Zah­lungs­jahr ha­ben sie sich we­gen des be­reits im Re­gel­fall übli­cher­weise aus­ge­schöpften Höchst­be­trags zur ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung eben­falls steu­er­lich nicht aus­ge­wirkt. So­mit stam­men die auf den für 2002 nach­ge­zahl­ten frei­wil­li­gen Beiträgen be­ru­hen­den Ren­ten aus ver­steu­er­tem Ein­kom­men.

Diese Aus­le­gung eröff­net ge­rade nicht die Möglich­keit, missbräuch­lich in den Gel­tungs­be­reich der Öff­nungs­klau­sel zu ge­lan­gen, da nur Zah­lun­gen vor 2005 berück­sich­tigt wer­den können. Außer­dem wa­ren nach der Sat­zung des Ver­sor­gungs­werks frei­wil­lige Mehr­zah­lun­gen le­dig­lich für ein ab­ge­lau­fe­nes Ka­len­der­jahr möglich. Die Fest­stel­lun­gen des FG tra­gen je­doch nicht des­sen Ent­schei­dung, dass der Höchst­bei­trag nach­weis­lich in dem für die An­wen­dung der Öff­nungs­klau­sel er­for­der­li­chen Um­fang von (min­des­tens) zehn Jah­ren über­schrit­ten wurde.

Da der Se­nat an­hand der vor­lie­gen­den Un­ter­la­gen nicht be­ur­tei­len kann, bezüglich wel­cher Jahre und in wel­cher Höhe Bei­trags­leis­tun­gen des Steu­er­pflich­ti­gen an das Ver­sor­gungs­werk den je­weils gel­ten­den jähr­li­chen Höchst­bei­trag über­schrit­ten ha­ben, war der Streit­fall an das FG zur wei­te­ren Sach­aufklärung zurück­zu­ver­wei­sen. So­weit beim Ver­sor­gungs­werk keine Be­scheide über die Fest­set­zung von Beiträgen und frei­wil­li­gen Mehr­zah­lun­gen für die Jahre vor 2002 mehr vor­han­den sind, könnte das FG zur Aufklärung des Sach­ver­halts den Steu­er­pflich­ti­gen zur Vor­lage der bei ihm vor­han­de­nen Bei­trags­be­scheide auf­for­dern, die der Steu­er­pflich­tige an­ge­sichts de­ren Be­deu­tung auf­be­wahrt ha­ben dürfte. Seine Mit­wir­kung liegt im wohl­ver­stan­de­nen Ei­gen­in­ter­esse, zu­mal ihm der Nach­weis ob­liegt, dass der Be­trag des Höchst­bei­trags min­des­tens zehn Jahre über­schrit­ten wurde.
 

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