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Kindergeld: BFH zum behinderungsbedingten Mehrbedarf eines volljährigen behinderten Kindes

Urteil des BFH vom 12.12.2012 - VI R 101/10

Das Ent­ste­hen des be­hin­de­rungs­be­ding­ten Mehr­be­darfs ei­nes volljähri­gen be­hin­der­ten Kin­des ist sub­stan­ti­iert dar­zu­le­gen und glaub­haft zu ma­chen; steht der Mehr­be­darf dem Grunde nach fest, ist des­sen Höhe bei feh­len­dem Nach­weis zu schätzen. Wer­den mit ei­ner Be­hin­de­rung im Zu­sam­men­hang ste­hende Kos­ten im Wege der Ein­glie­de­rungs­hilfe gem. §§ 53 ff. SGB XII durch einen So­zi­al­leis­tungsträger über­nom­men, ist diese ei­ner­seits als Leis­tung ei­nes Drit­ten bei den verfügba­ren ei­ge­nen fi­nan­zi­el­len Mit­teln und an­de­rer­seits als im Ein­zel­nen nach­ge­wie­se­ner be­hin­de­rungs­be­ding­ter Mehr­be­darf zu berück­sich­ti­gen.

Der Sach­ver­halt:
Strei­tig ist, ob für ein volljähri­ges be­hin­der­tes Kind ein An­spruch auf Kin­der­geld be­steht. Der Sohn des Klägers lei­det an ei­ner dau­er­haf­ten psy­chi­schen Er­kran­kung, auf­grund de­rer der Grad sei­ner Min­de­rung der Er­werbsfähig­keit 100 beträgt. Er ist in ei­ner Werk­statt für be­hin­derte Men­schen (WfbM) teil­sta­tionär auf­ge­nom­men wor­den und lebt in ei­ner be­treu­ten Wohnmöglich­keit.

Er erhält fi­nan­zi­elle Leis­tun­gen der Ein­glie­de­rungs­hilfe für be­hin­derte Men­schen nach §§ 53 ff. SGB XII. Diese wer­den für das Le­ben in ei­ner be­treu­ten Wohnmöglich­keit so­wie für die teil­sta­tionäre Be­treu­ung in der WfbM ein­schließlich am­bu­lan­ter Be­treu­ung zur Un­terstützung ih­res Be­suchs ge­leis­tet. Der Sohn des Klägers er­hielt anläss­lich sei­ner Tätig­keit in der WfbM mtl. 30 €. Zusätz­lich wird an ihn nach §§ 41 ff. SGB XII Grund­si­che­rung ge­leis­tet. Ab Sep­tem­ber 2005 wurde der Kläger zu einem Kos­ten­bei­trag an den Träger der So­zi­al­hilfe her­an­ge­zo­gen (§ 94 Abs. 2 SGB XII).

Die be­klagte Fa­mi­li­en­kasse gewährte dem Kläger zunächst Kin­der­geld, hob die Fest­set­zung des Kin­der­gel­des je­doch später auf, da der Sohn des Klägers sei­nen Le­bens­un­ter­halt selbst be­strei­ten könne.

Das FG wies die hier­ge­gen ge­rich­tete Klage ab. Die hier­ge­gen ge­rich­tete Re­vi­sion des Fi­nanz­amts hatte vor dem BFH kei­nen Er­folg.

Die Gründe:
Das FG hat rechts­feh­ler­frei einen An­spruch des Klägers auf Kin­der­geld für sei­nen be­hin­der­ten Sohn ver­neint.

Nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 S. 1 und 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG be­steht für ein volljähri­ges Kind ein An­spruch auf Kin­der­geld, wenn es we­gen körper­li­cher, geis­ti­ger oder see­li­scher Be­hin­de­rung außer­stande ist, sich selbst zu un­ter­hal­ten und die Be­hin­de­rung vor Voll­en­dung des 27. Le­bens­jah­res ein­ge­tre­ten ist. Ob ein be­hin­der­tes Kind außer­stande ist, sich selbst zu un­ter­hal­ten, ist an­hand ei­nes Ver­gleichs zweier Be­zugsgrößen zu prüfen, nämlich der dem Kind zur Verfügung ste­hen­den ei­ge­nen fi­nan­zi­el­len Mit­tel ei­ner­seits und sei­nem exis­ten­zi­el­len Le­bens­be­darf an­de­rer­seits.

Zu den dem be­hin­der­ten Kind zur Verfügung ste­hen­den ei­ge­nen fi­nan­zi­el­len Mit­teln gehören nicht nur des­sen Einkünfte und Bezüge als verfügba­res Ein­kom­men, son­dern auch Leis­tun­gen Drit­ter, wie etwa sol­che im Zu­sam­men­hang mit der Un­ter­brin­gung in ei­ner WfbM oder die in der WfbM gewährte Ver­pfle­gung. So­weit al­ler­dings ein So­zi­al­leis­tungsträger für seine Leis­tun­gen bei den El­tern Rück­griff nimmt, dürfen sol­che Leis­tun­gen nicht als Bezüge des Kin­des an­ge­se­hen wer­den. Der exis­ten­zi­elle Le­bens­be­darf des be­hin­der­ten Kin­des er­gibt sich ty­pi­scher­weise aus dem all­ge­mei­nen Le­bens­be­darf (Grund­be­darf), der sich an dem maßgeb­li­chen Jah­res­grenz­be­trag nach § 32 Abs. 4 S. 2 EStG ori­en­tiert, so­wie aus dem in­di­vi­du­el­len be­hin­de­rungs­be­ding­ten Mehr­be­darf.

Der be­hin­de­rungs­be­dingte Mehr­be­darf um­fasst Auf­wen­dun­gen, die ge­sunde Kin­der nicht ha­ben. Dazu gehören alle mit ei­ner Be­hin­de­rung zu­sam­menhängen­den außer­gewöhn­li­chen wirt­schaft­li­chen Be­las­tun­gen, etwa Auf­wen­dun­gen für zusätz­li­che Wäsche, Un­terstützungs- und Hil­fe­leis­tun­gen so­wie ty­pi­sche Er­schwer­nis­auf­wen­dun­gen. Das Ent­ste­hen der­ar­ti­ger Auf­wen­dun­gen ist dem Grunde und der Höhe nach sub­stan­ti­iert dar­zu­le­gen und glaub­haft zu ma­chen. Steht ein be­hin­de­rungs­be­ding­ter Mehr­be­darf dem Grunde nach zur Über­zeu­gung des Ge­richts fest, ist er bei feh­len­dem Nach­weis der Höhe nach gem. § 162 AO zu schätzen.

Wer­den mit ei­ner Be­hin­de­rung im Zu­sam­men­hang ste­hende Kos­ten im Wege der Ein­glie­de­rungs­hilfe gemäß §§ 53 ff. SGB XII durch einen So­zi­al­leis­tungsträger über­nom­men, ist die gewährte Ein­glie­de­rungs­hilfe ei­ner­seits als Leis­tung ei­nes Drit­ten bei den zur Verfügung ste­hen­den ei­ge­nen fi­nan­zi­el­len Mit­teln und an­de­rer­seits als im Ein­zel­nen nach­ge­wie­se­ner be­hin­de­rungs­be­ding­ter Mehr­be­darf zu berück­sich­ti­gen. Da diese vom So­zi­al­leis­tungsträger über­nom­me­nen Kos­ten hier­durch be­reits in tatsäch­li­cher Höhe als be­hin­de­rungs­be­ding­ter Mehr­be­darf er­fasst sind, schei­det ihre noch­ma­lige Berück­sich­ti­gung durch die in § 33b Abs. 3 EStG fest­ge­leg­ten Be­hin­der­ten-Pausch­beträge aus.

Nach all­dem hat das FG im Er­geb­nis zu Recht ent­schie­den, dass der Sohn des Klägers in der Lage war, sich selbst zu un­ter­hal­ten.

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