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Keine Aufrechnungslage aufgrund fehlender Fälligkeit der Hauptforderung

Hessisches FG 23.10.2013, 1 V 1941/13

Das Fi­nanz­amt muss im Rah­men sei­ner Er­mes­sen­ausübung die Vor­aus­set­zun­gen ei­ner Auf­rech­nung mit For­de­run­gen des Steu­er­pflich­ti­gen um­fas­send und recht­lich zu­tref­fend prüfen. Da § 387 BGB le­dig­lich die Erfüll­bar­keit der Haupt­for­de­rung ver­langt, wird die Behörde je­den­falls dann nicht den Vor­ga­ben ei­ner rechtmäßigen Er­mes­sen­ausübung ge­recht, wenn sie die Ein­lei­tung von Voll­stre­ckungsmaßnah­men mit der feh­len­den Fällig­keit der Haupt­for­de­rung recht­fer­tigt.

Der Sach­ver­halt:
Die An­trag­stel­le­rin be­treibt ein Han­dels­un­ter­neh­men.
Die Um­satz­steu­er­vor­an­mel­dun­gen wer­den dem Fi­nanz­amt mo­nat­lich über­mit­telt. Für die Zeiträume No­vem­ber und De­zem­ber 2012 so­wie Ja­nuar 2013 mel­dete die An­trag­stel­le­rin Über­schüsse der Um­satz­steuer über die ab­zugsfähige Vor­steu­ern (sog. "Um­satz­steu­er­zahl­last") an.

Im Au­gust 2013 über­sandte das Fi­nanz­amt der An­trag­stel­le­rin die der X-Bank zu­ge­stellte Pfändungs- und Ein­zie­hungs­verfügung, die we­gen ei­nes Zah­lungs­an­spruchs die Pfändung und Ein­zie­hung der be­ste­hen­den und zukünf­ti­gen Gut­ha­ben auf dem Konto der An­trag­stel­le­rin an­ord­nete. Hier­ge­gen legte die An­trag­stel­le­rin Ein­spruch ein und stellte einen An­trag auf Aus­set­zung der Voll­zie­hung.

Die An­trag­stel­le­rin ver­wies auf ein sog. "Vor­steu­er­gut­ha­ben". Die Steu­er­behörde habe bis­lang seine Zu­stim­mung nach § 168 S. 2 AO ver­wei­gert. Anträge auf Ver­rech­nung der be­ste­hen­den Rückstände mit Gut­ha­ben aus den dem Fi­nanz­amt vor­lie­gen­den Um­satz­steuer-Vor­an­mel­dun­gen seien un­berück­sich­tigt ge­blie­ben bzw. un­ter Ver­weis auf die Zwei­fel­haf­tig­keit des Vor­steu­er­ab­zugs ab­ge­lehnt wor­den, ob­wohl sie - die An­trag­stel­le­rin - der An­for­de­rung von Un­ter­la­gen und Auskünf­ten stets nach­ge­kom­men sei.

Über den Ein­spruch der An­trag­stel­le­rin ge­gen die Pfändungs- und Ein­zie­hungs­verfügung und über den An­trag auf Aus­set­zung der Voll­zie­hung hat das Fi­nanz­amt bis­lang nicht ent­schie­den. Das FG gab dem ge­richt­li­chen An­trag auf Aus­set­zung der Voll­zie­hung statt.

Die Gründe:
Es be­ste­hen ernst­li­che Zwei­fel an der Rechtmäßig­keit der streit­ge­genständ­li­chen Pfändungs­verfügung, die eine Aus­set­zung der Voll­zie­hung recht­fer­tig­ten.

Eine Er­mes­sens­ent­schei­dung ist als rechtmäßig an­zu­se­hen, wenn das Fi­nanz­amt den ent­schei­dungs­er­heb­li­chen Sach­ver­halt ein­wand­frei und er­schöpfend er­mit­telt, sein Ent­schließungs- und sein Aus­wah­ler­mes­sen er­kannt und un­ter Be­ach­tung des Zwecks und der Gren­zen der je­wei­li­gen Norm - hier des § 249 Abs. 1 AO - ausgeübt hat. Maßgeb­lich hierfür ist die Sach- und Rechts­lage zum Zeit­punkt der letz­ten Ver­wal­tungs­ent­schei­dung. Nach den im Rah­men des sum­ma­ri­schen Ver­fah­rens zu tref­fen­den Be­ur­tei­lun­gen wa­ren im vor­lie­gen­den Fall al­ler­dings Zwei­fel ver­blie­ben, ob die Er­mes­sens­ent­schei­dung des Fi­nanz­am­tes die­sen Vor­ga­ben genügte.

Der Grund­satz des ge­ringstmögli­chen Ein­griffs ver­langt, dass Voll­stre­ckungsmaßnah­men nur an­ge­ord­net wer­den sol­len, wenn der An­spruch nicht be­reits im Er­he­bungs­ver­fah­ren ver­wirk­licht wer­den kann, etwa die Möglich­keit ei­ner Auf­rech­nung be­steht. Dem­nach ist es nicht er­for­der­lich, dass die For­de­rung un­be­strit­ten oder rechtskräftig fest­ge­stellt wurde. So­mit muss das Fi­nanz­amt im Rah­men sei­ner Er­mes­sen­ausübung die Vor­aus­set­zun­gen ei­ner Auf­rech­nung gem. § 226 Abs. 1 AO i.V.m. § 387 BGB mit For­de­run­gen des Steu­er­pflich­ti­gen um­fas­send und recht­lich zu­tref­fend prüfen. Da § 387 BGB le­dig­lich die Erfüll­bar­keit der Haupt­for­de­rung ver­langt, wird die Behörde je­den­falls dann nicht den Vor­ga­ben ei­ner rechtmäßigen Er­mes­sen­ausübung ge­recht, wenn sie die Ein­lei­tung von Voll­stre­ckungsmaßnah­men - wie hier - mit der feh­len­den Fällig­keit der Haupt­for­de­rung recht­fer­tigt.

Zu­dem er­schien es hier zwei­fel­haft, ob nicht be­reits der von der An­trag­stel­le­rin gel­tend ge­machte An­spruch auf Zu­stim­mung nach § 168 S. 2 AO der Ein­lei­tung von Voll­stre­ckungsmaßnah­men ent­ge­gen­stand. So schließt das Fi­nanz­mi­nis­te­rium des Lan­des NRW aus ei­ner BFH-Ent­schei­dung vom 10.11.1953 (Az.: I 108/52 S), dass es für das Vor­lie­gen ei­ner Auf­rech­nungs­lage aus­rei­che, wenn die Haupt­for­de­rung erfüll­bar, d.h. im Re­gel­fall "ent­stan­den" sei. Da sich die Ent­ste­hung von An­sprüchen aus dem Steu­er­schuld­verhält­nis nach § 38 AO richte, sei es nicht er­for­der­lich, dass die Haupt­for­de­rung be­reits fest­ge­setzt oder fällig sei. Auch in­so­weit be­stan­den so­mit ernst­hafte Zwei­fel, ob die vom Fi­nanz­amt ge­trof­fene Ent­schei­dung, eine Kon­topfändung durch­zuführen, den Vor­ga­ben ei­ner er­mes­sens­feh­ler­freien Ent­schei­dung genügte.

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