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EuGH-Vorlage: Unionsrechtswidrigkeit der HOAI-Mindestsätze?

BGH v. 14.5.2020 - VII ZR 174/19

Der VII. Se­nat hat ein Ver­fah­ren über die Vergütung ei­nes In­ge­nieurs aus­ge­setzt und dem EuGH meh­rere Fra­gen zu den Fol­gen der vom EuGH in sei­nem Ur­teil vom 4.7.2019 (C-377/17) an­ge­nom­me­nen Uni­ons­rechts­wid­rig­keit der Min­destsätze in der HOAI für lau­fende Ge­richts­ver­fah­rens zwi­schen Pri­vat­per­so­nen vor­ge­legt.

Der Sach­ver­halt:
Der Kläger be­treibt ein In­ge­nieurbüro. Er hatte mit der Be­klag­ten im Jahre 2016 einen In­ge­nieur­ver­trag ab­ge­schlos­sen, in dem die Par­teien für die vom Kläger zu er­brin­gen­den In­ge­nieur­leis­tun­gen bei einem Bau­vor­ha­ben der Be­klag­ten ein Pau­schal­ho­no­rar i.H.v. 55.025 € ver­ein­bart hat­ten. Nach­dem der Kläger den In­ge­nieur­ver­trag gekündigt hatte, rech­nete er im Juli 2017 seine er­brach­ten Leis­tun­gen in ei­ner Ho­no­rarschluss­rech­nung auf Grund­lage der Min­destsätze der Ver­ord­nung über die Ho­no­rare für Ar­chi­tek­ten- und In­ge­nieur­leis­tun­gen (HOAI) in der Fas­sung aus dem Jahr 2013 ab. Mit der Klage hat er eine noch of­fene Rest­for­de­rung in Höhe von 102.934,59 € brutto gel­tend ge­macht.

Das LG hat die Be­klagte zur Zah­lung von 100.108,34 € ver­ur­teilt. Auf die Be­ru­fung der Be­klag­ten hat das OLG die Be­klagte zur Zah­lung von 96.768,03 € ver­ur­teilt. Das OLG war der An­sicht, dem Kläger stehe ein rest­li­cher ver­trag­li­cher Zah­lungs­an­spruch nach den Min­destsätzen der HOAI (2013) zu. Die im In­ge­nieur­ver­trag ge­trof­fene Pau­schal­preis­ver­ein­ba­rung sei we­gen Ver­stoßes ge­gen den Min­dest­prei­sch­arak­ter der HOAI als zwin­gen­des Preis­recht un­wirk­sam.

Das in einem Ver­trags­ver­let­zungs­ver­fah­ren ge­gen die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land er­gan­gene EuGH-Ur­teil vom 4.7.2019 (C-377/17) ändere nichts an der An­wend­bar­keit der maßgeb­li­chen Be­stim­mun­gen der HOAI zum Min­dest­prei­sch­arak­ter. Das Ur­teil binde nur den Mit­glied­staat, der den eu­ro­pa­rechts­wid­ri­gen Zu­stand be­sei­ti­gen müsse, ent­falte hin­ge­gen für den ein­zel­nen Uni­onsbürger keine Rechts­wir­kung. Eine Nicht­an­wen­dung der Min­destsätze der HOAI in einem Rechts­streit zwi­schen Pri­vat­per­so­nen könne auch nicht auf die Dienst­leis­tungs­richt­li­nie gestützt wer­den, der keine un­mit­tel­bare Wir­kung zu Las­ten ein­zel­ner Uni­onsbürger zu­komme. Es be­stehe kein An­wen­dungs­vor­rang der Dienst­leis­tungs­richt­li­nie ge­genüber den uni­ons­rechts­wid­ri­gen Re­ge­lun­gen der HOAI. Eine richt­li­ni­en­kon­forme Aus­le­gung des zwin­gen­den Preis­rechts gemäß § 7 HOAI sei aus­ge­schlos­sen.

Auf die Re­vi­sion der Be­klag­ten hat der BGH das Ver­fah­ren aus­ge­setzt und dem EuGH in einem Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen nach Art. 267 AEUV meh­rere Fra­gen zu den Fol­gen der vom EuGH in sei­nem Ur­teil vom 4.7.2019 an­ge­nom­me­nen Uni­ons­rechts­wid­rig­keit der Min­destsätze in der HOAI für lau­fende Ge­richts­ver­fah­rens zwi­schen Pri­vat­per­so­nen vor­ge­legt.

Gründe:
Der EuGH hatte in die­sem Ur­teil in einem von der Eu­ropäischen Kom­mis­sion be­trie­be­nen Ver­trags­ver­let­zungs­ver­fah­ren ent­schie­den, dass die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land da­durch ge­gen ihre Ver­pflich­tun­gen aus Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buch­stabe g) und Abs. 3 der Richt­li­nie 2006/123/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 12.12.2006 über Dienst­leis­tun­gen im Bin­nen­markt (Dienst­leis­tungs­richt­li­nie) ver­stoßen hat, dass sie ver­bind­li­che Ho­no­rare für die Pla­nungs­leis­tun­gen von Ar­chi­tek­ten und In­ge­nieu­ren bei­be­hal­ten hat.

In An­be­tracht des­sen hat der Se­nat dem EuGH nun fol­gende Fra­gen vor­ge­legt:

Folgt aus dem Uni­ons­recht, dass Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buch­stabe g) und Abs. 3 der Dienst­leis­tungs­richt­li­nie im Rah­men ei­nes lau­fen­den Ge­richts­ver­fah­rens zwi­schen Pri­vat­per­so­nen in der Weise un­mit­tel­bare Wir­kung ent­fal­tet, dass die die­ser Richt­li­nie ent­ge­gen­ste­hen­den na­tio­na­len Re­ge­lun­gen in § 7 HOAI, wo­nach die in die­ser Ho­no­rar­ord­nung sta­tu­ier­ten Min­destsätze für Pla­nungs- und Über­wa­chungs­leis­tun­gen der Ar­chi­tek­ten und In­ge­nieure - ab­ge­se­hen von be­stimm­ten Aus­nah­mefällen - ver­bind­lich sind und eine die Min­destsätze un­ter­schrei­tende Ho­no­rar­ver­ein­ba­rung in Verträgen mit Ar­chi­tek­ten oder In­ge­nieu­ren un­wirk­sam ist, nicht mehr an­zu­wen­den sind?

So­fern Frage 1 ver­neint wird:

Liegt in der Re­ge­lung ver­bind­li­cher Min­destsätze für Pla­nungs- und Über­wa­chungs­leis­tun­gen von Ar­chi­tek­ten und In­ge­nieu­ren in § 7 HOAI durch die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land ein Ver­stoß ge­gen die Nie­der­las­sungs­frei­heit gemäß Art. 49 AEUV oder ge­gen sons­tige all­ge­meine Grundsätze des Uni­ons­rechts?

So­fern Frage 2 a) be­jaht wird: Folgt aus einem sol­chen Ver­stoß, dass in einem lau­fen­den Ge­richts­ver­fah­ren zwi­schen Pri­vat­per­so­nen die na­tio­na­len Re­ge­lun­gen über ver­bind­li­che Min­destsätze (hier: § 7 HOAI) nicht mehr an­zu­wen­den sind?

Bei An­wen­dung der deut­schen Re­ge­lun­gen in § 7 HOAI hätte die Re­vi­sion der Be­klag­ten kei­nen Er­folg, weil die Pau­schal­ho­no­rar­ver­ein­ba­rung der Par­teien un­wirk­sam wäre und dem Kläger auf Grund­lage der Min­destsätze der HOAI ein An­spruch auf Zah­lung von 96.768,03 € zustünde.

§ 7 HOAI kann nicht un­ter Berück­sich­ti­gung des EuGH-Ur­teils vom 4. Juli 2019 (C-377/17) richt­li­ni­en­kon­form da­hin aus­ge­legt wer­den, dass die Min­destsätze der HOAI im Verhält­nis zwi­schen Pri­vat­per­so­nen grundsätz­lich nicht mehr ver­bind­lich sind und da­her ei­ner die Min­destsätze un­ter­schrei­ten­den Ho­no­rar­ver­ein­ba­rung nicht ent­ge­gen­ste­hen. Die Aus­le­gung des na­tio­na­len Rechts darf nicht dazu führen, dass ei­ner nach Wort­laut und Sinn ein­deu­ti­gen Norm ein ent­ge­gen­ge­setz­ter Sinn ge­ge­ben oder der nor­ma­tive Ge­halt der Norm grund­le­gend neu be­stimmt wird. Dem­gemäß kommt eine richt­li­ni­en­kon­forme Aus­le­gung nur in Frage, wenn eine Norm tatsäch­lich un­ter­schied­li­che Aus­le­gungsmöglich­kei­ten im Rah­men des­sen zulässt, was der ge­setz­ge­be­ri­schen Zweck- und Ziel­set­zung ent­spricht. Der Ge­setz- und Ver­ord­nungs­ge­ber hat mit den Re­ge­lun­gen in § 7 HOAI und der die­ser Be­stim­mung zu Grunde lie­gen­den Ermäch­ti­gungs­grund­lage ein­deu­tig zum Aus­druck ge­bracht, dass eine un­ter­halb der ver­bind­li­chen Min­destsätze lie­gende Ho­no­rar­ver­ein­ba­rung für Ar­chi­tek­ten und In­ge­nieur­grund­leis­tun­gen - von be­stimm­ten Aus­nah­men ab­ge­se­hen - un­wirk­sam ist und sich die Höhe des Ho­no­rars in die­sem Fall nach den Min­destsätzen be­stimmt.

Die Ent­schei­dung über die Re­vi­sion hängt maßgeb­lich von der Be­ant­wor­tung der dem EuGH vor­ge­leg­ten ers­ten Frage zur un­mit­tel­ba­ren Wir­kung von Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buch­stabe g) und Abs. 3 der Dienst­leis­tungs­richt­li­nie im Rah­men ei­nes lau­fen­den Ge­richts­ver­fah­rens zwi­schen Pri­vat­per­so­nen ab. An­ge­sichts zahl­rei­cher ge­genläufi­ger ober­ge­richt­li­cher Ent­schei­dun­gen so­wie Mei­nungsäußerun­gen im Schrift­tum, die ihre in­halt­lich konträren Stand­punkte je­weils aus der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung des EuGH ab­lei­ten, ist die rich­tige An­wen­dung des Uni­ons­rechts nicht von vorn­her­ein der­art ein­deu­tig ("acte claire") oder durch Recht­spre­chung in ei­ner Weise geklärt ("acte éclairé"), dass kein vernünf­ti­ger Zwei­fel ver­bleibt.

Der BGH neigt dazu, keine un­mit­tel­bare Wir­kung von Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buch­stabe g) und Abs. 3 der Dienst­leis­tungs­richt­li­nie in der Weise an­zu­neh­men, dass die die­ser Richt­li­nie ent­ge­gen­ste­hen­den na­tio­na­len Re­ge­lun­gen in § 7 HOAI in lau­fen­den Ge­richts­ver­fah­ren zwi­schen Pri­vat­per­so­nen nicht mehr an­ge­wen­det wer­den können. Zwar ist Art. 15 der Dienst­leis­tungs­richt­li­nie auch auf rein in­ner­staat­li­che Sach­ver­halte - wie im Streit­fall - an­wend­bar. Zu­dem ist in der EuGH-Recht­spre­chung an­er­kannt, dass sich der Ein­zelne ge­genüber dem Mit­glied­staat in be­stimm­ten Fällen un­mit­tel­bar auf eine Richt­li­nie be­ru­fen kann, wenn diese nicht frist­gemäß oder nur un­zuläng­lich in das na­tio­nale Recht um­ge­setzt wurde und die Richt­li­ni­en­be­stim­mung in­halt­lich als un­be­dingt und hin­rei­chend ge­nau er­scheint. Al­ler­dings kann eine Richt­li­nie grundsätz­lich nicht selbst Ver­pflich­tun­gen für einen Ein­zel­nen begründen, so dass ihm ge­genüber eine Be­ru­fung auf die Richt­li­nie als sol­che nicht möglich ist. Eine Richt­li­nie kann dem­gemäß grundsätz­lich auch nicht in einem Rechts­streit zwi­schen Pri­va­ten an­geführt wer­den, um die An­wen­dung der Re­ge­lung ei­nes Mit­glied­staats, die ge­gen die Richt­li­nie verstößt, aus­zu­schließen.

So­weit der EuGH in sei­ner bis­he­ri­gen Recht­spre­chung in be­stimm­ten Aus­nah­mefällen - bei Unmöglich­keit ei­ner richt­li­ni­en­kon­for­men Aus­le­gung - eine Nicht­an­wen­dung uni­ons­rechts­wid­ri­ger na­tio­na­ler Vor­schrif­ten zwi­schen Pri­vat­per­so­nen be­jaht hat, wird der Streit­fall hier­von nicht er­fasst.

Für den Fall, dass die er­ste Vor­la­ge­frage ver­neint wird, hängt die Ent­schei­dung des Rechts­streits von der Be­ant­wor­tung der wei­te­ren Vor­la­ge­fra­gen zu einem mögli­chen Ver­stoß der in der HOAI fest­ge­leg­ten Min­destsätze ge­gen die Nie­der­las­sungs­frei­heit gemäß Art. 49 AEUV oder ge­gen sons­tige all­ge­meine Grundsätze des Uni­ons­rechts so­wie den Fol­gen ei­nes sol­chen Ver­stoßes für ein lau­fen­des Ge­richts­ver­fah­ren zwi­schen Pri­vat­per­so­nen ab. Ein Ver­stoß ge­gen die Nie­der­las­sungs­frei­heit kann nicht aus­ge­schlos­sen wer­den. Der EuGH hat diese Frage in sei­nem Ur­teil vom 4.7.2019 ausdrück­lich of­fen­ge­las­sen.

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