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Bilanzierung nicht weitergegebener Erhöhung der Übertragungsnetzentgelte zum 01.01.2024

Un­ter be­stimm­ten Vor­aus­set­zun­gen müssen Ver­tei­ler­netz­be­trei­ber die Erhöhung der Über­tra­gungs­net­zent­gelte zum 01.01.2024 nicht di­rekt wei­ter­ge­ben. Dar­aus er­ge­ben sich Fol­gen im han­dels­recht­li­chen Jah­res­ab­schluss 2024 der Ver­tei­ler­netz­be­trei­ber.

Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) hatte mit Ur­teil vom 15.11.2023 die Über­tra­gung von EUR 60 Mrd. aus dem Kern­haus­halt und dem Son­der­vermögen zur Bekämp­fung der Aus­wir­kun­gen der Corona-Pan­de­mie in den Klima- und Trans­for­ma­ti­ons­fonds (KTF) für nich­tig erklärt. Da­von be­trof­fen ist auch der Zu­schuss aus Mit­teln des mit EUR 200 Mrd. aus­ge­stat­te­ten Wirt­schafts­sta­bi­li­sie­rungs­fonds (WSF) für die Netz­kos­ten der Über­tra­gungs­netz­be­trei­ber 2024 in Höhe von EUR 5,5 Mrd., der nach ähn­li­chem Me­cha­nis­mus ge­bil­det wurde. Nicht be­trof­fen sind dem­ge­genüber um­la­gen­fi­nan­zierte Ent­las­tun­gen (u. a. Be­son­dere Aus­gleichs­re­ge­lung nach dem EnFG so­wie in­di­vi­du­elle Net­zent­gelte nach Strom­NEV).

Mit In­for­ma­ti­ons­schrei­ben 06/2023 hatte die Be­schluss­kam­mer 8 der Bun­des­netz­agen­tur, Bonn (BNetzA), mit­ge­teilt, dass alle nach­ge­la­ger­ten Ver­tei­ler­netz­be­trei­ber (VNB) erhöhte vor­ge­la­gerte Net­zent­gelte der Über­tra­gungs­netz­be­trei­ber in ih­rer Kal­ku­la­tion an­pas­sen und vor dem 01.01.2024 neue Net­zent­gelte veröff­ent­li­chen können. Eine un­terjährige Neu­kal­ku­la­tion und Ände­rung der Net­zent­gelte Strom soll dem­ge­genüber nicht möglich sein. Glei­ches gilt für eine „rück­wir­kende“ Ände­rung der Net­zent­gelte 2024.

Klaus Müller, Präsi­dent der BNetzA, hatte auf Nach­frage des Ver­bands kom­mu­na­ler Un­ter­neh­men (VKU) mit Schrei­ben vom 15.12.2023 mit­ge­teilt, dass die VNB die kurz vor Jah­res­ende noch be­kannt­ge­ge­bene Erhöhung der Über­tra­gungs­net­zent­gelte zum 01.01.2024 nicht di­rekt wei­ter­ge­ben müssen. Statt­des­sen können die gemäß § 20 Abs. 1 EnWG zum 15.10.2023 er­mit­tel­ten vorläufi­gen Net­zent­gelte für das Jahr 2024 bei­be­hal­ten wer­den und die Dif­fe­renz über das Re­gu­lie­rungs­konto (§ 5 An­reiz­re­gu­lie­rungs­ver­ord­nung, kurz ARegV) in den Fol­ge­jah­ren 2027 bis 2029 aus­ge­gli­chen wer­den.

Eine ge­wisse „Ver­wir­rung“ herrschte in der Bran­che der Netz­be­trei­ber, da ge­rade große ent­floch­tene Netz­be­trei­ber im An­wen­dungs­be­reich der BNetzA oft nicht Mit­glied im VKU sind, an den die­ses Schrei­ben aber adres­siert wurde. Dazu ste­hen die in dem Schrei­ben dar­ge­stell­ten Er­leich­te­run­gen im teil­wei­sen Ge­gen­satz zu den von der Be­schluss­kam­mer 8 der BNetzA her­aus­ge­ge­be­nen „Hin­weise für Ver­tei­ler­netz­be­trei­ber zur Er­mitt­lung und An­pas­sung der Erlösober­grenze (EOG)“ (letzt­mals für das Ka­len­der­jahr 2024 vom 18.09.2023) und den in den Er­he­bungsbögen dar­ge­stell­ten Vor­ge­hen. Hier­bei soll u. a. der Ver­zicht auf die An­pas­sung der Net­zent­gelte zum 01.01.2024 nicht als frei­wil­li­ger Ver­zicht ge­wer­tet wer­den (Stich­wort: „Un­ter­ver­pro­bung“).

Systematik des Regulierungskontos nach § 5 ARegV

Im Herbst 2016 wurde § 5 Abs. 3 ARegV neu ge­fasst. Gemäß § 4 Abs. 2 ARegV ist die EOG für je­des Ka­len­der­jahr der ge­sam­ten Re­gu­lie­rungs­pe­riode zu be­stim­men. Die Dif­fe­renz zwi­schen den nach § 4 ARegV zulässi­gen Erlösen und den vom Netz­be­trei­ber un­ter Berück­sich­ti­gung der tatsäch­li­chen Men­gen­ent­wick­lung er­ziel­ba­ren Erlösen wird gemäß § 5 Abs. 1 ARegV auf dem Re­gu­lie­rungs­konto er­fasst. Glei­ches gilt für die Dif­fe­renz zwi­schen den für das Ka­len­der­jahr tatsäch­lich ent­stan­de­nen Kos­ten nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 bis 6, 8, 13 und 15 bis 18 ARegV so­wie den im je­wei­li­gen Ka­len­der­jahr ent­stan­de­nen Kos­ten nach § 11 Abs. 5 ARegV und den in der EOG dies­bezüglich ent­hal­te­nen Kos­ten. In der Pra­xis wei­chen die tatsäch­li­chen Erlöse aus Net­zent­gel­ten i.d.R. auf­grund von Men­genände­run­gen oder Pro­gno­se­feh­lern von der zulässi­gen EOG ab. Das Re­gu­lie­rungs­konto berück­sich­tigt auch Plan-Ist-Ab­wei­chun­gen ge­genüber ge­plan­ten Kos­ten und In­ves­ti­tio­nen so­wie wei­tere Dif­fe­ren­zen (z. B. Ka­pi­tal­kos­ten­auf­schlag oder im Jahr 2023 Ände­run­gen der Ver­ord­nung über Ver­ein­ba­run­gen zu ab­schalt­ba­ren Las­ten (Ab­LaV)).

Die Re­gu­lie­rungs­behörde (BNetzA oder zuständige Lan­des­re­gu­lie­rungs­behörde) ge­neh­migt den nach der ARegV durch den Netz­be­trei­ber er­mit­tel­ten Saldo so­wie des­sen Ver­tei­lung. Der Saldo des Re­gu­lie­rungs­kon­tos des letz­ten ab­ge­schlos­se­nen Ka­len­der­jah­res ist nach 5 Abs. 3 ARegV nach An­trag­stel­lung zum 31.12. des Ka­len­der­jah­res (§ 4 Abs. 4 Satz 3 ARegV) an­nuitätisch über die drei dem zwei­ten Jahr der Er­mitt­lung fol­gen­den Ka­len­der­jahre durch Zu- und Ab­schläge auf die EOG zu ver­tei­len (hier: Zu­schläge 2027 bis 2029). Die An­nuitäten wer­den ver­zinst. Der Mei­nung des BDEW-Bun­des­ver­bands der En­er­gie- und Was­ser­wirt­schaft e.V., Ber­lin, ent­spre­chend hat die Bi­lan­zie­rung des Re­gu­lie­rungs­kon­tos der Ab­frage der BNetzA in de­ren Er­he­bungs­bo­gen zu fol­gen und berück­sich­tigt eine Span­nungs­ebe­nen überg­rei­fende Sal­die­rung. Nach Auf­fas­sung des En­er­gie­fach­aus­schus­ses (EFA) des IDW sind die Zu- und Ab­schläge auf die EOG, die das glei­che Aus­gleichs­jahr be­tref­fen, sal­diert zu be­trach­ten.

Bilanzielle Behandlung des Regulierungskontos im handelsrechtlichen Jahresabschluss

Die auf dem Re­gu­lie­rungs­konto ge­buch­ten po­si­ti­ven Beträge stel­len einen künf­ti­gen An­spruch des Netz­be­trei­bers auf Ab­rech­nung höherer Netz­nut­zungs­ent­gelte ge­gen alle künf­ti­gen Netz­kun­den dar („Min­der­erlöse“). Der Netz­be­trei­ber hat keine An­sprüche ge­gen seine Netz­kun­den aus Ge­schäften der Ver­gan­gen­heit, da die in sei­nem Preis­blatt veröff­ent­lich­ten, ge­for­der­ten Net­zent­gelte vollständig im Rah­men des Leis­tungs­aus­tau­sches ent­rich­tet und da­mit Leis­tung und Ge­gen­leis­tung er­bracht wur­den. Diese künf­ti­gen An­sprüche des Netz­be­trei­bers ha­ben zwar ihre wirt­schaft­li­che Ur­sa­che in der Ver­gan­gen­heit, wer­den je­doch erst durch die künf­ti­gen Durch­lei­tungs­leis­tun­gen rea­li­siert. Soll­ten also auf Ba­sis der Ent­gelt­kal­ku­la­tio­nen zum 31.12. des Ka­len­der­jah­res und der noch of­fe­nen Vor­jahre jah­res­schei­ben­scharf sal­dierte Min­der­men­gen be­ste­hen, schei­det die Ak­ti­vie­rung des Über­hangs we­gen des Rea­li­sa­ti­ons­prin­zips gemäß § 252 Abs. 1 Satz 4 HGB aus.

Die Ver­pflich­tun­gen in­folge der auf dem Re­gu­lie­rungs­konto jah­res­schei­ben­scharf zu er­fas­sen­den „Mehr­erlöse“ (z. B. weil der Netz­be­trei­ber im ab­ge­lau­fe­nen Ka­len­der­jahr mehr Erlöse er­zielt hat, als er hätte er­zie­len dürfen) sind nach § 253 Abs. 1 Satz 2 HGB grundsätz­lich in vol­lem Um­fang zu pas­si­vie­ren. Es han­delt sich um die recht­li­che Ver­pflich­tung zur zukünf­ti­gen Er­he­bung ver­min­der­ter Netz­nut­zungs­ent­gelte, wo­bei ent­spre­chend dem Cha­rak­ter ei­nes Suk­zes­siv­lie­fe­rungs­ver­trags das Un­gleich­ge­wicht zwi­schen Leis­tung und Ge­gen­leis­tung und da­mit die wirt­schaft­li­che Ver­ur­sa­chung der ab­ge­lau­fe­nen Pe­riode zu­zu­rech­nen ist (vgl. Er­geb­nis­be­richt über 1. Sit­zung des En­er­gie­fach­aus­schus­ses (EFA) am 22.3.2017).

Nach Auf­fas­sung des EFA sind Zu- und Ab­schläge auf die Erlösober­grenze, die das glei­che Aus­gleichs­jahr be­tref­fen, sal­diert zu be­trach­ten. Be­ste­hen dem­nach gleich­zei­tig (aus an­de­ren Ka­len­der­jah­ren re­sul­tie­rende) künf­tige, noch nicht ei­genständig ak­ti­vier­bare An­sprüche des Netz­be­trei­bers auf Ab­rech­nung höherer Net­zent­gelte ge­gen alle künf­ti­gen Netz­kun­den, sind im Fall der jah­res­schei­ben­scharf sal­dier­ten Mehr­men­gen zum Bi­lanz­stich­tag 31.12. (ge­rin­gere) Rück­stel­lun­gen für un­ge­wisse Ver­bind­lich­kei­ten gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB für das Re­gu­lie­rungs­konto zu pas­si­vie­ren, oder, weil das Ausmaß der An­sprüche die Ver­pflich­tun­gen über­steigt, über­haupt keine Rück­stel­lun­gen zu bil­den (vgl. IDW Stel­lung­nahme zur Rech­nungs­le­gung: Ein­zel­fra­gen zur han­dels­recht­li­chen Bi­lan­zie­rung von Ver­bind­lich­keitsrück­stel­lun­gen (IDW RS HFA 34), Stand: 03.06.2015, Tz. 8).

Im Fall der Ab­wick­lung über das Re­gu­lie­rungs­konto fließen die Net­zent­gelte erst in den Jah­ren 2027 bis 2029 zu, so dass die Netz­be­trei­ber ggf. zur Vor­fi­nan­zie­rung an­ste­hen­der Aus­ga­ben zu Dar­le­hens­auf­nah­men ge­zwun­gen sein könn­ten.

Exkurs: Bilanzierung des Regulierungskontos nach IFRS

Es gibt in der EU bis­her kei­nen IFRS-Stan­dard für re­gu­la­to­ri­sche Pos­ten. Re­ge­lungslücken sind grundsätz­lich nach den Aus­le­gungs­re­geln nach IAS 8.10 ff. zu schließen. Nach IFRS 15 er­folgt die Erlösrea­li­sie­rung im Fall von Dienst­leis­tun­gen ent­spre­chend dem Leis­tungs­fort­schritt. Auch die Re­ge­lun­gen nach IAS 37 schei­nen nicht pas­send. Er­stat­tun­gen von Mehr­erlösen müssen un­abhängig sein von künf­ti­gen Hand­lun­gen des Un­ter­neh­mens. Re­gu­la­to­ri­sche Mehr- oder Min­der­erlöse wer­den nach IFRS nicht ver­gan­ge­nen, son­dern zukünf­ti­gen Umsätzen zu­ge­ord­net. Dem­nach lie­gen die An­satz­kri­te­rien ei­nes Vermögens­werts bzw. ei­ner Schuld i. S. d. Rah­men­kon­zepts nicht vor.

Eine wei­tere Möglich­keit be­steht dem­nach darin, re­gu­la­to­ri­sche An­sprüche bzw. Ver­bind­lich­kei­ten als nicht an­satzfähige Even­tu­al­for­de­run­gen (IAS 37.31 ff.) bzw. Even­tual­ver­bind­lich­kei­ten (IAS 37.27 ff.) zu qua­li­fi­zie­ren.

Das IASB hat am 30.01.2014 IFRS 14 Re­gu­latory De­fer­ral Ac­counts (Re­gu­la­to­ri­sche Ab­gren­zungs­pos­ten) veröff­ent­licht. IFRS 14 er­laubt, bis zu ei­ner endgülti­gen Re­ge­lung der Bi­lan­zie­rung preis­re­gu­lier­ter Ge­schäfts­vorfälle durch das IASB, Erst­an­wen­dern nach IFRS 1 (und nur Erst­an­wen­dern!), die der Auf­sicht durch eine preis­re­gu­lie­rende Behörde un­ter­lie­gen, un­ter re­strik­ti­ven Vor­aus­set­zun­gen bis­her nach na­tio­na­lem Bi­lanz­recht zulässige Ab­gren­zungs­pos­ten un­ter IFRS wei­ter nach den (bis­he­ri­gen) na­tio­na­len Re­ge­lun­gen zu bi­lan­zie­ren. Re­gu­la­to­ri­sche Ab­gren­zungs­pos­ten sind als se­pa­rate Pos­ten in Bi­lanz, Ge­winn- und Ver­lust­rech­nung und im sons­ti­gen Er­geb­nis aus­zu­wei­sen. Es be­steht ein ein­ma­li­ges Wahl­recht im Überg­angs­zeit­punkt mit um­fang­rei­chen Aus­weis- und An­ga­be­pflich­ten. IFRS 14 ist grundsätz­lich an­wend­bar für Ge­schäfts­jahre, die am oder nach dem 01.01.2016 be­gin­nen, al­ler­dings hat die EU den Stan­dard bis­lang nicht „en­dor­sed“. Die An­wend­bar­keit in­ner­halb der EU ist bis auf Wei­te­res nicht ab­seh­bar.

Hin­weis: Die BNetzA hat mit der No­velle des EnWG zum Jah­res­wech­sel 2023/2024 eine große Be­schluss­kam­mer (GBK) ein­ge­rich­tet, die künf­tig bun­des­weit ein­heit­li­che Fest­le­gun­gen zu Netz­zu­gang, Net­zent­gel­ten so­wie der Kos­ten- und An­reiz­re­gu­lie­rung erlässt.

Die ers­ten Über­le­gun­gen zur mögli­chen An­pas­sung der Re­gu­lie­rung für Strom- und Gas­netze hat die BNetzA mit ih­rem Eck­punk­te­pa­pier am 18.01.2024 veröff­ent­licht und spricht sich darin u.a. für eine Verkürzung der Re­gu­lie­rungs­pe­rio­den von bis­her fünf auf drei Jahre aus.

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