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BFH: Vorlage an das BVerfG der Frage der Verfassungswidrigkeit des 50d Abs. 8 S. 1 EStG 2002 - "Treaty override"

Entscheidung des BFH vom 10.1.2012 - I R 66/09

Der BFH hat dem BVerfG die Frage vor­ge­legt, ob § 50d Abs. 8 S. 1 EStG 2002 ge­gen das GG verstößt, als hier­durch die völker­recht­lich in einem Dop­pel­be­steue­rungs­ab­kom­men (hier: DBA-Türkei) ver­ein­barte Frei­stel­lung der Einkünfte aus nicht­selbständi­ger Ar­beit bei der Ver­an­la­gung un­ge­ach­tet des Ab­kom­mens nur gewährt wird, so­weit der Steu­er­pflich­tige nach­weist, dass der an­dere Staat auf die­ses Be­steue­rungs­recht ver­zich­tet hat oder dass die dort fest­ge­setz­ten Steu­ern ent­rich­tet wur­den. Die Vor­lage be­trifft dem­nach die Frage, ob der Ge­setz­ge­ber durch ein sog. Treaty over­ride ge­gen Ver­fas­sungs­recht verstößt.

Der Sach­ver­halt:
Der Kläger ist Ge­schäftsführer und Ar­beit­neh­mer ei­ner inländi­schen Ka­pi­tal­ge­sell­schaft, für die er in der Türkei ge­ar­bei­tet hat. Er be­an­spruchte ge­genüber dem Fi­nanz­amt, mit sei­nem Ar­beits­lohn aus die­ser Tätig­keit in Deutsch­land steu­er­be­freit zu wer­den, weil das Be­steue­rungs­recht hierfür nach dem DBA-Türkei nicht Deutsch­land, son­dern der Türkei gebühre.

Das Fi­nanz­amt be­rief sich in­des­sen auf § 50d Abs. 8 EStG. Der Kläger habe nicht nach­ge­wie­sen, dass er in der Türkei ent­spre­chende Ein­kom­men­steuer be­zahlt oder dass die Türkei auf das ihr zu­ste­hende Be­steue­rungs­recht ver­zich­tet habe. Auf die ab­kom­mens­recht­li­che Frei­stel­lung komme es da­her nicht an. Hier­ge­gen wen­det sich der Kläger mit sei­ner Klage.

Das FG wies die Klage ab. Da­ge­gen rich­tet sich die Re­vi­sion des Klägers. Der BFH setzte das Re­vi­si­ons­ver­fah­ren aus und legte dem BVerfG die Frage zur Ent­schei­dung vor, ob § 50d Abs. 8 S. 1 EStG 2002 in­so­weit ge­gen Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 und Art. 25 so­wie Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, als hier­durch für die Einkünfte ei­nes un­be­schränkt Steu­er­pflich­ti­gen aus nicht­selbständi­ger Ar­beit die völker­recht­lich in einem DBA ver­ein­barte Frei­stel­lung der Einkünfte bei der Ver­an­la­gung un­ge­ach­tet des Ab­kom­mens nur gewährt wird, so­weit der Steu­er­pflich­tige nach­weist, dass der Staat, dem nach dem Ab­kom­men das Be­steue­rungs­recht zu­steht, auf die­ses Be­steue­rungs­recht ver­zich­tet hat oder dass die in die­sem Staat auf die Einkünfte fest­ge­setz­ten Steu­ern ent­rich­tet wur­den.

Die Gründe:
Der BFH ist da­von über­zeugt, dass diese Re­ge­lung nicht in Ein­klang mit der ver­fas­sungsmäßigen Ord­nung und dem Gleich­heits­satz steht. Die herkömm­li­che, früher auch vom BVerfG ver­tre­tene Rech­tauf­fas­sung, wo­nach es dem Ge­setz­ge­ber un­be­nom­men bleibt, den Völker­rechts­ver­trag zu "über­schrei­ben", lässt sich nach zwi­schen­zeit­lich wohl ge­wan­del­ter Sicht des BVerfG nicht länger auf­recht­er­hal­ten.

Zum einen läuft § 50d Abs. 8 EStG der in Art. 25 GG nie­der­ge­leg­ten ma­te­ri­ell-recht­li­chen Wer­tent­schei­dung zum Vor­rang der all­ge­mei­nen Re­geln des Völker­rechts zu­wi­der, ohne dass dafür ein tragfähi­ger Recht­fer­ti­gungs­grund vor­liegt. Ein sol­cher Recht­fer­ti­gungs­grund ist ins­bes. nicht darin zu se­hen, dass der Steu­er­pflich­tige in bei­den Ver­trags­staa­ten un­be­steu­ert blei­ben und sog. weiße Einkünfte er­zie­len kann.

Zum an­de­ren sind darin Gleich­heits­verstöße zu se­hen, dass der be­tref­fende Ar­beit­neh­mer, der im Aus­land ar­bei­tet, in­folge der Re­ge­lung in § 50d Abs. 8 EStG un­be­scha­det des Ab­kom­mens so be­han­delt wird wie ein Ar­beit­neh­mer, der im In­land ar­bei­tet, und über­dies, dass das Ge­setz ihn im Er­geb­nis ge­genüber einem Steu­er­pflich­ti­gen mit an­de­ren Einkünf­ten als sol­chen aus nicht­selbständi­ger Ar­beit be­nach­tei­ligt.

Das Nor­men­kon­trol­ler­su­chen, über das das BVerfG nun zu ent­schei­den ha­ben wird, be­trifft un­mit­tel­bar nur die Vor­schrift des § 50d Abs. 8 EStG. Mit­tel­bar steht je­doch eine Viel­zahl ein­schlägi­ger Re­ge­lun­gen auf dem Prüfstand des BVerfG. Der deut­sche Ge­setz­ge­ber hat vor al­lem in der jünge­ren Ver­gan­gen­heit in er­heb­li­chem Maße von dem seit lan­gem um­strit­te­nen Mit­tel des Treaty over­ri­ding Ge­brauch ge­macht, auch, um eine "Kein­mal­be­steue­rung" zu ver­mei­den.

Erst in letz­ter Zeit geht Deutsch­land verstärkt dazu über, ent­spre­chende Klau­seln zum Rück­fall des Be­steue­rungs­rechts an den Wohn­sitz­staat bei be­sag­ter "Kein­mal­be­steue­rung" in den je­wei­li­gen Ab­kom­men selbst zu ver­an­kern oder auch ein Ab­kom­men zu kündi­gen. Ein Bei­spiel für eine sol­che Kündi­gung wie für sol­che ab­kom­mens­ei­ge­nen Rück­fall­klau­seln gibt ge­rade das DBA-Türkei in sei­ner al­ten Fas­sung aus dem Jahre 1985 und sei­ner nun­mehr neu­ver­han­del­ten Fas­sung vom 19.9.2011.

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