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BFH: Finanzgerichtliches Verböserungsverbot begründet kein allgemeines "Änderungsverbot"

Urteil des BFH vom 13.6.2012 - VI R 92/10

Das fi­nanz­ge­richt­li­che Verböse­rungs­ver­bot begründet im Hin­blick auf § 174 Abs. 4 AO kein all­ge­mei­nes "Ände­rungs­ver­bot". Es be­sagt le­dig­lich, dass eine Schlech­ter­stel­lung des Klägers be­zo­gen auf die mit der Klage an­ge­grif­fene Steu­er­fest­set­zung durch das FG ver­bo­ten ist.

Der Sach­ver­halt:
Die Kläge­rin er­zielte als Pro­ku­ris­tin ei­ner GmbH Einkünfte aus nicht­selbständi­ger Ar­beit. Anläss­lich ei­ner im Jahr 2005 durch­geführ­ten Lohn­steuer-Außenprüfung wurde fest­ge­stellt, dass der So­zi­al­ver­si­che­rungsträger auf eine pflicht­ver­si­che­rungs­freie Be­schäfti­gung der Kläge­rin er­kannt hatte und dar­auf­hin die von der GmbH für die Kläge­rin seit 1997 ab­geführ­ten Ar­beit­neh­mer- und Ar­beit­ge­ber­an­teile zur Kran­ken-, Pflege- und Ren­ten­ver­si­che­rung im Jahr 2002 in frei­wil­lige Beiträge um­ge­wan­delt so­wie die Ar­beit­neh­mer- und Ar­beit­ge­ber­an­teile zur Ar­beits­lo­sen­ver­si­che­rung an den Ar­beit­ge­ber zurück­ge­zahlt wur­den.

Nach Auf­fas­sung des Prüfers führte dies zum rück­wir­ken­den Weg­fall der bis da­hin für die Kläge­rin an­ge­nom­me­nen So­zi­al­ver­si­che­rungs­pflicht. Die um­ge­wan­del­ten Ar­beit­ge­ber­an­teile seien - wie die ab Juni 2002 ge­zahl­ten Zu­schüsse des Ar­beit­ge­bers zur frei­wil­li­gen Kran­ken- und Pfle­ge­ver­si­che­rung der Kläge­rin - des­halb steu­er­ba­rer Ar­beits­lohn. Die­ser sei im je­wei­li­gen Lohn­zah­lungs­zeit­raum zu­ge­flos­sen und der Brut­to­ar­beits­lohn der Kläge­rin ent­spre­chend zu erhöhen. Die Er­stat­tung der Ar­beit­neh­me­ran­teile zur Ar­beits­lo­sen­ver­si­che­rung sei hin­ge­gen als Rück­zah­lung von Ar­beits­lohn zu wer­ten, da der Ar­beit­ge­ber diese nicht an die Kläge­rin wei­ter­ge­ge­ben habe. Die­ser Auf­fas­sung folgte auch das Fi­nanz­amt und er­ließ geänderte Ein­kom­men­steu­er­be­scheide für die Jahre 1997 bis 1999 bzw. 2000 bis 2002.

Das FG hob die die geänder­ten Fest­set­zun­gen für die Jahre 1997 bis 2001 auf. Im Übri­gen wurde die Klage ab­ge­wie­sen. An­schließend änderte das Fi­nanz­amt den - nun­mehr streit­ge­genständ­li­chen - Ein­kom­men­steu­er­be­scheid für 2002 er­neut. Es erhöhte die Einkünfte der Kläge­rin aus nicht­selbständi­ger Ar­beit - un­ter An­rech­nung der Rück­zah­lung aus der Ar­beits­lo­sen­ver­si­che­rung - um die im Jahr 2002 in frei­wil­lige Beiträge um­ge­wan­del­ten Ar­beit­ge­ber­an­teile am Ge­samt­so­zi­al­ver­si­che­rungs­bei­trag der Jahre 1997 bis 2001. Zu­gleich wurde die­ser Be­trag bei der Ein­kom­men­steu­er­fest­set­zung 2002 im Rah­men der ab­zieh­ba­ren Vor­sor­ge­auf­wen­dun­gen berück­sich­tigt.

Das FG gab der hier­ge­gen ge­rich­te­ten Klage statt. Auf die Re­vi­sion des Fi­nanz­am­tes hob der BFH das Ur­teil auf und wies die Klage ab.

Die Gründe:
Das Fi­nanz­amt durfte den Ein­kom­men­steu­er­be­scheid für das Jahr 2002 nach § 174 Abs. 4 AO zu Las­ten der Kläge­rin ändern.

Das fi­nanz­ge­richt­li­che Verböse­rungs­ver­bot begründet im Hin­blick auf § 174 Abs. 4 AO kein all­ge­mei­nes "Ände­rungs­ver­bot". Es be­sagt le­dig­lich, dass eine Schlech­ter­stel­lung des Klägers be­zo­gen auf die mit der Klage an­ge­grif­fene Steu­er­fest­set­zung durch das FG ver­bo­ten ist. Ei­ner er­neu­ten Ände­rung ei­nes zu­vor be­reits durch Ge­richts­ent­schei­dung geänder­ten Steu­er­be­scheids ste­hen Sinn und Zweck des § 174 Abs. 4 AO so­wie Rechts­kraftgründe je­doch ent­ge­gen, wenn es sich um den­sel­ben Streit­ge­gen­stand han­delt.

Das FG hatte mit kla­ge­ab­wei­sen­dem Erst­ur­teil ent­schie­den, die So­zi­al­ver­si­che­rungs­beiträge seien erst im Jahr 2002 als Lohn zu er­fas­sen und hatte da­her die Steu­er­fest­set­zun­gen für 1997 bis 2001 auf­ge­ho­ben. So­mit hat das Fi­nanz­amt mit der nachträgli­chen Ände­rung des hier streit­ge­genständ­li­chen Ein­kom­men­steu­er­be­scheids 2002 die rich­ti­gen steu­er­li­chen Fol­ge­run­gen ge­zo­gen, in­dem es die So­zi­al­ver­si­che­rungs­beiträge nun­mehr in die­sem Be­scheid er­fasste. Es hat mit die­ser Ände­rung kei­nen ge­richt­lich mo­di­fi­zier­ten Steu­er­be­scheid noch­mals geändert. Denn durch das Erst­ur­teil hat der Ein­kom­men­steu­er­be­scheid 2002 keine Ände­rung er­fah­ren. Es hat viel­mehr in dem Ein­kom­men­steuerände­rungs­be­scheid 2002 und da­mit in einem "an­de­ren" Be­scheid die zu­tref­fen­den steu­er­li­chen Fol­gen aus dem die Ein­kom­men­steu­er­fest­set­zun­gen 1997 bis 2001 ändern­den FG-Ur­teil ge­zo­gen.

Die Vor­in­stanz hatte ver­kannt, dass al­len­falls die Rechts­kraft ei­nes Ur­teils die Ände­rung ei­nes Steu­er­be­scheids hin­dern kann, wenn das FG un­ter Hin­weis auf das fi­nanz­ge­richt­li­che Verböse­rungs­ver­bot da­von ab­sieht, den ur­sprüng­lich an­ge­foch­te­nen Be­scheid zu Las­ten des Klägers zu ändern. Zwar er­streckte sich die Rechts­kraft des kla­ge­ab­wei­sen­den Erst­ur­teils auch hier auf den Ein­kom­men­steu­er­be­scheid 2002. Al­ler­dings ist die ma­te­ri­elle Rechts­kraft­wir­kung des § 110 Abs. 1 FGO nach ständi­ger BFH-Recht­spre­chung auf den Teil des Streit­ge­gen­stands be­grenzt, über den je­weils ent­schie­den wurde, und das war hier eben nicht der Ein­kom­men­steu­er­be­scheid 2002.

Link­hin­weis:
  • Der Voll­text der Ent­schei­dung ist auf der Home­page des BFH veröff­ent­licht.
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