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Steuerberatung

Aufhebung der Wegzugsbesteuerung nach Anteilsveräußerung

FG Münster v. 17.9.2020 - 5 K 3356/17 E

Ein Ein­kom­men­steu­er­be­scheid, mit dem ein fik­ti­ver Veräußerungs­ge­winn von Ka­pi­tal­ge­sell­schafts­an­tei­len auf­grund ei­nes Weg­zugs ins EU-Aus­land fest­ge­setzt wurde, wird auf­ge­ho­ben, wenn die An­teile später zu einem nied­ri­ge­ren Wert ver­kauft wer­den und die Wert­min­de­rung im Zu­zugs­staat "nicht berück­sich­tigt" wird (§ 6 Abs. 6 Satz 1 AStG). Diese Re­ge­lung greift nicht ein, wenn im Zu­zugs­staat keine Steu­er­erklärung ab­ge­ge­ben wird.

Der Sach­ver­halt:
Die zu­sam­men­ver­an­lag­ten Kläger zo­gen im Streit­jahr 2012 von Deutsch­land nach Öster­reich. Zu die­sem Zeit­punkt hielt der Kläger 50 % der Ge­sell­schafts­an­teile an ei­ner inländi­schen GmbH, de­ren ge­mei­ner Wert zum Weg­zugs­zeit­punkt höher war als die An­schaf­fungs­kos­ten. Das Fi­nanz­amt er­fasste den sich dar­aus er­ge­ben­den fik­ti­ven Veräußerungs­ge­winn im Rah­men des Ein­kom­men­steu­er­be­scheids für 2012 und stun­dete die fest­ge­setzte Steuer nach § 6 Abs. 5 AStG. Im Jahr 2016 veräußerte der Kläger die An­teile und er­zielte hier­bei einen nied­ri­ge­ren als den im Jahr 2012 zu­grunde ge­leg­ten fik­ti­ven Veräußerungs­ge­winn. Die Wert­min­de­rung war be­trieb­lich be­dingt. Auf­grund der Veräußerung wi­der­rief das Fi­nanz­amt die Stun­dung.

Die Kläger be­an­trag­ten dar­auf­hin die Ände­rung des Ein­kom­men­steu­er­be­scheids für 2012 nach § 6 Abs. 6 Satz 1 AStG i.V.m. § 175 Abs. 1 Satz 2 AO. Dies lehnte das Fi­nanz­amt un­ter Hin­weis auf eine mögli­che Berück­sich­ti­gung der Wert­min­de­rung in Öster­reich ab. Zur Begründung ih­rer Klage führ­ten die Kläger aus, dass der Kläger im Jahr 2016 le­dig­lich Ren­ten­einkünfte er­zielt habe, die nach den DBA-Re­ge­lun­gen in Deutsch­land zu be­steu­ern seien. Da er aus ge­sund­heit­li­chen Gründen nicht mehr er­werbstätig sei, werde er auch in Zu­kunft in Öster­reich keine Einkünfte er­zie­len, so­dass eine Berück­sich­ti­gung der Wert­min­de­rung in Form von Ver­lust­vorträgen ins Leere ginge. Des­halb hätten die Kläger in Öster­reich keine Steu­er­erklärun­gen ab­ge­ge­ben.

Das FG wies die Klage ab. Die Re­vi­sion zum BFH wurde we­gen grundsätz­li­cher Be­deu­tung der Rechts­sa­che zu­ge­las­sen.

Die Gründe:
Die Kläger ha­ben kei­nen An­spruch auf Ände­rung gem. § 6 Abs. 6 AStG i.V.m. § 175 Abs. 1 Satz 2 AO.

Die Be­tei­lig­ten sind zunächst übe­rein­stim­mend zu­tref­fend da­von aus­ge­gan­gen, dass der Weg­zug nach Öster­reich eine Be­steue­rung nach § 6 Abs. 1 AStG aus­gelöst hat, dass die Steuer zu stun­den ist und dass die Veräußerung gem. § 6 Abs. 5 Satz 4 Nr. 1 AStG zu einem Wi­der­ruf der Stun­dung führt. Die Vor­aus­set­zun­gen für die be­an­tragte Ände­rung des Ein­kom­men­steu­er­be­scheids für 2012 gem. § 6 Abs. 6 Satz 1 AStG i.V.m. § 175 Abs. 1 Satz 2 AO lie­gen je­doch nicht vor. Zwar ist der tatsäch­lich im Jahr 2016 er­wirt­schaf­tete Veräußerungs­ge­winn nied­ri­ger als der im Jahr 2012 zu­grunde ge­legte fik­ti­ven Veräußerungs­ge­winn und diese Wert­min­de­rung ist auch un­strei­tig be­trieb­lich ver­an­lasst. Die Kläger ha­ben al­ler­dings nicht nach­ge­wie­sen, dass die Wert­min­de­rung bei der Ein­kom­mens­be­steue­rung in Öster­reich nicht berück­sich­tigt wor­den ist.

Eine sol­che Nicht­berück­sich­ti­gung setzt eine er­folg­lose Be­an­tra­gung im Zu­zugs­staat vor­aus. Nur dann kann der Zu­zugs­staat eine Ent­schei­dung über die steu­er­li­che Berück­sich­ti­gung tref­fen. Nach der Ge­set­zes­begründung ist es so­gar er­for­der­lich, dass eine Ver­lust­berück­sich­ti­gung im Zu­zugs­staat recht­lich nicht möglich ist; Öster­reich gewährt al­ler­dings die Möglich­keit ei­nes Ver­lust­vor­trags hin­sicht­lich der Veräußerung von Ka­pi­tal­ge­sell­schafts­an­tei­len. Ein an­de­res Verständ­nis würde letzt­lich auf ein Wahl­recht hin­sicht­lich der Berück­sich­ti­gung des Ver­lusts im In­land oder Aus­land eröff­nen, was dem Sinn und Zweck der Re­ge­lung wi­der­spräche.

Un­er­heb­lich ist, dass der Kläger keine in Öster­reich zu be­steu­ern­den Einkünfte er­zielt hat und auch in Zu­kunft vor­aus­sicht­lich nicht er­zie­len wird. Der Be­griff der "Berück­sich­ti­gung der Wert­min­de­rung" ist da­hin­ge­hend weit aus­zu­le­gen, dass auch die ab­strakte Möglich­keit ei­ner Berück­sich­ti­gung im Rah­men ei­nes Ver­lust­vor­tra­ges genügt. Hierfür spricht, dass eine vollständige wirt­schaft­li­che Kom­pen­sa­tion der in Deutsch­land aus­gelösten Weg­zugs­be­steue­rung durch eine Ver­lust­berück­sich­ti­gung im Aus­land be­reits we­gen der Un­ter­schiede im Steu­er­satz und im Be­steue­rungs­sys­tem (Tei­leinkünf­te­ver­fah­ren) nicht statt­fin­det.

Diese Aus­le­gung verstößt auch nicht ge­gen die Nie­der­las­sungs­frei­heit. Nach der hierzu er­gan­ge­nen Recht­spre­chung des EuGH ist eine Be­steue­rung nicht rea­li­sier­ter Wert­zuwächse im Weg­zugs­staat ohne Berück­sich­ti­gung später ein­tre­ten­der Wert­min­de­run­gen im Zu­zugs­staat zulässig.

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