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Altersvorsorgeaufwendungen nicht als vorweggenommene Werbungskosten anerkannt

BVerfG 14.6.2016, 2 BvR 290/10 u.a.

Die ge­setz­ge­be­ri­sche Qua­li­fi­zie­rung von Al­ters­vor­sor­ge­auf­wen­dun­gen als Son­der­aus­ga­ben und die vor­ge­se­hene höhenmäßige Be­schränkung des Son­der­aus­ga­ben­ab­zugs sind ver­fas­sungs­recht­lich nicht zu be­an­stan­den. Die Frage des Ver­stoßes ge­gen das Ver­bot der Dop­pel­be­steue­rung kann erst in den Ver­an­la­gungs­zeiträumen der Ren­ten­be­steue­rung zum Ge­gen­stand der ver­fas­sungs­recht­li­chen Be­ur­tei­lung ge­macht wer­den.

Der Sach­ver­halt:
Die im Jahr 1977 ge­bo­rene Be­schwer­deführe­rin im Ver­fah­ren 2 BvR 290/10 war im Streit­jahr 2005 als An­ge­stellte nicht­selbständig tätig. Sie hatte in ih­rer Ein­kom­men­steu­er­erklärung er­folg­los den Ar­beit­neh­me­ran­teil zur ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung als vor­weg­ge­nom­mene Wer­bungs­kos­ten steu­er­min­dernd gel­tend ge­macht. Auch Ein­spruch und Klage blie­ben er­folg­los.

Der im Jahr 1959 ge­bo­rene Be­schwer­deführer im Ver­fah­ren 2 BvR 323/10 ist als Steu­er­be­ra­ter und ver­ei­dig­ter Buchprüfer nicht­selbständig tätig. Er hatte im Lohn­steuer-Ermäßigungs­ver­fah­ren beim zuständi­gen Fi­nanz­amt er­folg­los be­an­tragt, die von ihm zu leis­ten­den Beiträge an das Wirt­schaftsprüfer-Ver­sor­gungs­werk als vor­weg­ge­nom­mene Wer­bungs­kos­ten auf der Lohn­steu­er­karte ein­zu­tra­gen. Auch hier blie­ben Ein­spruch und Klage ohne Er­folg.

Mit ih­ren Ver­fas­sungs­be­schwer­den rügten die Be­schwer­deführer im We­sent­li­chen eine Ver­let­zung ih­rer Rechte aus Art. 3 Abs. 1 GG. Das BVerfG nahm beide Ver­fas­sungs­be­schwer­den nicht zur Ent­schei­dung an.

Die Gründe:
Die an­ge­grif­fe­nen Ent­schei­dun­gen und die die­sen zu­grun­de­lie­gen­den Re­ge­lun­gen des EStG ver­let­zen die Be­schwer­deführer nicht in ih­rem Grund­recht aus Art. 3 Abs. 1 GG.

Der Ge­setz­ge­ber hat Al­ters­vor­sor­ge­auf­wen­dun­gen gem. § 10 Abs. 1 Nr. 2a EStG ein­fach­recht­lich als Son­der­aus­ga­ben qua­li­fi­ziert, woran er von Ver­fas­sungs we­gen nicht ge­hin­dert ist. Die vom BFH vor­ge­nom­mene Ein­ord­nung der Vor­schrift als lex spe­cia­lis ge­genüber § 10 Abs. 1 i.V.m. § 9 Abs. 1 S. 1 EStG ist ver­fas­sungs­recht­lich eben­falls nicht zu be­an­stan­den. Das Ge­richt weist zu Recht dar­auf hin, dass die an die ge­setz­li­che Ren­ten­ver­si­che­rung und be­rufsständi­sche Ver­sor­gungs­ein­rich­tun­gen zu leis­ten­den Beiträge ih­rer ma­te­ri­el­len Rechts­na­tur nach nicht in vol­lem Um­fang Wer­bungs­kos­ten des Bei­trags­zah­lers dar­stel­len. Denn Al­ters­vor­sor­ge­auf­wen­dun­gen in Form von Beiträgen zur ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung und be­rufsständi­schen Ver­sor­gungs­ein­rich­tun­gen wei­sen ne­ben ih­rer Be­stim­mung zur Er­zie­lung zukünf­ti­ger Einkünfte an­ders als übli­cher­weise vor­weg­ge­nom­mene Wer­bungs­kos­ten zu­gleich vermögens­bil­dende oder ver­si­che­rungs­spe­zi­fi­sche Kom­po­nen­ten auf.

So­weit sich der Ge­setz­ge­ber mit der Um­stel­lung auf die nach­ge­la­gerte Be­steue­rung der Al­ter­seinkünfte von dem Prin­zip der Er­trags­an­teils­be­steue­rung gelöst hat, mag es auf der Ebene des ein­fa­chen Steu­er­rechts sys­te­ma­ti­sch vor­zugswürdig er­schei­nen, die Auf­wen­dun­gen nun­mehr der Sphäre der Einkünfte und den Wer­bungs­kos­ten zu­zu­ord­nen. Dem Ge­setz­ge­ber steht je­doch ein wei­ter Spiel­raum zu, der mit der ein­heit­li­chen Zu­wei­sung von Al­ters­vor­sor­ge­auf­wen­dun­gen zu den Son­der­aus­ga­ben nicht über­schrit­ten ist. Das Ver­bot dop­pel­ter Be­steue­rung kann so­wohl durch ent­spre­chende Re­ge­lun­gen in der Auf­bau- als auch in der Ver­sor­gungs­phase ge­wahrt wer­den. Aus dem Ver­bot dop­pel­ter Be­steue­rung lässt sich je­doch kein An­spruch auf eine be­stimmte Ab­zugsfähig­keit der Beiträge in der Auf­bau­phase ab­lei­ten.

Auch die vor­ge­se­hene höhenmäßige Be­schränkung des Son­der­aus­ga­ben­ab­zugs für Al­ters­vor­sor­ge­auf­wen­dun­gen auf jähr­lich bis zu 20.000 € bzw. 40.000 € gem. § 10 Abs. 3 S. 1 u. 2 EStG ist ver­fas­sungs­recht­lich nicht zu be­an­stan­den. Der Ge­setz­ge­ber hat sich bei der Einführung der höhenmäßigen Ab­zugs­be­schränkung auf das Ziel der Miss­brauchs­ver­mei­dung gestützt. Da­bei han­delt es sich um einen sach­ge­rech­ten Grund für die Be­schränkung der Al­ters­vor­sor­ge­auf­wen­dun­gen und die da­mit ver­bun­dene Aus­nahme von der ge­setz­ge­be­ri­schen Ent­schei­dung für eine grundsätz­lich nach­ge­la­gerte Be­steue­rung der Al­ter­seinkünfte. Das Ziel der Miss­brauchs­ver­mei­dung liegt in­ner­halb des wei­ten ge­setz­ge­be­ri­schen Ent­schei­dungs­spiel­raums.

Letzt­lich steht auch die Überg­angs­re­ge­lung des § 10 Abs. 3 S. 4 bis 6 EStG mit ver­fas­sungs­recht­li­chen An­for­de­run­gen in Ein­klang. Sie sieht - be­gin­nend ab dem Jahr 2005 - eine be­grenzte und in den Fol­ge­jah­ren allmählich stei­gende pro­zen­tuale Berück­sich­ti­gung von Al­ters­vor­sor­ge­auf­wen­dun­gen bis zu de­ren vollen Ab­zugsfähig­keit ab dem Jahr 2025 vor. Das führt dazu, dass ein Ar­beit­neh­mer vor dem Jahr 2025 nur einen Teil sei­ner Al­ters­vor­sor­ge­auf­wen­dun­gen als Son­der­aus­ga­ben steu­er­min­dernd gel­tend ma­chen kann, auch wenn seine Ren­ten­bezüge vor­aus­sicht­lich zu 100 % der Be­steue­rung un­ter­lie­gen, weil er erst nach dem Jahr 2025 das der­zeit gel­tende Ren­ten­ein­tritts­al­ter er­reicht. Un­gleich­be­hand­lun­gen, die da­mit ein­her­ge­hen, sind je­doch für die Überg­angs­zeit - bis zur Grenze ei­ner ver­bo­te­nen Dop­pel­be­steue­rung - ver­fas­sungs­recht­lich hin­nehm­bar.

Zwar ist es ge­rade für die Ar­beit­neh­mer­jahrgänge, die in den Jah­ren 2039 bis 2043 in die Ren­ten­be­zugs­phase ein­tre­ten, nicht aus­ge­schlos­sen, dass es zu ei­ner Dop­pel­be­steue­rung kommt, weil ihre Auf­wen­dun­gen in den ers­ten Jah­ren nach In­kraft­tre­ten des Al­ter­seinkünf­te­ge­set­zes nur in verhält­nismäßig ge­rin­gem Um­fang steu­er­lich ent­las­tet wur­den. Ein Ver­stoß ge­gen das Ver­bot der Dop­pel­be­steue­rung kann je­doch erst in den Ver­an­la­gungs­zeiträumen der Ren­ten­be­steue­rung zum Ge­gen­stand der ver­fas­sungs­recht­li­chen Prüfung ge­macht wer­den. Die Überprüfung des Ver­bots der Dop­pel­be­steue­rung schon in der Auf­bau­phase wäre mit er­heb­li­chen Un­si­cher­hei­ten be­haf­tet.

Link­hin­weis:

  • Der Voll­text der Ent­schei­dung ist auf der Home­page des BVerfG veröff­ent­licht.
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