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Versehentlich fehlerhafte Bezeichnung des beklagten Finanzamtes bei mehreren Finanzämtern in einer Großstadt

BFH 13.5.2014, XI B 129/13 u.a.

Ein FG muss bei der Aus­le­gung der Kla­ge­schrif­ten dar­auf ach­ten, dass es sich mögli­cher­weise um die zu­tref­fende Be­zeich­nung ei­nes Fi­nanz­amts von meh­re­ren Fi­nanzämtern ei­ner Großstadt han­delt, de­ren Be­zeich­nung sich le­dig­lich durch die Beifügung ei­ner römi­schen Zif­fer ("II" bzw. "IV") un­ter­schei­det und dass in der­ar­ti­gen Fällen eine (ver­se­hent­li­che) Falsch­be­zeich­nung be­son­ders na­he­lie­gend ist. Es ist der wirk­li­che Wille zu er­for­schen, und nicht am buchstäbli­chen Sinn des Aus­drucks zu haf­ten.

Der Sach­ver­halt:
Der Kläger, ver­tre­ten durch sei­nen Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten, hatte im Sep­tem­ber 2011 Klage we­gen Um­satz­steuer 2007, Ge­wer­be­steu­er­mess­be­trag 2003 bis 2007, ge­son­der­ter Fest­stel­lung des vor­tragsfähi­gen Ge­wer­be­ver­lus­tes zum 31.12.2003 bis 31.12.2007 und Zer­le­gung der Ge­wer­be­steu­er­mess­beträge 2004 bis 2005, Ein­kom­men­steuer 2003 und 2004 so­wie Um­satz­steuer 2003 bis 2005 er­ho­ben. In den Kla­ge­schrif­ten gab er je­weils an, dass sich die Klage ge­gen das Fi­nanz­amt X II richte. Eine Steu­er­num­mer war nicht an­ge­ge­ben.

Das FG stellte die Kla­gen dem Fi­nanz­amt X II zu. Dar­auf­hin mel­dete sich das Fi­nanz­amt X IV, das sich selbst als "Be­klag­ter" be­zeich­nete und teilte u.a. mit, der Kläger habe den fal­schen Be­klag­ten be­nannt; die Ein­spruchs­ent­schei­dun­gen seien sei­tens des Fi­nanz­amt X IV er­gan­gen. Das FG for­derte den Kläger zur Stel­lung­nahme dazu auf. Es bestünden Be­den­ken ge­gen die Zulässig­keit der Kla­gen. Man gehe da­von aus, dass der Kläger die Kla­gen ge­gen die fal­sche Fi­nanz­behörde er­ho­ben habe, da "of­fen­sicht­lich" nicht das Fi­nanz­amt X II die an­ge­grif­fe­nen Ein­spruchs­ent­schei­dun­gen er­las­sen habe, son­dern das Fi­nanz­amt X IV.

Der Kläger wie­der­holte die Kla­ge­er­he­bun­gen ge­gen ein - nicht exis­tie­ren­des - Fi­nanz­amt X (ohne Zu­satz) und be­an­tragte Wie­der­ein­set­zung in den vo­ri­gen Stand. Dar­auf­hin er­wi­derte er­neut das Fi­nanz­amt X IV - sich als "Be­klag­ter" be­zeich­nend-, dass in den Ein­spruchs­ent­schei­dun­gen ver­merkt sei, dass die Ent­schei­dung durch das Fi­nanz­amt X IV er­folgt sei. Das FG lud den Kläger und (nur) das Fi­nanz­amt X II zur münd­li­chen Ver­hand­lung und wies die Kla­gen ab. Die Kla­gen seien nicht ge­gen den rich­ti­gen Be­klag­ten er­ho­ben wor­den und des­halb un­zulässig.

Auf die Be­schwer­den des Klägers hob der BFH die Ent­schei­dung der Vor­in­stanz auf und wies die Sa­che zur er­neu­ten Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das FG zurück.

Die Gründe:
Der vom Kläger gel­tend ge­machte Ver­fah­rens­man­gel der Ver­let­zung recht­li­chen Gehörs lag vor. Das FG hatte die Kla­gen zu Un­recht als un­zulässig ab­ge­wie­sen. Eine un­zu­tref­fende Kla­ge­ab­wei­sung durch Pro­zes­sur­teil stellt einen Ver­fah­rens­feh­ler i.S.d. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO dar.

Lässt sich ei­ner Kla­ge­schrift nicht ein­deu­tig ent­neh­men, ge­gen wel­che Fi­nanz­behörde sich die Klage rich­tet, ist die Kla­ge­schrift aus­zu­le­gen, wo­bei als Aus­le­gungs­hilfe der Ge­sichts­punkt die­nen kann, dass die Klage im Zwei­fel nicht ge­gen den fal­schen, son­dern ge­gen den nach dem In­halt der Klage rich­ti­gen Be­klag­ten ge­rich­tet sein soll. Die Be­zeich­nung der Par­tei al­lein ist für die Par­tei­stel­lung nicht aus­schlag­ge­bend; viel­mehr kommt es dar­auf an, wel­cher Sinn der von der kla­gen­den Par­tei in der Kla­ge­schrift gewähl­ten Par­tei­be­zeich­nung bei ob­jek­ti­ver Würdi­gung des Erklärungs­in­halts bei­zu­le­gen ist. Auf die Wort­wahl und die Be­zeich­nung kommt es nicht ent­schei­dend an, son­dern auf den ge­sam­ten In­halt der Wil­lens­erklärung. Es ist der wirk­li­che Wille zu er­for­schen, und nicht am buchstäbli­chen Sinn des Aus­drucks zu haf­ten. Die Vor­schrift des § 133 BGB ist nämlich auch bei der Aus­le­gung von Pro­zess­hand­lun­gen zu be­ach­ten.

In­fol­ge­des­sen war das FG zu Un­recht da­von aus­ge­gan­gen, dass die Kla­gen un­zulässig sind, weil Be­klag­ter ein­deu­tig und un­miss­verständ­lich das Fi­nanz­amt X II sei. Es hatte bei sei­ner Aus­le­gung der Kla­ge­schrif­ten nicht berück­sich­tigt, dass es hier um die zu­tref­fende Be­zeich­nung ei­nes Fi­nanz­amts von meh­re­ren Fi­nanzämtern ei­ner Großstadt ging, de­ren Be­zeich­nung sich le­dig­lich durch die Beifügung ei­ner römi­schen Zif­fer ("II" bzw. "IV") un­ter­schied und dass in der­ar­ti­gen Fällen eine (ver­se­hent­li­che) Falsch­be­zeich­nung be­son­ders na­he­lie­gend ist. Zu­dem hatte der Kläger in al­len Ver­fah­ren die an­ge­foch­te­nen Ver­wal­tungs­akte und Ein­spruchs­ent­schei­dun­gen ein­deu­tig be­zeich­net.

Dass die An­ga­ben des Klägers in den Kla­ge­schrif­ten, ob­wohl er dort seine Steu­er­num­mer nicht ge­nannt hatte, die Aus­le­gung zu­ließ, dass das Fi­nanz­amt X IV Be­klag­ter sein sollte, wurde außer­dem da­durch bestätigt, dass sich das Fi­nanz­amt X IV in al­len Ver­fah­ren selbst als Be­klag­ten an­ge­se­hen und be­zeich­net hatte, ob­wohl nicht ihm, son­dern dem Fi­nanz­amt X II die Klage zu­ge­stellt wor­den war. Das Fi­nanz­amt X II mus­ste da­ge­gen vom FG ge­son­dert auf­ge­for­dert wer­den, auf die Kla­gen zu er­wi­dern, weil es sich selbst - trotz Zu­stel­lung der Kla­gen an das Fi­nanz­amt X II - nicht als Be­klag­ten an­ge­se­hen hatte.

Link­hin­weis:

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