Der Sachverhalt:
Die Kläger sind Ehegatten, die vom Finanzamt zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger erwarb am 31.5.2007 fünf "EUR Lock in Bull Certificates on the DAX" (Lock in Bull Zertifikate) zum Kurswert von 225.000 € zzgl. 2.250 € Provision. Die Zertifikate im Nominalwert von 50.000 € hatten eine Laufzeit vom 31.5.2007 bis zum 1.10.2008. Als "Observation Date" war der 28.7.2008 festgelegt. Als Verzinsung war für den Zeitraum vom 31.5.2007 bis zum 28.7.2008 ein Betrag von 333 € je Zertifikat vorgesehen.
Wenn innerhalb der Beobachtungsphase ("Observation Period") vom 31.5.2007 bis zum 28.7.2008 der "Lock in Level" (Oberwert) von 115 % des Referenzwertes des Zertifikats von 7.883 € erreicht und der "Barrier Level" (Unterwert) von 85 Prozent des Referenzwertes nicht erreicht worden wäre, hätte der Emittent einen Betrag von 180 % des Nominalwertes zzgl. des Zinsbetrags von 333 € zahlen müssen. Wenn innerhalb der Beobachtungsphase vom 31.5.2007 bis zum 28.7.2008 der "Barrier Level" (Unterwert) von 85 Prozent des Referenzwertes erreicht und der "Lock in Level" (Oberwert) von 115 Prozent des Referenzwertes nicht erreicht worden wäre, hätte der Emittent nur noch einen Betrag von 15 Prozent des Nominalwertes zzgl. des Zinsbetrags von 333 € zahlen müssen. Wäre während der Beobachtungsphase vom 31.5.2007 bis zum 28.7.2008 weder der "Barrier Level" (Unterwert) von 85 Prozent des Referenzwertes noch der "Lock in Level" (Oberwert) von 115 Prozent des Referenzwertes erreicht worden, hätte der Emittent einen Betrag von 110 Prozent des Nominalwerts zzgl. des Zinsbetrags von 333 € zahlen müssen.
Da sich die Aktienkurse zu Beginn des Jahres 2008 negativ entwickelten, wurde der Unterwert des Zertifikats unterschritten. Der Kläger entschloss sich deshalb, die Option zum Erwerb von fünf "Underlying Certificates" gegen Zahlung von 25.000 € auszuüben. Dem Kläger gelang es so, die fünf Lock in Bull Zertifikate im Mai 2008 für insgesamt rd. 38.000 € zu veräußern. Die Kläger machten in ihrer für das Jahr 2008 abgegebenen Einkommensteuererklärung den Verlust aus der Veräußerung der Lock in Bull Zertifikate von rd. 210.000 € und hiermit im Zusammenhang stehende Werbungskosten von rd. 28.000 € geltend. Das Finanzamt erkannte als Verlust aus der Veräußerung der Lock in Bull Zertifikate nur einen Betrag von rd. 27.000 € € und damit im Zusammenhang stehende Werbungskosten von rd. 5.000 € an.
Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Die Revision zum BFH wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
Die Gründe:
Das beklagte Finanzamt hat zu Recht den Verlust aus der Veräußerung der Lock in Bull Zertifikate von 211.650 € und die damit im Zusammenhang stehenden Werbungskosten von 27.698 € nur zum Teil anerkannt.
Nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 S. 1 und Abs. 2 S. 1 Nr. 4 S. 1 Buchst. c EStG 2007 zählen zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch Einnahmen aus der Veräußerung oder Einlösung von sonstigen Kapitalforderungen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG, bei denen die Höhe der Erträge von einem ungewissen Ereignis abhängt, soweit sie der rechnerisch auf die Besitzzeit entfallenden Emissionsrendite entsprechen. Haben die Kapitalforderungen - wie hier - keine Emissionsrendite, gilt gem. § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 S. 2 EStG der Unterschied zwischen dem Entgelt für den Erwerb und den Einnahmen aus der Veräußerung, Abtretung oder Einlösung als Kapitalertrag. § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 EStG ergänzt die Regelung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 S. 1 EStG. Die Steuerbarkeit der Unterschiedsbeträge aus der Veräußerung oder Abtretung sonstiger Kapitalforderungen ergibt sich somit aus der Verbindung von § 20 Abs. 1 Nr. 7 S. 1 EStG und § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 S. 2 EStG zu einem einheitlichen Steuertatbestand.
Die in Rede stehenden Lock in Bull Zertifikate gehören zu den sonstigen Kapitalforderungen i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 7 S. 1 und Abs. 2 S. 1 Nr. 4 S. 1 Buchst. c EStG. Dem Kläger ist zum einen ein Entgelt für die Überlassung des Kapitals in Gestalt einer - wenn auch geringen - Verzinsung zugesagt worden. Darüber hinaus ist dem Kläger eine Kapitalrückzahlung zugesagt worden. Insoweit reicht eine nur teilweise Zusage der Kapitalrückzahlung - hier i.H.v. 15 Prozent - aus. Die Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 Buchst. c EStG liegen ebenfalls vor. Im Streitfall handelt es sich um die Veräußerung einer sonstigen Kapitalforderung mit Zinsforderung, bei der die Höhe der Erträge von einem ungewissen Ereignis abhängt. Die Höhe des Ertrags war von der ungewissen Entwicklung des Aktienkurses abhängig und konnte bei günstiger Kursentwicklung entweder 10 oder 80 Prozent des Nominalwerts der Zertifikate betragen.
In Anwendung der vom BFH entwickelten Grundsätze kann im Streitfall nicht der gesamte Verlust aus der Veräußerung der Lock in Bull Zertifikate nach § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 S. 2 EStG anerkannt werden. Entsprechendes gilt gem. § 9 Abs. 1 S. 2 EStG für die damit im Zusammenhang stehenden Werbungskosten. Soweit der Kläger das der Höhe nach eindeutig bestimmbare Risiko eines Kapitalausfalls i.H.v. 85 Prozent des Nennbetrags der Zertifikate eingegangen ist, ist der bei der Veräußerung der Zertifikate erlittene Verlust dem nicht steuerbaren Bereich zuzuordnen. Damit wird der Wortlaut des § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 S. 2 EStG insoweit eingeschränkt, als dies angesichts der fehlenden Abgrenzbarkeit von Nutzungsentgelt und realisierter Wertveränderung geboten ist. Allein der klar abgrenzbare Bereich des Risikos eines Vermögensverlusts i.H.v. 85 Prozent des eingesetzten Kapitals wird von der Steuerbarkeit und damit von der steuerlichen Abzugsfähigkeit ausgenommen.
Vorliegend kann der garantierte Mindestrückzahlungsbetrag bestimmt werden. Denn der Mindestrückzahlungsbetrag für die Lock in Bull Zertifikate betrug nach Buchst. c der insoweit eindeutigen und daher nicht auslegungsbedürftigen Vertragsbedingungen 15 Prozent des Nennbetrags. Einer entsprechenden Anwendung der vom BFH entwickelten Grundsätze auf den Streitfall steht auch nicht entgegen, dass es dort um eine teleologische Reduktion des § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 S. 2 EStG zugunsten des Steuerpflichtigen ging. Der BFH hat vielmehr ausgeführt, dass die von ihm entwickelten Grundsätze sowohl für "positive" als auch für "negative Erträge aus einer Wertentwicklung des hingegebenen Kapitals" gälten. Es ist demnach nur folgerichtig, in den Fällen, in denen ein Wertzuwachs im privaten Bereich nicht zu besteuern ist, auch einen in diesem Bereich anfallenden Verlust steuerlich nicht zu berücksichtigen. Die Anwendung der vom BFH entwickelten Grundsätze auf dem Streitfall ist daher vom Sinn und Zweck des Gesetzes gedeckt.
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