„Back to the Roots“ – so lautete das Motto des fünften Retail Summit – Port of Thoughts am 19. April im Empire Riverside Hotel in Hamburg. Inzwischen gehört die Veranstaltung fest in den Terminkalender der Handelsexperten. Auch in diesem Jahr waren mehr als 300 Gäste der Einladung von Ebner Stolz, der Eversfrank-Gruppe, Comosoft und erstmals auch ISA, Architects of Internet, gefolgt. Wie der Titel verrät, lag der Fokus in diesem Jahr auf den traditionellen Kanälen – sozusagen den Wurzeln des Handels. Nachdem die Handelsbranche jahrelang fast ausschließlich die digitalen Wachstumstreiber im Fokus hatte, folgt nun die Trendwende. Die klassischen Kanäle wie die Filiale, der Handzettel und der Printkatalog feiern ein Revival. „Die digitale Transformation ist in vollem Gange und verlangt sehr gute Antworten. Insbesondere zahlreiche mittelständische Unternehmen müssen ihre Zurückhaltung gegenüber der Digitalisierung ablegen. Und dennoch: Das stationäre Geschäft ist kein Auslaufmodell – im Gegenteil“, betonte Jan Maertins, Partner von Ebner Stolz in seiner Begrüßungsrede.
Es geht nicht mehr um entweder oder, online oder offline. „Es geht um die Vielzahl und das Zusammenspiel der Kanäle. Das harmonische Miteinander ist der Schlüssel zum Erfolg“, sagte Kay Julius Evers, Geschäftsführer der Eversfrank Gruppe. Nicht umsonst eröffnen E-Commerce-Player wie Amazon oder MyMüsli Filialen und werben in Print. Auch der Getränkehersteller fritz-kulturgüter weiß die Vorzüge des stationären Einzelhandels zu schätzen. Laut fritz-Gründer Mirco Wolf Wiegert und Geschäftsführer Winfried Rübesam beschäftigt das Unternehmen sogenannte „Kistenartisten“, die vor Ort in den Läden die Getränkekästen kreativ in Szene setzen: mal zum Haus aufgestapelt, mal die Flaschen mit den unterschiedlichen Getränkefarben zum Regenbogen angeordnet. Die Fotos davon werden in den Social-Media-Kanälen gepostet – um die Konsumenten zu Fans zu machen, so der Anspruch von Mirco Wolf Wiegert.
Tuning the Roots: Das Miteinander von On- und Offline
Noch einen Schritt weiter zu den Wurzeln der Branche geht der Handelsriese real zurück. Wie Geschäftsführer Patrick Müller-Sarmiento berichtete, hat das Unternehmen ganze Teams auf verschiedene Wochenmärkte geschickt, um sich inspirieren zu lassen. Inzwischen hat real einige Filialen nach diesen Vorbildern umgebaut und die Marktatmosphäre in die Geschäfte gebracht. Gleichzeitig nutzt real aber auch digitale Lösungen, um die Filialen smarter zu machen. So experimentiert das Unternehmen mit einem One-Scan-Checkout. Dafür müssen die Kunden die Waren lediglich mit ihrem Smartphone scannen. Mit diesem einen Vorgang bezahlen sie digital, erhalten einen elektronischen Kassenbon und bekommen Payback-Punkte, Coupons und digitale Treuemarken gutgeschrieben. Das Warten in der Schlange hat ein Ende, genauso wie das Jonglieren mit Kundenkarten, Coupons, Bankkarten oder Bargeld.
Mit diesem Beispiel wurde klar, was auch die Referenten Dr. Philipp Andrée von Tchibo oder Prof. Dr. Klemens Skibicki von der Cologne Business School betonten: Die Digitalisierung hilft dabei, den Kunden gezielter zu bedienen, seine Wünsche besser wahrzunehmen und zu erfüllen. Digitalisierung ist kein Selbstzweck, kein Wert an sich, sondern nur im Zusammenspiel mit den richtigen Strategien und Entscheidungen sinnvoll. Insofern sei es auch falsch, von einer „Digitalisierungsstrategie“ zu sprechen, so Dr. Klemens Skibicki, also Digitalkanäle gesondert zu betrachten. Vielmehr gehe es um Verbinden und Zusammenführen.
Höhere Relevanz dank Personalisierung
Das bestätigt auch Dr. Philipp Andrée: Multichannel-Händler sind in einer besseren Position – vorausgesetzt, sie schaffen es, das Beste aus allen Welten geschickt zu kombinieren und somit jeden Vertriebskanal zu optimieren. Optimieren heißt insbesondere personalisieren, also darauf einzugehen, was den Kunden wirklich interessiert. Denn zunehmender Werbedruck erfordere eine höhere Relevanz einer Werbeaussendung, um überhaupt erfolgreich zu sein, so Andrée. Daher schneidet Tchibo seine E-Mail-Newsletter passgenau auf nahezu jeden seiner sieben Millionen Adressaten zu.
Doch was online möglich ist, funktioniert auch in Print. Davon ist Susan Fulczynski überzeugt, Spezialistin für Digitaldruck beim Modeunternehmen bonprix. In ihrer Präsentation zeigte sie, welche personalisierten Druckerzeugnisse das Modeunternehmen produziert, um aus der Masse der Werbeflut positiv hervorzustechen. So erscheinen auf dem Cover des Katalogs persönliche Kaufempfehlungen, die mithilfe von Algorithmen aus dem Online-Kaufverhalten abgeleitet werden. Texte werden auf persönliche Interessen zugeschnitten. Der Aufwand lohne sich, das zeige die gesteigerte Nachfrage, so Susan Fulczynski. Auch dank weiterentwickelter Drucktechnik und Software zur Verarbeitung von Daten sei die Time-to-Market inzwischen deutlich verkürzt und der Aufwand beherrschbar, erläuterten Tino Wägelein von Technologieanbieter Canon und Uwe Bünning von Softwarehersteller Quadient.
Daten schützen und dennoch gewinnbringend nutzen
Doch die Nutzung von Big Data oder – noch besser Smart Data, wie Dr. Klemens Skibicki es formulierte – hat auch ihre Schattenseiten. „Je mehr Daten zentral gesammelt und gespeichert werden, desto höher sind die Schäden bei einem Datenleck, z. B. verursacht durch Cyberkriminalität“, sagte Holger Klindtworth von Ebner Stolz. Das haben bereits einige Daten-Skandale in der Vergangenheit gezeigt. Auch deshalb hat der Gesetzgeber reagiert und die Regeln für die Nutzung von personenbezogenen Daten verschärft. Am 25. Mai 2018 tritt die EU-Datenschutz-Grundverordnung in Kraft. Was ist hier zu beachten? Wie sollen sich Unternehmen darauf vorbereiten? Was sind die größten Stolperfallen? Darüber referierte Holger Klindtworth zusammen mit Dr. Björn Alex, ebenfalls von Ebner Stolz. Ihnen ging es vor allem darum, für die Relevanz des Themas zu sensibilisieren. Ihre Botschaft: „Datenschutz ist Sache des CEO“, so Dr. Björn Alex. Denn wer gegen die Verordnung verstößt, riskiert eine Strafe von bis zu 4 Prozent des globalen Umsatzes – nicht zu vergessen die Schäden für das Image.
Alle Vorträge boten genügend Diskussionsstoff für die Pausen, die die Teilnehmer zum Networking nutzten. Der Tag klang im Penthouse Elb-Panorama mit atemberaubendem Blick auf die Hansestadt im Sonnenuntergang aus – auch ein Erlebnis, das analog besser ist als digital.