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Steuerberatung

Kapitalabfindungen für Kleinbetragsrenten aus Altersvorsorgeverträgen

BFH v. 6.11.2019 - X R 39/17

Die An­wen­dung des § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG auf Leis­tun­gen aus Al­ters­vor­sor­ge­verträgen setzt nicht vor­aus, dass der Ver­trag im Zeit­punkt der Aus­zah­lung der Leis­tung noch zer­ti­fi­ziert ist. Es genügt in die­sem Zu­sam­men­hang viel­mehr, wenn für den ein­zel­nen zu­vor ge­leis­te­ten Bei­trag die Vor­aus­set­zun­gen des § 10a oder des Ab­schn. XI des EStG - zu de­nen auch die Zer­ti­fi­zie­rung gehört - vor­ge­le­gen ha­ben.

Der Sach­ver­halt:
Die im Jahr 1950 ge­bo­rene Kläge­rin hatte am 27.12.2003 mit einem An­bie­ter einen zer­ti­fi­zier­ten Al­ters­vor­sor­ge­ver­trag (Banks­par­plan) ab­ge­schlos­sen. Ent­spre­chend § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Alt­ZertG a.F. sah die­ser vor, dass die Aus­zah­lung aus­schließlich in Form ei­ner le­bens­lan­gen mo­nat­li­chen Leib­rente oder ei­nes Aus­zah­lungs­plans mit mo­nat­li­chen Teil­ra­ten und an­schließender le­bens­lan­ger Teil­ka­pi­tal­ver­ren­tung möglich sein sollte.

Im Jahr 2014 ver­ein­barte die - zu die­sem Zeit­punkt 64-jährige - Kläge­rin mit dem An­bie­ter, das vor­han­dene Al­ters­vor­sor­ge­gut­ha­ben an­ge­sichts der ge­rin­gen Höhe der sich er­ge­ben­den lau­fen­den Leis­tun­gen zu Be­ginn des Jah­res 2015 in Form ei­ner Ein­mal­leis­tung aus­zu­zah­len. Dies war möglich ge­wor­den, weil - zeit­lich nach dem Ver­trags­schluss - durch das Al­ter­seinkünf­te­ge­setz (Alt­EinkG) mit Wir­kung zum 1.1.2005 in § 93 Abs. 3 EStG eine Re­ge­lung ge­schaf­fen wor­den war, wo­nach die Ka­pi­tal­ab­fin­dung ei­ner Klein­be­trags­rente zu Be­ginn der Aus­zah­lungs­phase als un­schädli­che Ver­wen­dung an­zu­se­hen ist.

In­fol­ge­des­sen zahlte der An­bie­ter der Kläge­rin am 2.1.2015 einen Be­trag von 9.026 € aus, der sich wie folgt auf­glie­derte:
 

  • Beträge (Ei­gen­leis­tun­gen der Steu­er­pflich­ti­gen so­wie Zin­sen), die durch eine Al­ters­vor­sor­ge­zu­lage oder den Son­der­aus­ga­ben­ab­zug nach § 10a EStG gefördert wor­den sind;
  • Zin­sen, die nicht gefördert wor­den sind;
  • Ei­gen­leis­tun­gen der Steu­er­pflich­ti­gen, die nicht gefördert wor­den sind.

Das Fi­nanz­amt be­steu­erte die Ka­pi­tal­ab­fin­dung i.H.v. 8.877 € als "Leis­tung aus einem Al­ters­vor­sor­ge­ver­trag" gem. § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG in vol­lem Um­fang und i.H.v. 51 € (nicht geförderte Zin­sen) gem. § 22 Nr. 5 Satz 2 Buchst. c EStG eben­falls in vol­lem Um­fang. Der wei­tere Teil­be­trag von 96 € blieb un­be­steu­ert, da er nicht gefördert wor­den war. Das FG wies die hier­ge­gen ge­rich­tete Klage ab. Auf die Re­vi­sion der Kläge­rin hob der BFH das Ur­teil auf und wies die Sa­che zur wei­te­ren Sach­aufklärung und er­neu­ten Ent­schei­dung an das FG zurück.

Gründe:
Zu Recht hat das Fi­nanz­amt den­je­ni­gen Teil der Ka­pi­tal­ab­fin­dung, der auf Beträgen (Ei­gen­leis­tun­gen so­wie Zin­sen) be­ruhte, die durch eine Al­ters­vor­sor­ge­zu­lage oder den Son­der­aus­ga­ben­ab­zug nach § 10a EStG gefördert wor­den wa­ren (8.877 €), dem Be­steue­rungs­tat­be­stand des § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG zu­ge­ord­net. Denn be­reits der Wort­laut der Re­ge­lung, nach der u.a. "Leis­tun­gen aus Al­ters­vor­sor­ge­verträgen" zu den steu­er­pflich­ti­gen sons­ti­gen Einkünf­ten gehören, war im Streit­fall erfüllt, da die Ka­pi­tal­ab­fin­dung eine Leis­tung aus dem von der Steu­er­pflich­ti­gen ab­ge­schlos­se­nen Al­ters­vor­sor­ge­ver­trag dar­stellt.

Die Sys­te­ma­tik der nach­ge­la­ger­ten Be­steue­rung ge­bie­tet es, den Be­griff des "Al­ters­vor­sor­ge­ver­trags" in § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG - in­so­weit ab­wei­chend von der De­fi­ni­tion des § 82 Abs. 1 Satz 1 EStG - da­hin­ge­hend zu ver­ste­hen, dass hierfür das Vor­han­den­sein ei­nes Al­ters­vor­sor­ge­ver­trags genügt, ohne zusätz­lich vor­aus­zu­set­zen, dass die­ser auch noch im Zeit­punkt der Vor­nahme der Aus­zah­lung zer­ti­fi­ziert sein muss. Nach der Sys­te­ma­tik des § 22 Nr. 5 EStG kommt es nämlich nicht auf die (ak­tu­elle) Zer­ti­fi­zie­rung des Ver­trags im Gan­zen an, son­dern viel­mehr dar­auf, ob für den ein­zel­nen zu­vor ge­leis­te­ten Bei­trag die Vor­aus­set­zun­gen des § 10a oder des Ab­schn. XI des EStG - zu de­nen die Zer­ti­fi­zie­rung gehört - vor­ge­le­gen ha­ben (§ 22 Nr. 5 Satz 2 EStG). § 93 Abs. 1 EStG - mit der Folge der ein­kom­men­steu­er­li­chen Er­fas­sung der Ka­pi­tal­ab­fin­dung nach § 22 Nr. 5 Satz 2 Buchst. c EStG statt nach § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG - ist in den Fällen des § 93 Abs. 3 EStG we­der un­mit­tel­bar noch ent­spre­chend an­zu­wen­den.

Hin­sicht­lich der Frage, ob die Vor­aus­set­zun­gen für die An­wen­dung des ermäßig­ten Steu­er­sat­zes (§ 34 Abs. 1 EStG) auf die Ka­pi­tal­ab­fin­dung vor­lie­gen, war der Rechts­streit nicht je­doch ent­schei­dungs­reif. § 22 Nr. 5 Satz 13 EStG war im Streit­jahr noch nicht an­wend­bar und hat für die früheren Zeiträume keine ent­schei­dende Be­deu­tung. Denn erst mit Wir­kung ab dem 01.01.2018  ist dem § 22 Nr. 5 EStG ein Satz 13 an­gefügt wor­den, wo­nach für Leis­tun­gen aus Al­ters­vor­sor­ge­verträgen nach § 93 Abs. 3 EStG die in § 34 Abs. 1 EStG ge­re­gelte Steu­er­sat­zermäßigung ent­spre­chend an­zu­wen­den ist. Im Streit­jahr 2015 konnte diese Rechts­folge der Be­steue­rung der Ka­pi­tal­ab­fin­dung nicht zu­grunde ge­legt wer­den. Auch hatte das FG zu Recht das Vor­lie­gen der Vor­aus­set­zun­gen des § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG ver­neint. Es hatte aber keine Fest­stel­lun­gen zu den Vor­aus­set­zun­gen des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG ge­trof­fen, so dass der Rechts­streit an die Vor­in­stanz zurück­ver­wie­sen wer­den mus­ste.
 

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