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EuGH zur Kontrolle von Standardklauseln in Verbraucherverträgen der Gasversorger

Urteil des EuGH vom 21.3.2013 - C-92/11

Stan­dard­klau­seln in Ver­brau­cher­verträgen un­ter­lie­gen auch dann ei­ner Miss­brauchs­kon­trolle, wenn sie nur eine für eine an­dere Ver­trags­ka­te­go­rie gel­tende na­tio­nale Re­ge­lung auf­grei­fen. Es ist Sa­che des na­tio­na­len Ge­richts, in je­dem Ein­zel­fall zu be­ur­tei­len, ob eine sol­che Klau­sel, die dem Gas­ver­sor­ger eine ein­sei­tige Preis­an­pas­sung er­laubt, den An­for­de­run­gen an Treu und Glau­ben, Aus­ge­wo­gen­heit und Trans­pa­renz genügt.

Der Sach­ver­halt:
Die Ver­brau­cher­zen­trale Nord­rhein-West­fa­len geht vor den deut­schen Ge­rich­ten ge­gen eine Stan­dard­ver­trags­klau­sel vor, mit der sich das Erd­gas­ver­sor­gungs­un­ter­neh­men RWE das Recht vor­behält, den Gas­lie­fer­preis ge­genüber sei­nen Kun­den ein­sei­tig zu ändern, wenn für sie ein Son­der­ta­rif gilt (Son­der­kun­den). An­statt den Stan­dard­ta­rif zu wählen, den die deut­schen Gas­ver­sor­ger den Ver­brau­chern an­bie­ten müssen, schlos­sen diese Kun­den ihre Verträge im Rah­men der Ver­trags­frei­heit.

Die Ver­brau­cher­zen­trale hält die frag­li­che Klau­sel für missbräuch­lich und nimmt RWE aus ab­ge­tre­te­nem Recht von 25 Ver­brau­chern auf Er­stat­tung der Zu­satz­zah­lun­gen i.H.v. ins­ge­samt rd. 16.000 € in An­spruch, die diese Ver­brau­cher in­folge von meh­re­ren Preis­erhöhun­gen an RWE ge­leis­tet hat­ten. RWE ist ins­bes. der An­sicht, dass die strei­tige Klau­sel, die in den für die be­trof­fe­nen Kun­den gel­ten­den all­ge­mei­nen Be­din­gun­gen ent­hal­ten ist, kei­ner Miss­brauchs­kon­trolle un­ter­liege. Sie nehme nämlich nur auf die für Ta­rif­kun­den­verträge gel­tende deut­sche Re­ge­lung Be­zug. Diese Re­ge­lung er­laubte es dem Lie­fe­ran­ten, die Gas­preise ein­sei­tig zu ändern, ohne den An­lass, die Vor­aus­set­zun­gen oder den Um­fang ei­ner sol­chen Ände­rung an­zu­ge­ben, stellte je­doch si­cher, dass die Kun­den von der Ände­rung be­nach­rich­tigt wur­den und den Ver­trag ggf. kündi­gen konn­ten.

LG und OLG ga­ben der Klage statt. RWE legte dar­auf­hin Re­vi­sion beim BGH ein. Die­ser er­sucht den EuGH um Aus­le­gung der Be­stim­mun­gen des Uni­ons­rechts, mit de­nen die Ver­brau­cher vor missbräuch­li­chen und/oder in­trans­pa­ren­ten Stan­dard­ver­trags­klau­seln ge­schützt wer­den sol­len. Für den BGH stellt sich u.a. die Frage, in wel­chem Um­fang Stan­dard­klau­seln, die le­dig­lich bin­dende Rechts­vor­schrif­ten auf­grei­fen, von ei­ner Miss­brauchs­kon­trolle aus­ge­schlos­sen sind.

Die Gründe:
Stan­dard­klau­seln in Ver­brau­cher­verträgen un­ter­lie­gen auch dann ei­ner Miss­brauchs­kon­trolle, wenn sie nur eine für eine an­dere Ver­trags­ka­te­go­rie gel­tende na­tio­nale Re­ge­lung auf­grei­fen.

Der Aus­schluss von der Miss­brauchs­kon­trolle für sol­che Ver­trags­klau­seln, die auf na­tio­na­len Rechts­vor­schrif­ten be­ru­hen, mit de­nen eine be­stimmte Ver­trags­ka­te­go­rie ge­re­gelt wird, ist da­durch ge­recht­fer­tigt, dass die An­nahme zulässig ist, dass der na­tio­nale Ge­setz­ge­ber eine aus­ge­wo­gene Re­ge­lung al­ler Rechte und Pflich­ten der Par­teien der be­tref­fen­den Verträge ge­trof­fen hat. Diese Ar­gu­men­ta­tion gilt je­doch nicht für Klau­seln an­de­rer Verträge. Nähme man nämlich eine Klau­sel in einem sol­chen Ver­trag von der Miss­brauchs­kon­trolle al­lein des­halb aus, weil sie eine Re­ge­lung auf­greift, die nur für eine an­dere Ver­trags­ka­te­go­rie gilt, so würde der vom Uni­ons­recht an­ge­strebte Ver­brau­cher­schutz gefähr­det.

I.Ü. hat der Uni­ons­ge­setz­ge­ber an­er­kannt, dass im Rah­men von un­be­fris­te­ten Verträgen wie Gas­lie­fe­rungs­verträgen das Ver­sor­gungs­un­ter­neh­men ein be­rech­tig­tes In­ter­esse daran hat, die Ent­gelte für seine Leis­tung zu ändern. Al­ler­dings muss eine Stan­dard­klau­sel, die eine sol­che ein­sei­tige An­pas­sung er­laubt, den An­for­de­run­gen an Treu und Glau­ben, Aus­ge­wo­gen­heit und Trans­pa­renz genügen. In­so­weit ist es letzt­lich nicht Sa­che des EuGH, son­dern die des na­tio­na­len Ge­richts, in je­dem Ein­zel­fall fest­zu­stel­len, ob dem so ist.

Bei die­ser Prüfung durch das na­tio­nale Ge­richt kommt den fol­gen­den Kri­te­rien be­son­dere Be­deu­tung zu:

  • In dem Ver­trag müssen der An­lass und der Mo­dus der Ände­rung der Ent­gelte so trans­pa­rent dar­ge­stellt wer­den, dass der Ver­brau­cher die et­wai­gen Ände­run­gen der Ent­gelte an­hand kla­rer und verständ­li­cher Kri­te­rien ab­se­hen kann. Das Aus­blei­ben der be­tref­fen­den In­for­ma­tion vor Ver­trags­ab­schluss kann grundsätz­lich nicht al­lein da­durch aus­ge­gli­chen wer­den, dass der Ver­brau­cher während der Durchführung des Ver­tra­ges mit an­ge­mes­se­ner Frist im Vor­aus über die Ände­rung der Ent­gelte und über sein Recht, den Ver­trag zu kündi­gen, un­ter­rich­tet wird.
  • Von der dem Ver­brau­cher ein­geräum­ten Kündi­gungsmöglich­keit muss un­ter den ge­ge­be­nen Be­din­gun­gen tat­sach­lich Ge­brauch ge­macht wer­den können. Dies wäre nicht der Fall, wenn der Ver­brau­cher aus Gründen, die mit den Kündi­gungs­mo­da­litäten oder mit den auf dem be­trof­fe­nen Markt herr­schen­den Be­din­gun­gen zu­sam­menhängen, nicht über eine wirk­li­che Möglich­keit zum Wech­sel des Lie­fe­ran­ten verfügt oder wenn er nicht an­ge­mes­sen und recht­zei­tig von der künf­ti­gen Ände­rung be­nach­rich­tigt wurde.

Die An­trage der deut­schen Re­gie­rung und von RWE, die Wir­kun­gen des Ur­teils zeit­lich zu be­gren­zen, um des­sen fi­nan­zi­elle Fol­gen in Gren­zen zu hal­ten, wies der EuGH zurück. Die Aus­le­gung des Uni­ons­rechts durch den EuGH ist da­her nicht nur auf die ab heute ein­tre­ten­den Ta­rifände­run­gen an­wend­bar, son­dern auch auf alle Ta­rifände­run­gen, die seit dem In­kraft­tre­ten der in die­sem Ur­teil aus­ge­leg­ten Be­stim­mun­gen des Uni­ons­rechts er­folgt sind. Darüber hin­aus ist er­for­der­lich, dass die Vor­aus­set­zun­gen für die An­ru­fung der zuständi­gen Ge­richte in einem die An­wen­dung die­ser Be­stim­mun­gen be­tref­fen­den Streit vor­lie­gen. Die fi­nan­zi­el­len Fol­gen für die Gas­ver­sor­gungs­un­ter­neh­men in Deutsch­land, die mit den Ver­brau­chern Son­der­kun­den­ver­trage ge­schlos­sen ha­ben, können i.Ü. nicht al­lein auf der Grund­lage der vor­lie­gend durch den EuGH vor­ge­nom­me­nen Aus­le­gung des Uni­ons­rechts be­stimmt wer­den. Es ist Sa­che des na­tio­na­len Ge­richts, un­ter Berück­sich­ti­gung die­ser Aus­le­gung über die kon­krete Be­wer­tung ei­ner be­stimm­ten Ver­trags­klau­sel an­hand der Umstände des Ein­zel­falls zu ent­schei­den.

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