Herr von Bauer, wir können momentan stark ansteigende Preise auf den Rohstoff- und Energiemärkten beobachten. Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe hierfür und wie gehen Sie mit dieser Situation um?
Axel von Bauer: Aus meiner Sicht spielen hier zwei Elemente eine Rolle: Zum einen stellen wir fest, dass immer mehr Rohstofflieferanten sehr restriktiv mit ihren Kapazitäten umgehen. Zum anderen wird das Thema Rohstoffe zunehmend auch politisch. Staaten, die über Rohstoffvorkommen verfügen, nutzen dies als Mittel, um ihre Interessen durchzusetzen. In der Folge werden die Rohstoff- und Energiemärkte immer volatiler und langfristige Verträge riskanter und teurer. Dadurch wird es schwieriger, diese Risiken abzusichern. Aus meiner Erfahrung machen es sich die OEMs etwas leichter, indem sie versuchen, möglichst viele Risiken auf die Tier 1 bis X Zulieferer abzuwälzen – und das ist ja auch legitim. Die OEMs wollen ihren Kunden keine Preiserhöhungen zumuten und das Risiko auch nicht auf sich nehmen, also bleibt es an uns Zulieferern haften. Um die extremen Schwankungen auszugleichen und unsere Kalkulationen zu stabilisieren bleibt uns nichts anderes übrig, als über Sicherungsgeschäfte für Rohstoffe nachzudenken. Die Kosten für diese Sicherungsgeschäfte müssen wir natürlich in unseren Kalkulationen für die Kunden wieder unterbringen.
Diese Vorgehensweise der Absicherung ist beim Thema Währungsdifferenzen ja schon ganz normal. Beim Thema Energie, gerade im Gasbereich, denken wir eher über Angebote am Spotmarkt nach, als dass wir uns zum jetzigen Zeitpunkt in längerfristige Kontrakte begeben. Wir haben die Erwartung, dass das ganze Thema sich wieder ein Stück weit normalisieren wird und haben uns daher bislang dagegen entschieden, weitere eigene Ressourcen für den Energieeinkauf aufzubauen. Wir machen uns eher Gedanken über Kooperationspartner, die uns bei diesen Themen unterstützen können. Der Trend geht also insgesamt dahin, Rohstoffe und Energie nicht mehr über lange Verträge, sondern über den Sportmarkt zu beziehen und mit Sicherungsgeschäften abzusichern.
Neben den Rohstoff- und Energiemärkten hat die Corona-Pandemie auch einen enormen Einfluss auf die internationalen Supply Chains. Was sind Ihre Lehren in diesem Zusammenhang und welche zukünftigen Änderungen streben Sie gegebenenfalls an?
Axel von Bauer: Gerade die Pandemie hat uns gezeigt, dass man nochmal ganz genau hinschauen muss, wie man seine Lieferketten in Zukunft strategisch ausrichtet. Als Folge dieser Pandemie wird man versuchen, wieder mehr auf das Thema Regionalität beim Bezug von Waren zu achten. Wir haben uns selbst zum Beispiel eine Matrix gebaut, in der wir unter anderem die Total Cost of Ownership betrachten, in der Frachtraten mit einfließen und in der wir die Risiken des Transports, der Lagerkapazitäten und die Bindung des Kapitals berücksichtigen. Wir versuchen auch unsere Lieferanten aus Fernost dazu zu bringen, lokal Kapazitäten aufzubauen, sodass wir die Versorgungssicherheit dann wirklich auch lokal sicherstellen können. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Lieferketten sich nach dieser Corona-Krise massiv verändern werden und dass das Thema der regionalen Strukturierung der Lieferketten ein großer Schwerpunkt sein wird.
Ein häufig genannter Grund für internationale Lieferketten sind niedrigere Lohnkosten in Low Cost Countries, was jedoch meines Erachtens nicht zielführend ist. Wir haben uns in diesem Zusammenhang sehr stark mit Osteuropa beschäftigt, einer Region mit vielen Ländern die vor einigen Jahren noch zu den „Low Cost Countries“ gehört haben. Trotz der stetigen Lohnkostensteigung konnten wir durch gezielte Leistungsoptimierungen in unseren Werken in Polen und Ungarn zu wettbewerbsfähigen Kosten produzieren. Gerade wenn man die Total Cost of Ownership betrachtet, wird ersichtlich, dass man hierbei durchaus mit chinesischen Wettbewerbern konkurrieren kann. Weiterhin ist in meinen Augen die Verfügbarkeit der Fachkräfte und deren gute Ausbildung mindestens genauso wichtig. Man sollte daher stärker über Optimierungsthemen in den früheren Low Cost Countries nachdenken und ein Stück weit vom alleinigen Fokus auf die Lohnkostenthematik abrücken. Nichtsdestotrotz haben internationale Lieferketten auch weiterhin ihre Berechtigung. Barrieren zwischen den einzelnen Ländern sollten nicht auf- sondern abgebaut werden, um sich dort gegenseitig zu unterstützen. Ich halte den politischen Protektionismus und die einhergehende Notwendigkeit, einige Kernthemen unbedingt in Deutschland abzubilden, für übertrieben.
Eng verzahnt mit internationalen Lieferketten ist auch das Thema der internationalen Kooperation und die Verflechtung verschiedener Kulturen in Unternehmen. Insbesondere der Einfluss asiatischer Kunden, Unternehmen und Investoren bei Automobilzulieferern wird oft thematisiert. Was sind Ihre Erfahrungen hiermit?
Axel von Bauer: Ich habe selbst über fünf Jahre für einen japanischen Konzern gearbeitet und das Miteinander verschiedener Kulturen längere Zeit miterlebt. Aus dieser Erfahrung denke ich, dass asiatische Investoren auf jeden Fall eine Chance für viele Unternehmen sind, weil dort kapitalstabile Investoren in den Markt reinkommen und durchaus sehr viel Wertschätzung der westeuropäischen bzw. europäischen Ingenieurskunst entgegenbringen. Nichtsdestotrotz kann es auch sehr schnell zu Ernüchterung kommen. Grund hierfür sind die unglaublich großen kulturellen Unterschiede zwischen den asiatischen Kollegen und den Mitarbeitern und Akteuren aus Europa. Diese Kulturunterschiede bedeuten nicht, dass die Menschen anders sind, sondern eher anders an Dinge herangehen und anders kommunizieren. Das heißt in der Konsequenz, wenn solche Investments stattfinden und erfolgreich sein sollen, dann ist es unabdingbar, dass beide Seiten – sowohl das europäische Management als auch die asiatischen Eigentümer – verstehen, dass es eine cross-kulturelle Verständigung geben muss. Und es gibt einfach Unternehmen, die haben diese Themen nicht auf dem Radar und in ihrer M&A-Kalkulation gar nicht vorgesehen. Deshalb können sie sich auch nicht vorstellen, wie aufwendig das Thema ist. Für mich folgt daraus, dass Sie als Unternehmen nur dann eine Chance haben, großen Mehrwert zu generieren, wenn Sie dieses Thema ernst nehmen und Ihre Mitarbeiter mitnehmen. Unabhängig von jeder Nationalität und kulturellen Herkunft ist es einfach wichtig, dass man den Menschen auf Augenhöhe begegnet und dass man ihnen die richtige Wertschätzung entgegenbringt, sodass sie ihre beste Leistung bringen können.
Ein weiteres spannendes und aktuelles Thema aus der Zuliefererbranche ist das Thema der Diversifizierung des Geschäftsmodells. Inwiefern haben Sie sich mit dem Thema auseinandergesetzt und welche Schlüsse haben Sie daraus gezogen?
Axel von Bauer: Dieses Thema ist spätestens seit der Finanzkrise 2009, als es den einen oder anderen finanziell stark getroffen hat, aus Risikoaversion und aus Gründen der Widerstandsfähigkeit gegen externe Schocks sehr populär. Zu sagen, dass man in Zukunft nicht unbedingt nur ein Modul oder ein Teil liefern will, sondern gerne ein ganzes System, war schon immer ein Ziel, auf das man in unserer Branche hinarbeitet. Nichtsdestotrotz bin ich ein Verfechter der Devise: Konzentriere dich auf das, was du gut kannst, und ich bringe da gern ein Beispiel aus dem Fußball: „Man würde ja auch nicht auf die Idee kommen, Gerd Müller in der Verteidigung aufzustellen.“ Sich insgesamt breiter und robuster aufzustellen, ist sicher positiv. Aber nur aufgrund der Popularität des Themas andere Branchen oder andere Produkttiefen dazuzunehmen oder auch das Ganze vertikal anzugehen und ehemals vorgelagerte Bereiche zu integrieren, sehe ich skeptisch. Als Beispiel hierfür kann ich aus meiner eigenen Erfahrung bei Behr und Mahle berichten: Wir sind in der gleichen Woche TS16949 Automotive zertifiziert worden, in der wir auch von der Bahn IRIS zertifiziert und zusätzlich noch von einem Flugzeugmotorenhersteller nach der Luftfahrtnorm zertifiziert worden sind. Das Ganze in einem Werk mit denselben Mitarbeitern abzubilden, ist natürlich schon hinreichend komplex und stellt sowohl das Management als auch die Mitarbeiter vor sehr große Herausforderungen. Umso gemischter ein Unternehmen wird, desto schwieriger wird es auch, die gewünschte Marge zu erzielen und effizient zu bleiben.
Ein branchenunabhängiges Thema, das dennoch großen Einfluss auf Zulieferer ausübt, ist das Thema rund um den Klimawandel und nachhaltiges Wirtschaften. Wie erleben Sie den Diskurs zu diesem Thema und welche Maßnahmen haben Sie in diesem Zuge schon eingeleitet?
Axel von Bauer: Ich würde mal als erstes den internen Druck anführen. Wenn ich gerade meine jungen Mitarbeiter ansehe, dann üben diese selbst schon Druck auf das Unternehmen aus und gehen anders mit diesem Thema um, als meine Generation 50 plus, die das gegebenenfalls anders gelernt und eine andere Prägung hat. Zweitens merken wir, dass es zunehmend Anfragen auch von den OEMs gibt, bei denen ganz klar dargestellt werden muss, wie das Thema CO2-Neutralität für das Produkt oder gegebenenfalls für das ganze Unternehmen sichergestellt wird. Wenn ich allerdings auf das Thema Nachhaltigkeit schaue und ob man wirklich den Grad der Nachhaltigkeit eines Unternehmens messen kann, dann wird das aktuell noch sehr stiefmütterlich behandelt. Ich wünsche mir da Regeln und Normen, die wirklich ablesbar machen, ob ein Unternehmen beim Thema Nachhaltigkeit und Wiederverwendung gut nach vorne geht. Momentan hat man große Ziele, aber die dazu passenden Maßnahmen sind schwer zu erkennen. Ich denke, da ist ein Stück weit die Politik gefordert, um die richtigen Förderprogramme auf den Weg zu bringen, um gerade die kleineren und mittleren Unternehmen auf dem Weg zur Nachhaltigkeit zu unterstützen. Zusammenfassend muss man zum Thema Nachhaltigkeit folgendes sagen: Das können die Unternehmen nicht allein machen, das kann die Politik nicht allein machen, sondern da muss man sich gemeinsam an einen Tisch setzen und es muss ein guter Weg dafür gefunden werden.
Axel von Bauer, Jahrgang 1967, ist CFO der Catensys Group einem kürzlichen Carve-out der Schaeffler AG. Nach seinem Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Bundeswehr Universität München war er zunächst für die Bundeswehr sowie folgend im Controlling der Grammer AG tätig und baute für diese die globale Supply-Chain-Abteilung auf. Von 2007 bis 2013 verantwortet er drei Standorte als kfm. Leiter zunächst für die Behr Gruppe und nach Abschluss der Akquisition für die Mahle GmbH. Seiner Tätigkeit als kfm. Leiter folgte 2013 die Übernahme der Geschäftsführung der GALFA GmbH & Co. KG. Im Rahmen der Erschließung des europäischen Automobilmarktes durch den japanischen Großkonzern Nidec ergriff Hr. von Bauer im Jahr 2017 die Chance des Postens als Europa-CFO für den Automobilbereich zu übernehmen. Seit Beginn 2022 verantwortet er als CFO den kaufmännischen Bereich der global agierenden Catensys Group.