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Rechtsberatung

„Kühnast-Beleidigungen“: Social Media Plattformen müssen bei Hasspostings Auskunft erteilen

Mit Be­schluss vom 19.12.2021 (Az. 1 BvR 1073/20) hob das BVerfG Ent­schei­dun­gen von Fach­ge­rich­ten auf, mit de­nen der Be­schwer­deführe­rin, kon­kret Re­nate Kühnast, die not­wen­dige ge­richt­li­che An­ord­nung zur Aus­kunft über Be­stands­da­ten ge­genüber ei­ner So­cial Me­dia Platt­form ver­sagt wurde.

Kühnast wollte vor den Fach­ge­rich­ten er­rei­chen, dass eine So­cial Me­dia Platt­form die bei ihr vor­han­de­nen per­so­nen­be­zo­ge­nen Da­ten über meh­rere Nut­zer her­aus­gibt, die auf der Platt­form be­lei­di­gende Kom­men­tare über die Be­schwer­deführe­rin getätigt ha­ben. Rechts­grund­lage für der­ar­ti­gen Aus­kunfts­an­spruch ist § 14 Abs. 3 Te­le­me­di­en­ge­setz a. F. (in­zwi­schen § 21 Abs. 2 und 3 des Te­le­kom­mu­ni­ka­tion-Te­le­me­dien-Da­ten­schutz-Ge­set­zes). Da­nach darf ein Diens­te­an­bie­ter im Ein­zel­fall Aus­kunft über die bei ihm vor­han­de­nen Be­stands­da­ten er­tei­len, so­weit dies zur Durch­set­zung zi­vil­recht­li­cher An­sprüche we­gen der Ver­let­zung ab­so­lut ge­schütz­ter Rechte auf­grund rechts­wid­ri­ger In­halte er­for­der­lich ist. Vor­aus­set­zung ist al­ler­dings eine vor­he­rige ge­richt­li­che An­ord­nung. Zu der­ar­ti­gen rechts­wid­ri­gen In­hal­ten zählen u. a. In­halte, die den Tat­be­stand nach §§ 185 bis 187 StGB (Be­lei­di­gung, üble Nach­rede, Ver­leum­dung) erfüll­ten und nicht ge­recht­fer­tigt wa­ren.

Die Fach­ge­richte stuf­ten 12 der 22 im Aus­gangs­ver­fah­ren ge­genständ­li­chen Kom­men­tare als straf­bare Be­lei­di­gun­gen ein und ge­stat­te­ten die Aus­kunfts­er­tei­lung über die bei der So­cial Me­dia Platt­form vor­han­de­nen Be­stands­da­ten. In den übri­gen Ver­fah­ren wurde dies ab­ge­lehnt. Nach Auf­fas­sung des BVerfG ver­let­zen die ab­leh­nen­den Ent­schei­dun­gen die Be­schwer­deführe­rin in ih­rem all­ge­mei­nen Persönlich­keits­recht gemäß Art. 2 Abs. 1 i. V. mit Art. 1 Abs. 1 GG. Es sei un­ter Ver­ken­nung von Be­deu­tung und Trag­weite des Persönlich­keits­rechts die ver­fas­sungs­recht­lich er­for­der­li­che Abwägung zwi­schen der Mei­nungs­frei­heit und dem Persönlich­keits­recht un­ter­blie­ben.

Wei­chen­stel­lend für die Prüfung ei­ner Ver­let­zung des Persönlich­keits­rechts ist laut BVerfG die Er­fas­sung des In­halts der re­le­van­ten Äußerun­gen. Auf der zu­tref­fen­den Sinn­er­mitt­lung ei­ner Äußerung auf­bau­end er­for­dert die An­nahme ei­ner Be­lei­di­gung nach § 185 StGB grundsätz­lich eine abwägende Ge­wich­tung der Be­einträch­ti­gun­gen, die den be­trof­fe­nen Rechtsgütern und In­ter­es­sen, hier also der Mei­nungs­frei­heit und der persönli­chen Ehre, dro­hen. Eine Abwägung sei nur aus­nahms­weise ent­behr­lich, wenn die streit­ge­genständ­li­che Äußerung sich als Schmähung oder Schmähkri­tik, als For­mal­be­lei­di­gung oder als An­griff auf die Men­schenwürde dar­stellt.

So­fern keine die­ser eng um­grenz­ten Aus­nah­me­kon­stel­la­tio­nen vor­liegt, begründet dies bei Äußerun­gen, mit de­nen be­stimmte Per­so­nen in ih­rer Ehre her­ab­ge­setzt wer­den, kein In­diz für einen Vor­rang der Mei­nungs­frei­heit. Vor­aus­set­zung ei­ner straf­recht­li­chen Sank­tion sei dann al­ler­dings eine grund­recht­lich an­ge­lei­tete Abwägung. Hierfür bedürfe es ei­ner um­fas­sen­den Aus­ein­an­der­set­zung mit den kon­kre­ten Umständen des Fal­les und der Si­tua­tion, in der die Äußerung er­folgte.

Da­bei stellt das BVerfG klar, dass das bei der Abwägung an­zu­set­zende Ge­wicht der Mei­nungs­frei­heit umso höher ist, je mehr die Äußerung dar­auf ab­zielt, einen Bei­trag zur öff­ent­li­chen Mei­nungs­bil­dung zu leis­ten. Um­ge­kehrt sei das Ge­wicht umso ge­rin­ger, je mehr es hier­von un­abhängig le­dig­lich um die emo­tio­na­li­sie­rende Ver­brei­tung von Stim­mun­gen ge­gen ein­zelne Per­so­nen geht.

Wei­ter sei bei der Abwägung zu berück­sich­ti­gen, ob die Pri­vat­sphäre der Be­trof­fe­nen oder ihr öff­ent­li­ches Wir­ken mit sei­nen - un­ter Umständen weit­rei­chen­den - ge­sell­schaft­li­chen Fol­gen Ge­gen­stand der Äußerung ist und wel­che Rück­wir­kun­gen auf die persönli­che In­te­grität der Be­trof­fe­nen von ei­ner Äußerung aus­ge­hen können. Da­bei blei­ben die Ge­sichts­punkte der Macht­kri­tik und der Ver­an­las­sung durch vor­he­rige ei­gene Wort­mel­dun­gen im Rah­men der öff­ent­li­chen De­batte in eine Abwägung ein­ge­bun­den. Sie er­lau­ben nicht jede auch ins Persönli­che ge­hende Be­schimp­fung von Amtsträgern oder Po­li­ti­kern. Ge­genüber ei­ner auf die Per­son ab­zie­len­den, ins­be­son­dere öff­ent­li­chen Verächt­lich­ma­chung oder Hetze setze die Ver­fas­sung al­len Per­so­nen ge­genüber Gren­zen. Da­von seien auch Per­so­nen des öff­ent­li­chen Le­bens nicht aus­ge­nom­men. Ins­be­son­dere un­ter den Be­din­gun­gen der Ver­brei­tung von In­for­ma­tio­nen durch „so­ziale Netz­werke“ im In­ter­net liege ein wirk­sa­mer Schutz der Persönlich­keits­rechte Amtsträgern so­wie Po­li­ti­kern über die Be­deu­tung für die je­weils Be­trof­fe­nen hin­aus im öff­ent­li­chen In­ter­esse. Das könne das Ge­wicht die­ser Rechte in der Abwägung verstärken. Schließlich könne eine Be­reit­schaft zur Mit­wir­kung in Staat und Ge­sell­schaft nur er­war­tet wer­den, wenn für die­je­ni­gen, die sich en­ga­gie­ren und öff­ent­lich ein­brin­gen, ein hin­rei­chen­der Schutz ih­rer Persönlich­keits­rechte gewähr­leis­tet ist. In den streit­re­le­van­ten Fällen leg­ten die Fach­ge­richte nach Auf­fas­sung des BVerfG einen feh­ler­haf­ten, mit dem Persönlich­keits­recht der von eh­renrühri­gen Äußerun­gen Be­trof­fe­nen un­ver­ein­ba­ren Maßstab an, in­dem sie an­nah­men, eine Äußerung er­rei­che eine straf­recht­li­che Re­le­vanz erst dann, wenn ihr dif­fa­mie­ren­der Ge­halt so er­heb­lich sei, dass sie in je­dem denk­ba­ren Sach­zu­sam­men­hang als bloße Her­ab­set­zung des Be­trof­fe­nen er­scheine. Ent­spre­chend hätten sich die Fach­ge­richte auf­grund ei­ner feh­ler­haf­ten Maßstabs­bil­dung, die eine Be­lei­di­gung letzt­lich mit der Schmähkri­tik gleich­setzt, mit der Abwägung der Ge­sichts­punkte des Ein­zel­falls nicht aus­ein­an­der­ge­setzt, worin das BVerfG eine Ver­let­zung des Persönlich­keits­rechts sah.

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