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Rechtsberatung

EU-Kommission muss harmonisierte europäische Normen (EN) kostenlos zugänglich machen

Pau­ken­schlag aus Lu­xem­burg: Der EuGH hat mit Ur­teil vom 05.03.2024 (Az. C-588/21 P) ent­schie­den, dass eine von der EU-Kom­mis­sion zur Durchführung von Har­mo­ni­sie­rungs­rechts­vor­schrif­ten in Auf­trag ge­ge­bene tech­ni­sche Norm Teil des Uni­ons­rechts ist und da­mit für jede natürli­che und ju­ris­ti­sche Per­son in der EU frei und un­ent­gelt­lich zugäng­lich sein muss.

Hintergrund

Zwei ge­meinnützige Or­ga­ni­sa­tio­nen stell­ten bei der Ge­ne­ral­di­rek­tion Bin­nen­markt, In­dus­trie, Un­ter­neh­mer­tum und KMU der EU-Kom­mis­sion einen An­trag auf Zu­gang zu vier vom eu­ropäischen Ko­mi­tee für Nor­mung (CEN) an­ge­nom­me­nen har­mo­ni­sier­ten tech­ni­schen Nor­men bezüglich der Si­cher­heit von Spiel­zeug im Be­sitz der EU-Kom­mis­sion. Ih­ren An­trag stütz­ten sie ins­be­son­dere auf Art. 2 der Trans­pa­renz­ver­ord­nung (VO [EG] 1049/2001) so­wie auf Vor­schrif­ten der Ver­ord­nung über die An­wen­dung der Be­stim­mun­gen des Übe­rein­kom­mens von Århus über den Zu­gang zu In­for­ma­tio­nen, die Öff­ent­lich­keits­be­tei­li­gung an Ent­schei­dungs­ver­fah­ren und den Zu­gang zu Ge­rich­ten in Um­welt­an­ge­le­gen­hei­ten auf Or­gane und Ein­rich­tun­gen der Union (VO [EG] 1367/2006).

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EU-Kommission: Kein Verstoß gegen die Transparenzverordnung

Die EU-Kom­mis­sion lehnte den An­trag mit Be­schluss vom 22.01.2019 im We­sent­li­chen mit der Begründung ab, dass die an­ge­for­der­ten Nor­men ur­he­ber­recht­lich ge­schützt seien und da­her der Aus­nah­me­tat­be­stand des Art. 4 Abs. 2 der Trans­pa­renz­ver­ord­nung zum Schutz der ge­schäft­li­chen In­ter­es­sen der eu­ropäischen Nor­mie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen, ein­schließlich des geis­ti­gen Ei­gen­tums vor­liege und auch die Rück­aus­nahme des Art. 4 Abs. 2 Halb­satz 2 der Trans­pa­renz­ver­ord­nung bei Be­ste­hen ei­nes über­wie­gen­den öff­ent­li­chen In­ter­es­ses nicht erfüllt sei.

EuG: Bestätigung der EU-Kommission

Die dar­auf­hin er­ho­bene Klage zum Ge­richt der Eu­ropäischen Union (EuG), zielte dar­auf ab, die Nich­ti­gerklärung des Be­schlus­ses der EU-Kom­mis­sion zu er­rei­chen. Mit Ur­teil vom 14.07.2021 (Az. T-185/19) bestätigte der EuG je­doch den Be­schluss der EU-Kom­mis­sion.

Hin­weis: Es ar­gu­men­tierte, dass die an­ge­for­der­ten Nor­men, die von den Nor­mie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen als pri­vate Ein­rich­tun­gen aus­ge­ar­bei­tet wer­den, ur­he­ber­recht­lich ge­schützt seien, wes­we­gen sie in­ter­es­sier­ten Krei­sen nur ge­gen Zah­lung be­stimm­ter Ent­gelte zugäng­lich seien. Die kos­ten­lose Ver­brei­tung die­ser Nor­men auf Grund­lage der Trans­pa­renz­ver­ord­nung würde die ge­schäft­li­chen In­ter­es­sen des CEN und sei­ner na­tio­na­len Mit­glie­der ernst­haft be­einträch­ti­gen, da die Nor­mie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen trotz Erfüllung im öff­ent­li­chen In­ter­esse lie­gen­der Auf­ga­ben eine wirt­schaft­li­che Tätig­keit ausübten. Zu­dem be­stehe für die Veröff­ent­li­chung der har­mo­ni­sier­ten Nor­men kein über­wie­gend öff­ent­li­ches In­ter­esse im Sinne des Art. 4 Abs. 2 Halb­satz 2 der Trans­pa­renz­ver­ord­nung; das öff­ent­li­che In­ter­esse an der Gewähr­leis­tung ei­nes funk­tio­nie­ren­den eu­ropäischen Nor­mungs­sys­tems habe Vor­rang vor der Gewähr­leis­tung des freien und un­ent­gelt­li­chen Zu­gangs zu den har­mo­ni­sier­ten Nor­men.

EuGH: Freie Zugänglichkeit europäischer Normen (EN)

Der EuGH gab nun den ge­meinnützi­gen Or­ga­ni­sa­tio­nen Recht. Es rügte einen Rechts­feh­ler des EuG, das ar­gu­men­tiert hatte, dass kein über­wie­gend öff­ent­li­ches In­ter­esse an der Ver­brei­tung der har­mo­ni­sier­ten Nor­men be­stehe.

Ent­ge­gen der An­sicht des EuG seien laut dem EuGH die an­ge­for­der­ten Nor­men, die sich im Be­sitz der EU-Kom­mis­sion be­fin­den, als Teil des Uni­ons­rechts frei verfügbar zu ma­chen; dies habe der EuGH be­reits im „Ja­mes El­liott“-Ur­teil vom 27.10.2016 (Az. C-613/14) ent­schie­den. Da­nach seien har­mo­ni­sierte Nor­men, die auf der Grund­lage ei­ner Richt­li­nie an­ge­nom­men und de­ren Fund­stel­len im Amts­blatt der EU veröff­ent­licht wur­den, auf­grund ih­rer Rechts­wir­kun­gen Teil des Uni­ons­rechts. Zwar werde mit der Aus­ar­bei­tung har­mo­ni­sier­ter Nor­men eine pri­vat­recht­li­che Ein­rich­tung be­traut, aber nur die Kom­mis­sion sei be­fugt, die Aus­ar­bei­tung ei­ner har­mo­ni­sier­ten Norm zur Um­set­zung ei­ner Richt­li­nie oder ei­ner Ver­ord­nung zu be­auf­tra­gen, diese zu über­wa­chen und zu fi­nan­zie­ren. Zu­dem gelte nach den ein­schlägi­gen Rechts­vor­schrif­ten der Union zur Har­mo­ni­sie­rung eine Kon­for­mitätsver­mu­tung für die­je­ni­gen Pro­dukte, die diese Nor­men ein­hal­ten. Die von die­sen Vor­schrif­ten ver­lie­hene Rechts­wir­kung stelle „ei­nes der we­sent­li­chen Merk­male die­ser Nor­men dar und ma­che sie zu einem Werk­zeug, das für die Wirt­schafts­teil­neh­mer im Hin­blick auf die Ausübung des Rechts auf freien Ver­kehr von Wa­ren oder Dienst­leis­tun­gen auf dem Uni­ons­markt von we­sent­li­cher Be­deu­tung ist“.

Der kos­ten­lose Zu­gang zu den tech­ni­schen Nor­men sei nach Auf­fas­sung des EuGH auch un­mit­tel­bare Folge des Grund­sat­zes der Rechts­staat­lich­keit, der Trans­pa­renz so­wie der Of­fen­heit, auf den sich die Union gründe. Die­ser ermögli­che es den EU-Bürgern und ju­ris­ti­schen Per­so­nen mit Sitz in der Union, ihre Rechte und Pflich­ten ein­deu­tig zu er­ken­nen so­wie zu überprüfen, ob die Adres­sa­ten der von dem Ge­setz auf­ge­stell­ten Re­geln die­sen tatsäch­lich nach­kom­men oder ob ein be­stimm­tes Pro­dukt oder eine be­stimmte Dienst­leis­tung tatsäch­lich die An­for­de­run­gen ei­ner sol­chen Vor­schrift erfülle.

Auswirkungen des Urteils

Das Ur­teil stieß zwar bei eu­ropäischen Nor­mie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen auf hef­tige Kri­tik. Für Un­ter­neh­men, die die eu­ropäischen Nor­men nut­zen müssen, be­deu­tet die kos­ten­lose Zur­verfügung­stel­lung je­doch eine fi­nan­zi­elle Ent­las­tung.

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