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Klarstellung geltenden Rechts durch den Gesetzgeber kann verfassungsrechtlich unzulässig sein

BVerfG 17.12.2013, 1 BvL 5/08

Den In­halt gel­ten­den Rechts kann der Ge­setz­ge­ber mit Wir­kung für die Ver­gan­gen­heit nur in den ver­fas­sungs­recht­li­chen Gren­zen für eine rück­wir­kende Recht­set­zung fest­stel­len oder klar­stel­lend präzi­sie­ren. Ein Ge­setz, durch das eine of­fene Aus­le­gungs­frage für die Ver­gan­gen­heit geklärt wer­den soll, ist aus ver­fas­sungs­recht­li­cher Sicht als kon­sti­tu­tive Re­ge­lung an­zu­se­hen (hier: § 43 Abs. 18 KAGG).

Der Sach­ver­halt:
Die Kläge­rin des Aus­gangs­ver­fah­rens ist eine Bank. In ih­rem Um­lauf­vermögen hielt sie An­teile an In­vest­ment­fonds, de­ren Börsen­kurse am 31.12.2002 un­ter die Buch­werte des Jah­res­ab­schlus­ses 2001 ge­sun­ken wa­ren. Sie nahm dar­auf­hin ge­winn­min­dernde Ab­schrei­bun­gen vor und be­han­delte diese zunächst als steu­er­lich wirk­sam. Auf­grund des Korb II-Ge­set­zes reichte die Kläge­rin beim Fi­nanz­amt eine geänderte Körper­schaft­steu­er­erklärung für das Jahr 2002 ein. Darin erhöhte sie gem. § 40a Abs. 1 S. 2 KAGG i.V.m. § 8b Abs. 3 KStG den Ge­winn außer­bi­lan­zi­ell um die Ab­schrei­bun­gen, be­rief sich aber auf die Ver­fas­sungs­wid­rig­keit der Rück­wir­kung.

Das FG setzte dar­auf­hin das Ver­fah­ren aus, um eine Ent­schei­dung des BVerfG ein­zu­ho­len. Es hielt § 43 Abs. 18 KAGG für ver­fas­sungs­wid­rig, weil die neue Fas­sung des § 40a Abs. 1 KAGG nicht le­dig­lich klar­stel­lend sei, son­dern eine un­zulässige echte Rück­wir­kung ent­falte. Das BVerfG hat den § 43 Abs. 18 KAGG für ver­fas­sungs­wid­rig und nich­tig erklärt, so­weit er die rück­wir­kende An­wen­dung des § 40a Abs. 1 S. 2 KAGG in den Ver­an­la­gungs­zeiträumen 2001 und 2002 an­ord­net.

Die Gründe:
§ 43 Abs. 18 KAGG ent­fal­tet für die Jahre 2001 und 2002 in for­ma­ler Hin­sicht eine echte Rück­wir­kung.

Eine Rechts­norm ent­fal­tet echte Rück­wir­kung, wenn sie nachträglich in einen ab­ge­schlos­se­nen Sach­ver­halt ein­greift, ins­be­son­dere eine be­reits ent­stan­dene Steu­er­schuld ändert. Wirkt sich die Ände­rung auf ab­ge­lau­fene Ver­an­la­gungs­zeiträume aus, liegt eine echte Rück­wir­kung vor. Die ver­fas­sungs­recht­li­chen Grundsätze des Ver­bots echt rück­wir­ken­der Ge­setze be­an­spruch­ten hier auch in ma­te­ri­el­ler Hin­sicht Gel­tung. § 40a Abs. 1 S. 2 KAGG ist aus ver­fas­sungs­recht­li­cher Sicht als kon­sti­tu­tive Rechtsände­rung zu be­han­deln. Die im Re­gie­rungs­ent­wurf zum Korb II-Ge­setz ver­tre­tene Auf­fas­sung, die Vor­schrift habe nur klar­stel­len­den Cha­rak­ter, ist für die Ge­richte nicht ver­bind­lich.

Für die Be­ant­wor­tung der Frage, ob eine rück­wir­kende Re­ge­lung aus ver­fas­sungs­recht­li­cher Sicht als kon­sti­tu­tiv zu be­han­deln ist, genügt die Fest­stel­lung, dass die geänderte Norm in ih­rer ur­sprüng­li­chen Fas­sung von den Ge­rich­ten in einem Sinn aus­ge­legt wer­den konnte, der mit der Neu­re­ge­lung aus­ge­schlos­sen wer­den sollte. Und so lag der Fall auch hier. Der Wunsch des Ge­setz­ge­bers, eine Rechts­lage rück­wir­kend klar­zu­stel­len, ver­dient ver­fas­sungs­recht­li­che An­er­ken­nung grundsätz­lich nur in den durch das Rück­wir­kungs­ver­bot vor­ge­ge­be­nen Gren­zen. An­dern­falls würde der rechts­staat­lich ge­bo­tene Schutz des Ver­trau­ens in die Sta­bi­lität des Rechts emp­find­lich ge­schwächt. Ein le­gis­la­ti­ves Zu­griffs­rechts­recht auf die Ver­gan­gen­heit folgt auch nicht aus dem De­mo­kra­tie­prin­zip, son­dern steht zu die­sem in einem Span­nungs­verhält­nis.

Das Rück­wir­kungs­ver­bot gilt zwar nicht, so­weit sich kein Ver­trauen auf den Be­stand des gel­ten­den Rechts bil­den konnte oder ein Ver­trauen auf eine be­stimmte Rechts­lage sach­lich nicht ge­recht­fer­tigt und da­her nicht schutzwürdig war. Bei den in der BVerfG-Recht­spre­chung an­er­kann­ten, nicht ab­schließend de­fi­nier­ten Fall­grup­pen han­delt es sich um Ty­pi­sie­run­gen aus­nahms­weise feh­len­den Ver­trau­ens in eine be­ste­hende Ge­set­zes­lage. Von den an­er­kann­ten Fall­grup­pen ka­men hier al­ler­dings nur die­je­ni­gen der Un­klar­heit und Ver­wor­ren­heit der ur­sprüng­li­chen Ge­set­zes­lage oder ih­rer Sys­tem­wid­rig­keit und Un­bil­lig­keit in Be­tracht. Keine von bei­den ver­mochte je­doch die Rück­wir­kung  auf die Ver­an­la­gungs­zeiträume 2001 und 2002 zu recht­fer­ti­gen.

Hält das BVerfG - wie hier - eine rück­wir­kende ge­setz­li­che "Klar­stel­lung" für ver­fas­sungs­wid­rig und nich­tig, ha­ben die Fach­ge­richte die hier­von be­trof­fe­nen Streitfälle nach der al­ten Rechts­lage durch Aus­le­gung zu ent­schei­den. Die höchstrich­ter­li­che Klärung durch den BFH kann vor­lie­gend er­ge­ben, dass die Norm so zu ver­ste­hen ist, wie es der Ge­setz­ge­ber nachträglich "klar­stel­len" wollte.

Hin­ter­grund:
In der zwei­ten Jah­reshälfte 2003 hatte sich der Ge­setz­ge­ber ei­nes Aus­le­gungs­pro­blems zur er­trag­steu­er­li­chen Berück­sich­ti­gungsfähig­keit von Ge­winn­min­de­run­gen bei Fonds­be­tei­li­gun­gen an­ge­nom­men. In Frage stand, ob § 8b Abs. 3 KStG in der ab 2001 gel­ten­den Fas­sung auch auf Ka­pi­tal­an­la­ge­ge­sell­schaf­ten An­wen­dung fin­det, ob­wohl § 40a Abs. 1 KAGG auf diese Vor­schrift ur­sprüng­lich nicht ver­wies.

Am 22.12.2003 wurde durch das "Korb II-Ge­setz" die Vor­schrift des § 40a Abs. 1 S. 2 KAGG ein­gefügt. Diese enthält eine ausdrück­li­che Ver­wei­sung auf § 8b Abs. 3 KStG; ent­spre­chend der Begründung des Re­gie­rungs­ent­wurfs han­delt es sich um eine "re­dak­tio­nelle Klar­stel­lung". Nach § 43 Abs. 18 KAGG ist der neue § 40a Abs. 1 S. 2 KAGG "für alle Ver­an­la­gungs­zeiträume an­zu­wen­den, so­weit Fest­set­zun­gen noch nicht be­standskräftig sind".

Link­hin­weis:

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