Beträgt bei der unentgeltlichen Übertragung von Betriebsvermögen der Wert des Verwaltungsvermögens mindestens 90 % des gemeinen Werts des grundsätzlich erbschaftsteuerlich begünstigungsfähigen Betriebsvermögens, ist die Inanspruchnahme der Begünstigungen für Betriebsvermögen in vollem Umfang ausgeschlossen (sog. Einstiegstest bzw. 90 %-Test nach § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG). Dabei ist das Verwaltungsvermögen vor der Saldierung mit etwaigen Schulden heranzuziehen. In der Praxis kann dies bei Unternehmen mit z. B. einem hohen Forderungs- aber auch einem hohen Schuldenbestand zur Versagung der Begünstigungen führen, auch wenn diese per Saldo über einen nur geringen oder keinen Forderungsüberhang verfügen.
Das FG Münster legt die Regelung des § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG im Wege der teleologischen Reduktion mit Urteil vom 24.11.2021 (Az. 3 K 2174/19 Erb, ZEV 2022, S. 110) einschränkend aus, wenn das Unternehmen seinem Hauptzweck nach eine originär gewerbliche, freiberufliche oder land- und forstwirtschaftliche Tätigkeit ausübt. Diese Rechtsauffassung begründet das Finanzgericht damit, dass es sich bei dem Einstiegs- bzw. 90 %-Test um eine Missbrauchsvermeidungsvorschrift handele, die begünstigungsfähiges Vermögen von der Steuerbefreiung ausnehme, welches nahezu ausschließlich aus Verwaltungsvermögen bestehe. Insb. bei Handels- und Dienstleistungsunternehmen mit einem typischerweise hohen Forderungsbestand aus Lieferungen und Leistungen aus ihrer gewöhnlichen Geschäftstätigkeit bestehe diese Missbrauchsgefahr nicht. Die wortlautgetreue Auslegung der Vorschrift würde in solchen Fällen sogar den betriebswirtschaftlich nicht gewünschten Anreiz setzen, durch Umschichtungsmaßnahmen, z. B. durch Factoring mit entsprechenden Zusatzkosten, einen positiven Einstiegstest zu erreichen. Aus diesem Grund seien bei der im Streitfall ihrem Hauptzweck nach originär gewerblich tätigen Kapitalgesellschaft, deren Anteile unentgeltlich erworben wurden, trotz eines Finanzmittelbestands in Höhe von mehr als 90 % des gemeinen Werts der übertragenen Anteile die erbschaftsteuerlichen Begünstigungen für Betriebsvermögen anzuwenden.
Hinweis: Gegen das Urteil ist die Revision beim BFH unter dem Az. II R 49/21 anhängig.