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Steuerberatung

EuGH-Urteil zum Direktanspruch bei zivilrechtlicher Verjährungseinrede

In einem deut­schen Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen ent­schei­det der EuGH mit Ur­teil vom 07.09.2023 (Rs. C-453/202, Schütte), dass ein Di­rekt­an­spruch auf Er­stat­tung von zu Un­recht in Rech­nung ge­stell­ter Mehr­wert­steuer auch be­steht, wenn der Steu­er­be­trag auf­grund der zi­vil­recht­li­chen Verjährung nicht mehr von dem Aus­stel­ler der Rech­nung ge­for­dert wer­den kann, ob­wohl grundsätz­lich der Lie­fe­rer die Er­stat­tung der zu viel be­zahl­ten Beträge von der Steu­er­behörde be­geh­ren könnte.

Worum geht es?

Im Streit­fall er­warb der Kläger, ein Land- und Forst­wirt, Holz von ver­schie­de­nen Lie­fe­ran­ten, wel­ches er an­schließend zu Brenn­holz ver­ar­bei­tete und veräußerte. Während der Kläger ge­genüber sei­nen Kun­den mit 7 % Um­satz­steuer ab­rech­nete, rech­ne­ten die Lie­fe­ran­ten ihm ge­genüber 19 % Um­satz­steuer ab und führ­ten diese an die je­wei­li­gen Fi­nanz­behörden ab. Die un­ter­schied­li­che Um­satz­ver­steue­rung der Ein- und Aus­gangs­leis­tun­gen war Ge­gen­stand ver­schie­de­ner außer- und ge­richt­li­cher Ver­fah­ren, in de­ren Folge das Fi­nanz­ge­richt rechtkräftig ent­schied, dass auch die Ein­gangs­leis­tun­gen dem ermäßig­ten Steu­er­satz von 7 % un­ter­la­gen.

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In der Folge ver­langte das Fi­nanz­amt vom Kläger die Um­satz­steuer nebst Zin­sen. Die­ser trat wie­derum an seine Lie­fe­ran­ten heran und bat um geänderte Rech­nun­gen nebst Er­stat­tung der zu viel ent­rich­te­ten Um­satz­steuer.

Sämt­li­che Lie­fe­ran­ten be­rie­fen sich auf die Ein­rede der Verjährung. Dar­auf­hin be­gehrte der Holzhänd­ler die Er­stat­tung des Steu­er­be­trags nebst Zin­sen di­rekt von dem Fi­nanz­amt im Wege des Di­rekt­an­spruchs. Das Fi­nanz­amt lehnt den Er­stat­tungs­an­spruch im Bil­lig­keits­weg ab, da der Holzhänd­ler selbst für die Si­tua­tion ver­ant­wort­lich sei.

Das vor­le­gen­dende Fi­nanz­ge­richt hegte u.a. we­gen der zeit­lich un­be­grenz­ten Rech­nungs­be­rich­ti­gungsmöglich­keit der Lie­fe­ran­ten und dar­aus re­sul­tie­ren­den Er­stat­tungs­an­sprüchen Zwei­fel am Di­rekt­an­spruch und legte dem EuGH die Frage vor, ob dem Kläger ein Di­rekt­an­spruch im Hin­blick auf die zu viel be­zahlte Um­satz­steuer ein­schließlich Zin­sen zu­stehe.

Hin­weis: Die deut­sche Fi­nanz­ver­wal­tung ver­tritt dem­ge­genüber eine sehr re­strik­tive Auf­fas­sung, u.a. wird für eine Ent­schei­dung über einen Di­rekt­an­spruch vor­aus­ge­setzt, dass über das Vermögen des leis­ten­den Un­ter­neh­mers ein In­sol­venz­ver­fah­ren ab­ge­schlos­sen ist (vgl. bspw. BMF-Schrei­ben vom 12.04.2022, Az. III C 2 - S 7358/20/10001 :004, BStBl. I 2022, S. 652; s. auch Um­satz­steuer News­let­ter vom 03.05.2022). Zu­dem setzt die Fi­nanz­ver­wal­tung ex­pli­zit vor­aus, dass der An­spruch ge­gen den Aus­stel­ler der Rech­nung noch durch­setz­bar ist und so­mit ins­be­son­dere nicht verjährt ist und steht in­so­weit im Wi­der­spruch zum streit­ge­genständ­li­chen Be­geh­ren.

Kernaussagen des EuGH

Mit Ur­teil vom 07.09.2023 (Rs. C-453/22, Schütte, DStR 2023, S.2066) ent­schied der EuGH nun,

  • dass dem Leis­tungs­empfänger ein An­spruch ge­gen die Steu­er­behörde auf Er­stat­tung der zu Un­recht in Rech­nung ge­stell­ten Mehr­wert­steuer, die der Leis­tende an die Staats­kas­sen ab­geführt hat, zu­steht und
  • dass die­ser An­spruch auch die da­mit zu­sam­menhängen­den Zin­sen um­fasst.

Begründung des EUGH

Das Ver­fah­ren der Er­stat­tung ist grundsätz­lich Sa­che der Mit­glieds­staa­ten und Sa­che der in­ner­staat­li­chen Rechts­ord­nung, die ge­nauen Mo­da­litäten zu re­geln.

Da­her er­kennt der EuGH grundsätz­lich einen Pro­zess an, bei dem der Lie­fe­rer die Er­stat­tung der zu Un­recht aus­ge­wie­se­nen und ab­geführ­ten Um­satz­steuer von den Steu­er­behörden ver­lan­gen kann und dem Leis­tungs­empfänger (nur) ein zi­vil­recht­li­cher An­spruch ge­gen den Lie­fe­ran­ten zu­steht.

Ein hier­von ab­wei­chen­der (un­mit­tel­ba­rer) Er­stat­tungs­an­spruch des Leis­tungs­empfängers ge­gen die Steu­er­behörden be­steht, wenn

  • die (zi­vil­recht­li­che) Er­stat­tung unmöglich oder übermäßig er­schwert ist, ins­be­son­dere bei In­sol­venz des Lie­fe­rers und
  • die­ses Recht nicht in missbräuch­li­cher oder betrüge­ri­scher Ab­sicht gel­tend ge­macht wird.
  • Ei­ner ab­so­lu­ten Ver­weh­rung des Er­stat­tungs­an­spru­ches steht der (hohe) Stel­len­wert des Grund­sat­zes der Neu­tra­lität der Um­satz­steuer ent­ge­gen, selbst wenn der Steu­er­pflich­tige nach­weis­lich fahrlässig ge­han­delt hat.

Die Unmöglich­keit oder Un­verhält­nismäßig­keit der zi­vil­recht­li­chen An­spruchs­durch­set­zung

  • setzt nicht zwin­gend die Zah­lungs­unfähig­keit des Lie­fe­ran­ten vor­aus.
  • Hierfür genügt be­reits, dass ge­genüber dem Leis­tungs­empfänger die Ein­rede der Verjährung er­ho­ben wurde.
  • Dies kann auch nicht durch die Ge­fahr der dop­pel­ten Er­stat­tung in­frage ge­stellt wer­den.

Hin­weis: Die Ge­fahr der dop­pel­ten Er­stat­tung hält der EuGH im Aus­gangs­ver­fah­ren für grundsätz­lich aus­ge­schlos­sen. So sei eine spätere Kor­rek­tur der aus­ge­stell­ten Rech­nun­gen und ein zwei­ter Er­stat­tungs­an­spruch missbräuch­lich und da­her zu ver­sa­gen. So­fern die Lie­fe­rer wie im Ent­schei­dungs­fall zu­vor ge­genüber dem Rech­nungs­empfänger die Ein­rede der Verjährung er­ho­ben hätten, würden die Er­stat­tungs­anträge kei­nen wei­te­ren Zweck ver­fol­gen, als den, einen Steu­er­vor­teil zu er­lan­gen.

Zu­dem ge­biete das Uni­ons­recht eine an­ge­mes­sene Ver­zin­sung, so habe

  • der EuGH wie­der­holt ent­schie­den, dass der Ein­zelne, wenn ein Mit­glied­staat un­ter Ver­stoß ge­gen Uni­ons­recht Steu­ern er­ho­ben habe, nicht nur An­spruch auf Er­stat­tung der Um­satz­steuer, son­dern auch der im un­mit­tel­ba­ren Zu­sam­men­hang mit die­ser Steuer ste­hen­den Beträge habe.
  • Dar­un­ter fal­len auch Einbußen auf­grund der man­geln­den Verfügbar­keit von Geld­beträgen.

Welche Auswirkungen hat das auf die Praxis?

Auch wenn die Fol­ge­ent­schei­dung des FG Müns­ter noch aus­steht, stärkt der EuGH mit die­ser Ent­schei­dung die Rechte des Leis­tungs­empfängers im Hin­blick auf die Durch­setz­bar­keit ei­nes Di­rekt­an­spruchs bei an den Leis­ten­den ge­zahl­ter und von die­sem feh­ler­haft aus­ge­wie­se­ner und an die Fi­nanz­ver­wal­tung ab­geführ­ter Um­satz­steuer.

Po­si­tiv ge­wer­tet wer­den kann auch, dass für die An­er­ken­nung des Di­rekt­an­spruchs be­reits die Er­he­bung der Ein­rede der Verjährung durch den Leis­ten­den genügt.

Ge­genläufig kann die Ent­schei­dung aber auch als Schwächung der Po­si­tion des Rech­nungs­stel­lers ver­stan­den wer­den. Spätes­tens wenn der leis­tende Un­ter­neh­mer die Ein­rede der Verjährung er­hebt, läuft er Ge­fahr, dass die Um­satz­steuer im Bil­lig­keits­wege über den Di­rekt­an­spruch an den Leis­tungs­empfänger aus­ge­kehrt wird.

Dem­ent­spre­chend könnte die Fi­nanz­ver­wal­tung die Ent­schei­dung zum An­lass neh­men, fortan die Er­stat­tung von § 14c UStG-Steu­er­beträgen an den leis­ten­den Un­ter­neh­mer hin­aus­zuzögern. Ins­be­son­dere in den Fällen, in de­nen die § 14c UStG-Kor­rek­tur auf Sei­ten des leis­ten­den Un­ter­neh­mers kei­ner Rück­zah­lung an den Leis­tungs­empfänger be­darf (bspw. bei Brut­to­ver­ein­ba­run­gen), würde dies je­doch zu un­sach­ge­rech­ten Er­geb­nis­sen führen.

Die Fi­nanz­ver­wal­tung wird ihre re­strik­tive Hal­tung (BMF-Schrei­ben vom 12.04.2022) wohl auf­ge­ben müssen. Gleich­wohl ist mit ei­ner zeit­na­hen Re­ak­tion des BMF nicht zu rech­nen, da auf Vor­lage des BFH (Be­schluss vom 03.11.2022, Az. XI R 6/21, BStBl. II 2023, S. 469) eine wei­tere (deut­sche) Vor­lage zum Di­rekt­an­spruch beim EuGH anhängig ist (Rs. C-83/23).

Eine ge­setz­li­che Re­ge­lung wäre wünschens­wert, da die Über­lap­pung von zi­vil­recht­li­chen An­sprüchen und An­sprüchen aus dem Steu­er­verhält­nis im kon­kre­ten Fall zwar zu ei­ner wirt­schaft­lich sach­ge­rech­ten Ent­schei­dung geführt ha­ben mag, aber nicht un­be­dingt zur Rechts­si­cher­heit beiträgt.

Es bleibt span­nend und die wei­tere Rechts­ent­wick­lung muss be­ob­ach­tet wer­den.

Dies gilt auch im Hin­blick auf die vom EuGH auf­ge­wor­fene Zins­the­ma­tik. Bis­her muss der Rech­nungs­empfänger ei­ner § 14c UStG-Steuer eine Ver­zin­sung nach § 233a AO der Beträge vor­neh­men, für die un­be­rech­tigt der Vor­steu­er­ab­zug gel­tend ge­macht wurde. Der Rech­nungs­stel­ler hat re­gelmäßig kei­nen An­spruch auf Er­stat­tungs­zin­sen, da die § 14c UStG-Steuer bis zur Rech­nungs­be­rech­ti­gung und ggf. Rück­zah­lung an den Rech­nungs­empfänger ge­genüber dem Fi­nanz­amt ge­schul­det wird.

Nach der vor­lie­gen­den EuGH-Ent­schei­dung soll dem Leis­tungs­empfänger fortan ne­ben dem Di­rekt­an­spruch auch ein An­spruch auf Zin­sen ge­gen die Steu­er­behörde zu­ste­hen. Eine recht­li­che Grund­lage im UStG oder der AO ist hierfür nicht er­sicht­lich.

Was können Sie jetzt schon tun?

Die Po­si­tion der Rech­nungs­empfänger wurde durch den EuGH gestärkt, in­so­fern be­steht hier kein un­mit­tel­ba­rer Hand­lungs­be­darf.

Vor­sicht ist je­doch auf Sei­ten der leis­ten­den Un­ter­neh­mer ge­bo­ten. Diese soll­ten, wenn sie mit zi­vil­recht­li­chen Rück­for­de­rungs­an­sprüchen ei­ner § 14c UStG-Steuer kon­fron­tiert sind, nicht leicht­fer­tig die Ein­rede der Verjährung er­he­ben, da an­dern­falls die Gel­tend­ma­chung mögli­cher Rück­for­de­rungs­an­sprüche ge­genüber den Fi­nanz­behörden gefähr­det sein könnte.

Dies gilt auch in den Fällen, in de­nen Brut­to­ver­ein­ba­run­gen exis­tie­ren und da­mit dem Leis­tungs­empfänger kein zi­vil­recht­li­cher An­spruch zu­ste­hen sollte oder in den Fällen, in de­nen zwar keine deut­sche Um­satz­steuer aber Mehr­wert­steuer aus einem an­de­ren EU-Staat ge­schul­det wird. Hierzu ist ge­rade die oben erwähnte Vor­lage des BFH beim EuGH anhängig (Rs. C-83/23).

 

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