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Zur Kindergeldberechtigung von EU-Bürgern unter Geltung der Übergangsbestimmungen zum EU-Beitritt

BFH 27.4.2015, III B 127/14

Be­ste­hen für das Her­kunfts­land ei­nes Uni­onsbürgers während ei­ner Überg­angs­zeit nach dem Bei­tritt zur EU Be­schränkun­gen hin­sicht­lich der Ar­beit­neh­mer­freizügig­keit, so un­terfällt der Uni­onsbürger nur dann nicht § 62 Abs. 1 EStG, son­dern den ein­schränken­den

Der Sach­ver­halt:
Strei­tig ist die Rechtmäßig­keit des Be­schlus­ses des FG vom 7.10.2014, mit dem die­ses das Kla­ge­ver­fah­ren (6 K 2642/12) bis zum Er­ge­hen ei­ner Ent­schei­dung in den beim BVerfG anhängi­gen Ver­fah­ren 2 BvL 9-14/14 gem. § 74 FGO aus­ge­setzt hat.

Der Kläger, ein pol­ni­scher Staats­an­gehöri­ger, war in den Jah­ren 2007 bis 2011 für eine pol­ni­sche Bau­firma als Ar­beit­neh­mer in Deutsch­land be­schäftigt. Er be­an­tragte Kin­der­geld, wel­ches ihm nicht gewährt wurde. Das nach er­folg­lo­sem Ein­spruchs­ver­fah­ren anhängige Kla­ge­ver­fah­ren setzte das FG nach § 74 FGO aus.

Zur Begründung führte es aus, dass der Kläger man­gels Ge­neh­mi­gung der Be­schäfti­gung durch die Bun­des­agen­tur für Ar­beit gem. § 284 SGB III a.F. als nicht freizügig­keits­be­rech­tig­ter Ausländer i.S.d. § 62 Abs. 2 EStG zu be­han­deln sei. Da beim Kläger die Vor­aus­set­zun­gen der Vor­schrift nach Ak­ten­lage nicht vorlägen, wäre der Kin­der­geld­an­spruch bis April 2011 ab­zu­leh­nen, so­fern sich diese Vor­schrift als ver­fas­sungs­gemäß er­wei­sen sollte.

Hier­ge­gen rich­tet sich die Be­schwerde des Klägers. Er be­an­tragt sinn­gemäß, den Aus­set­zungs­be­schluss des FG auf­zu­he­ben und das Ver­fah­ren fort­zu­set­zen. Der BFH gab der Be­schwerde statt und hob den Be­schluss des FG auf.

Die Gründe:
Die Vor­aus­set­zun­gen ei­ner Aus­set­zung des Ver­fah­rens (AdV) nach § 74 FGO lie­gen nicht vor.

Bei den beim BVerfG anhängi­gen Ver­fah­ren geht es um die Frage, ob § 62 Abs. 2 EStG in­so­weit ver­fas­sungs­wid­rig ist, als er nicht freizügig­keits­be­rech­tigte Ausländer teil­weise vom An­spruch auf Kin­der­geld aus­schließt oder des­sen Gewährung an wei­tere Vor­aus­set­zun­gen knüpft. Im vor­lie­gen­den Ver­fah­ren han­delt es sich bei dem Kläger hin­ge­gen um einen freizügig­keits­be­rech­tig­ten Uni­onsbürger, der bei Vor­lie­gen der Vor­aus­set­zun­gen des § 62 Abs. 1 EStG dem Grunde nach kin­der­geld­be­rech­tigt ist. Ent­ge­gen der An­sicht des FG be­wirkt die feh­lende Ge­neh­mi­gung der Bun­des­agen­tur gem. § 284 SGB III nicht, dass der Kläger als nicht freizügig­keits­be­rech­tig­ter Ausländer gem. § 62 Abs. 2 EStG an­zu­se­hen ist. Da­bei lässt der Se­nat da­hin­ste­hen, ob im vor­lie­gen­den Fall eine Ge­neh­mi­gung nach § 284 SGB III über­haupt er­for­der­lich war.

Für pol­ni­sche Staats­an­gehörige war die Freizügig­keit bis zum 30.11.2011 zwar ein­ge­schränkt. Gem. Nr. 2.1 des An­hangs XII der Bei­tritts­akte gel­ten die Art. 39 und 49 Abs. 1 des Ver­trags zur Gründung der EG zwi­schen Po­len ei­ner­seits und Deutsch­land so­wie den übri­gen Alt-Mit­glied­staa­ten an­de­rer­seits in vol­lem Um­fang nur vor­be­halt­lich der Überg­angs­be­stim­mun­gen. Letz­tere se­hen un­ter Nr. 2.2 vor, dass ab­wei­chend von den Art. 1 bis 6 der Ver­ord­nung (EWG) Nr. 1612/67 während ei­nes Überg­angs­zeit­raums die Alt-Mit­glied­staa­ten na­tio­nale Maßnah­men an­wen­den, um den Zu­gang pol­ni­scher Staats­an­gehöri­ger zu ih­ren Ar­beitsmärk­ten zu re­geln.

Deutsch­land hat diese Überg­angs­re­ge­lung nach Nr. 2.5 An­hang XII der Bei­tritts­akte bis zum Ab­lauf von sie­ben Jah­ren nach dem Bei­tritt, also bis zum 30.4.2011, verlängert und den Zu­gang für Staats­an­gehörige Po­lens während der Überg­angs­frist gem. § 284 Abs. 1 SGB III da­hin­ge­hend be­schränkt, dass diese und de­ren freizügig­keits­be­rech­tigte Fa­mi­li­en­an­gehörige eine Be­schäfti­gung nur mit Ge­neh­mi­gung der Bun­des­agen­tur für Ar­beit ausüben und von Ar­beit­ge­bern nur be­schäftigt wer­den dürfen, wenn sie eine sol­che Ge­neh­mi­gung be­sit­zen. Diese Ein­schränkung be­wirkt aber nicht, dass der Uni­onsbürger bei feh­len­der ar­beits­recht­li­cher Ge­neh­mi­gung als nicht freizügig­keits­be­rech­tig­ter Ausländer zu be­han­deln ist. Für EU-Staats­an­gehörige gilt gem. Art. 21 Abs. 1 AEUV ein von der Ar­beit­neh­mer­freizügig­keit un­abhängi­ges Freizügig­keits­recht, das al­lein aus der Uni­onsbürger­schaft folgt.

Da­nach hat je­der Uni­onsbürger das Recht, sich im Ho­heits­ge­biet der Mit­glied­staa­ten frei zu be­we­gen und auf­zu­hal­ten. Es han­delt sich um ein un­mit­tel­bar an­wend­ba­res sub­jek­tiv-öff­ent­li­ches Recht, das dem Uni­onsbürger un­abhängig vom Zweck sei­ner In­an­spruch­nahme zu­steht. Die­ses Auf­ent­halts­recht der Uni­onsbürger entfällt, so­bald die Ausländer­behörde nach §§ 5, 6 FreizügG/EU fest­ge­stellt hat, dass das Recht auf Ein­reise und Auf­ent­halt nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU nicht be­steht. Erst nach ei­ner ent­spre­chen­den Fest­stel­lung fin­det das Auf­enthG An­wen­dung mit der Folge, dass der Uni­onsbürger einen Auf­ent­halts­ti­tel nach dem Auf­enthG benötigt, will er sich wei­ter­hin le­gal in Deutsch­land auf­hal­ten. Al­lein die feh­lende Ar­beits­ge­neh­mi­gung ohne eine Fest­stel­lung des Ver­lus­tes des Auf­ent­halts­rechts führt so­mit nicht dazu, dass der Uni­onsbürger nun­mehr als nicht freizügig­keits­be­rech­tig­ter Ausländer i.S.d. § 62 Abs. 2 EStG zu be­han­deln ist.

Link­hin­weis:

  • Der Voll­text der Ent­schei­dung ist auf der Home­page des BFH veröff­ent­licht.
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