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Steuerberatung

BFH schafft Rechtsicherheit bei Vertrauensschutzsachverhalten im Bereich der Umsatzsteuer

Mit Ur­teil vom 06.07.2023 (Az. V R 5/21) ent­schei­det der BFH, dass für die Prüfung, zu wel­chem Zeit­punkt die in § 176 Abs. 2 AO ge­nannte all­ge­meine Ver­wal­tungs­vor­schrift als nicht mit dem gel­ten­den Recht in Ein­klang ste­hend be­zeich­net wurde, auf die je­wei­lige Vor­an­mel­dungs­fest­set­zung und nicht erst auf die Jah­res­ver­an­la­gung ab­zu­stel­len sei.

Worum geht es?

Lange Zeit war Ruhe um die sog. Bauträgerfälle ein­ge­kehrt. Nun hatte der BFH über die Gel­tung des Ver­trau­ens­schut­zes des § 176 Abs. 2 AO in einem sog. Bauträger­fall zu ent­schei­den und mit Ur­teil vom 06.07.2023 (Az. V R 5/21) über diese Fälle hin­aus für Rechts­si­cher­heit ge­sorgt.

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Gemäß § 176 Abs. 2 AO darf bei der Auf­he­bung oder Ände­rung ei­nes Steu­er­be­scheids nicht zu­un­guns­ten des Steu­er­pflich­ti­gen berück­sich­tigt wer­den, dass eine all­ge­meine Ver­wal­tungs­vor­schrift von einem obers­ten Ge­richts­hof des Bun­des als nicht mit dem gel­ten­den Recht in Ein­klang ste­hend be­zeich­net wor­den ist.

Im Be­reich der Um­satz­steuer war lange Zeit frag­lich, ob be­reits die Über­mitt­lung der Vor­an­mel­dung oder erst die Über­mitt­lung der Um­satz­steu­er­jah­res­erklärung den Ver­trau­ens­schutz­tat­be­stand des § 176 Abs. 2 AO auslöst. Mit Ver­weis auf den BFH-Be­schluss vom 23.04.2010 (Az. V B 89/09, BFH/NV 2010, S. 1782) wurde über­wie­gend die Auf­fas­sung ver­tre­ten, dass erst die Um­satz­steu­er­jah­res­erklärung den Ver­trau­ens­schutz­tat­be­stand auslösen kann, mit der Folge, dass Un­ter­neh­mer sich für Zeiträume von über einem Jahr nicht auf § 176 Abs. 2 AO hätten be­ru­fen können.

Diese Frage wurde ins­be­son­dere im Zu­sam­men­hang mit der sog. Bauträger-Recht­spre­chung des BFH aus dem Jahr 2013 dis­ku­tiert. Denn mit Ur­teil vom 22.08.2013 (Az. V R 37/10, BStBl. II 2014, S. 128) ent­schied der BFH, dass § 13b Abs. 2 Nr. 4 UStG (Überg­ang der Steu­er­schuld­ner­schaft bei Bau­leis­tun­gen an einen Bau­leis­ten­den) für an einen Bauträger er­brachte Bau­leis­tun­gen nicht an­wend­bar ist und die Steu­er­schuld nicht auf den Bauträger über­geht, da die­ser selbst keine Umsätze aus sog. Bau­leis­tun­gen, son­dern aus Grundstücks­umsätzen er­zielt. Der BFH wi­der­sprach so­mit der Ver­wal­tungs­auf­fas­sung in R 182a Abs. 11 UStR 2005 (bzw. A. 13b.3 Abs. 8 Satz 4 UStAE a.F.).

In der Folge des Ur­teils stellte sich die Frage, für wel­che Zeiträume die Bau­un­ter­neh­mer Ver­trau­ens­schutz nach § 176 Abs. 2 AO be­geh­ren konn­ten. Dar­auf­hin schränkte der Ge­setz­ge­ber die An­wen­dung des § 176 Abs. 2 AO durch § 27 Abs. 19 UStG für Bauträgerfälle ein. Da­nach konnte ge­genüber Bau­un­ter­neh­mern die Um­satz­steuer nachträglich fest­ge­setzt wer­den, wenn der Bauträger die Er­stat­tung der nach § 13b UStG an das Fi­nanz­amt ab­geführ­ten Um­satz­steuer be­an­tragt hat. Gemäß § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG sollte § 176 AO die­ser Ände­rung nicht ent­ge­gen­ste­hen. Zu­dem sah § 27 Abs. 19 Satz 3 ff. UStG die sog. Ab­tre­tungslösung vor. D.h. die Bau­leis­ten­den konn­ten ih­ren An­spruch auf Zah­lung der Um­satz­steuer ge­gen den Bauträger an­statt Zah­lung der Um­satz­steu­ern an das Fi­nanz­amt ab­tre­ten. Ein­schränkend hatte der BFH mit Ur­teil vom 23.02.2017 (Az. V R 16/16, V R 24/16, DStR 2017, S. 777) im Hin­blick auf die Durch­bre­chung des Ver­trau­ens­schutz­tat­be­stan­des ent­schie­den, dass die Fest­set­zung ge­genüber dem leis­ten­den Bau­un­ter­neh­mer nur dann geändert wer­den kann, wenn die­sem ein ab­tret­ba­rer An­spruch ge­gen den Leis­tungs­empfänger (Bauträger) zu­steht. Nur in die­sen Fällen sei die Ein­schränkung des Ver­trau­ens­schut­zes ge­recht­fer­tigt.

Kernaussagen des aktuellen BFH-Urteils

Mit Ur­teil vom 06.07.2023 (Az. V R 5/21) ent­schied der BFH nun,

  • dass für die Prüfung des für § 176 Abs. 2 AO maßgeb­li­chen Zeit­punkts grundsätz­lich auf die je­wei­lige Vor­an­mel­dungs­fest­set­zung ab­zu­stel­len sei und zu­dem
  • dass ge­genüber dem Or­ganträger dann keine Ände­rungs­be­fug­nis nach § 27 Abs. 19 UStG be­steht, wenn der Or­ganträger kei­nen An­spruch der Or­gan­ge­sell­schaft ge­gen den Leis­tungs­empfänger ab­tre­ten kann, da über das Vermögen der Bau­leis­tun­gen er­brin­gen­den Or­gan­ge­sell­schaft das In­sol­venz­ver­fah­ren eröff­net wor­den ist.

Dem Urteil zu Grunde liegender Sachverhalt

Dem Ur­teil lag fol­gen­der Sach­ver­halt zu Grunde:

  • Die Kläge­rin war Or­ganträge­rin ei­ner GmbH, die im Jahr 2012 ge­genüber einem Bauträger Bau­leis­tun­gen un­ter An­wen­dung der da­mals gülti­gen Ver­wal­tungs­auf­fas­sung netto als sog. Re­verse Charge Um­satz ab­ge­rech­net hatte.
  • An­fang 2013 wurde über das Vermögen der Or­gan­ge­sell­schaft das In­sol­venz­ver­fah­ren eröff­net.
  • Die Or­ganträge­rin er­fasste diese Umsätze ent­spre­chend in ih­ren Vor­an­mel­dun­gen und der am 09.04.2014, also nach Veröff­ent­li­chung der o.g. Bauträge­rent­schei­dung, über­mit­tel­ten Um­satz­steu­er­jah­res­erklärung. Diese wurde in der Folge aus an­de­ren Gründen be­rich­tigt.
  • Im Jahr 2015 be­an­tragte die Bauträge­rin die Er­stat­tung der nach § 13b UStG an das Fi­nanz­amt ab­geführ­ten Um­satz­steuer für die von der Or­gan­ge­sell­schaft be­zo­ge­nen Bau­leis­tun­gen.
  • In der Folge setze das Fi­nanz­amt ge­genüber der Kläge­rin durch geänder­ten Be­scheid die Um­satz­steuer fest. Der hier­ge­gen ge­rich­tete Ein­spruch blieb er­folg­los. Ebenso nahm das Fi­nanz­amt die von der Or­ganträge­rin an­ge­bo­tene Ab­tre­tung des zi­vil­recht­li­chen An­spruchs auf Aus­gleich der Um­satz­steuer ge­gen die ehe­ma­lige Or­gan­ge­sell­schaft nicht an. Die­sen An­spruch mel­dete die Or­ganträge­rin zur In­sol­venz­ta­belle an.
  • Die In­sol­venz­ver­wal­te­rin der GmbH über­sandte der Bauträge­rin we­der geänderte Rech­nun­gen noch machte sie ge­genüber die­ser eine Nach­for­de­rung gel­tend.

Begründung des BFH

Be­reits durch die Vor­an­mel­dun­gen wird der Ver­trau­en­stat­be­stand des § 176 Abs. 2 AO aus­gelöst:

  • Die An­wen­dung des § 176 Abs. 2 AO setze einen Be­scheid vor­aus, der vor Veröff­ent­li­chung der Ent­schei­dung, nach der die an­ge­wandte Ver­wal­tungs­vor­schrift nicht im Ein­klang mit gel­ten­dem Recht steht, er­las­sen wurde.
  • Ver­trau­ens­schutz nach § 176 Abs. 2 AO be­steht auch bei for­mell be­standskräfti­gen, un­ter dem Vor­be­halt der Nachprüfung er­gan­ge­nen Be­schei­den und da­mit auch für Steu­er­an­mel­dun­gen, die nach § 168 AO ei­ner Steu­er­fest­set­zung un­ter dem Vor­be­halt der Nachprüfung gleich­ste­hen.
  • Auf den Um­satz­steu­er­jah­res­be­scheid ist je­doch dann nicht ab­zu­stel­len, wenn zu­vor be­reits Vor­an­mel­dungs­fest­set­zun­gen vor­lie­gen.
  • 176 AO schütze nicht das Ver­trauen in die Ge­setz­ge­bung oder in die höchstrich­ter­li­che Recht­spre­chung, son­dern in die Be­stands­kraft der Steu­er­fest­set­zung.
  • Gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1, § 13 Abs. 1 Nr. 1 UStG sind Un­ter­neh­mer ver­pflich­tet, be­reits mit Ab­lauf des Vor­an­mel­dungs­zeit­raums eine Vor­an­mel­dung und eine Steu­er­erklärung (Steu­er­an­mel­dung) zu über­mit­teln.
  • Be­reits für diese er­gibt sich gemäß § 168 AO eine Steu­er­fest­set­zung un­ter dem Vor­be­halt der Nachprüfung für eine be­reits nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 UStG ent­stan­dene Steuer, die das für § 176 Abs. 2 AO ent­schei­dende Ver­trauen in die Be­stands­kraft der Steu­er­fest­set­zung er­zeugt.
  • Dies wird zu­dem durch Uni­ons­recht bestätigt, wo­nach die Ab­gabe der Um­satz­steu­er­jah­res­erklärung an­ders als die von Vor­an­mel­dun­gen nicht zwin­gend vor­ge­se­hen ist. Ent­schei­det sich aber ein Mit­glieds­staat für eine der­ar­tige Zu­satz­erklärungs­pflicht, könnte dies nicht zu Ein­schränkun­gen beim Ver­trau­ens­schutz führen.

Der Ver­trau­ens­schutz konnte im Ent­schei­dungs­fall auch nicht nach § 27 Abs. 19 UStG durch­bro­chen wer­den.

  • Denn nach der Recht­spre­chung des BFH könne ein geänder­ter Be­scheid ge­gen den Bau­leis­ten­den nur dann er­las­sen wer­den, wenn die­sem ein ab­tret­ba­rer An­spruch ge­gen den Leis­tungs­empfänger auf Zah­lung der Um­satz­steuer zu­steht.
  • Im Falle der Bau­leis­tun­gen er­brin­gen­den Or­gan­ge­sell­schaf­ten dürfte ein sol­cher grundsätz­lich auch dem Or­ganträger zu­ste­hen, da er auf­grund der aus der Ein­glie­de­rung re­sul­tie­ren­den Ein­wir­kungsmöglich­kei­ten auf eine An­spruchs­ab­tre­tung durch die Or­gan­ge­sell­schaft re­gelmäßig hin­wir­ken könne.
  • Auf­grund der zwi­schen­zeit­li­chen In­sol­ven­zeröff­nung be­stand diese Möglich­keit nicht, denn es könne nicht da­von aus­ge­gan­gen wer­den, dass ein In­sol­venz­ver­wal­ter einen wert­hal­ti­gen, der Masse zu­ste­hen­den An­spruch durch Ab­tre­tung auf­gebe.
  • Darüber hin­aus sei die Or­gan­schaft auf­grund der zwi­schen­zeit­li­chen In­sol­ven­zeröff­nung be­en­det.

Was bedeutet das für die Praxis?

Das Ur­teil ist zu begrüßen, da es für mehr Rechts­klar­heit bei An­wen­dung des Ver­trau­ens­schutz­tat­be­stan­des des § 176 Abs. 2 AO sorgt und Steu­er­pflich­tige nun­mehr be­reits auf die vorläufige Be­stands­kraft der Um­satz­steu­er­vor­an­mel­dun­gen ver­trauen können.

In­so­fern ent­fal­tet das Ur­teil weit über die Bauträgerfälle hin­aus Wir­kung.

Auch im Hin­blick auf die Durch­bre­chung des Ver­trau­ens­schut­zes nach § 27 Abs. 19 UStG setzt der BFH er­freu­li­cher­weise seine re­strik­tive Recht­spre­chung fort. Die Fest­set­zung der Um­satz­steuer ge­gen den Bau­leis­ten­den oder des­sen Or­ganträger setzt einen ab­tret­ba­ren An­spruch vor­aus. Der BFH bestätigt da­mit seine bis­he­rige Recht­spre­chung, dass ge­gen die Bau­leis­ten­den nur die Um­satz­steuer fest­ge­setzt wer­den kann, wenn diese nicht mit der Um­satz­steuer be­las­tet wer­den, da sie ih­ren zi­vil­recht­li­chen An­spruch ge­gen den Bauträger an Zah­lungs statt an das Fi­nanz­amt ab­tre­ten können.

Achtung bei Insolvenzeröffnung im Organkreis

Nicht ganz nach­voll­zieh­bar war, wa­rum der Or­ganträger für das kom­plette Jahr 2013 Um­satz­steu­er­an­mel­dun­gen für den Or­gankreis ab­ge­ge­ben hat, ob­gleich aus­weis­lich des Sach­ver­hal­tes be­reits An­fang 2013 über das Vermögen der Or­gan­ge­sell­schaft das In­sol­venz­ver­fah­ren eröff­net wurde. Diese Frage wird an­hand der vor­lie­gen­den Ent­schei­dung nicht geklärt wer­den können, da die­ser Punkt für die Frage der Durch­bre­chung des Ver­trau­ens­schut­zes nicht ent­schei­dungs­re­le­vant war. Ge­ne­rell gilt es aber, bei In­sol­ven­zeröff­nung über das Vermögen ei­ner oder meh­re­rer Ge­sell­schaf­ten im Or­gankreis dar­auf zu ach­ten, dass fortan durch die rich­ti­gen Un­ter­neh­mer die Um­satz­steu­er­an­mel­dun­gen über­mit­telt wer­den. Denn spätes­tens mit der In­sol­ven­zeröff­nung über das Vermögen ei­nes Be­tei­lig­ten des Or­gankrei­ses en­det die Or­gan­schaft.

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