Aufladen von Elektrofahrzeugen als einheitliche Lieferung

19.06.2023 | 3 Minuten Lesezeit

In einem polnischen Fall ordnet der EuGH mit Urteil vom 20.04.2023 (Rs. C-282/22) Leistungen, die beim Laden von Elektrofahrzeugen an Ladepunkten vom Ladepunktbetreiber an den Endkunden erbracht werden, als einheitliche Lieferung ein.

Hintergrund der Entscheidung

In einem Vorabentscheidungsverfahren aus Polen ging es um die umsatzsteuerliche Behandlung des E-Charging, zu der bisher noch keine EuGH-Entscheidungen vorlagen. Lediglich der Mehrwertsteuerausschuss der Europäischen Kommission war bereits mit der Prüfung der Frage befasst (Working Paper Nr. 969 und Nr. 1012), da es in der EU unterschiedliche Sichtweisen im Hinblick auf die Beurteilung von Stromladevorgängen als Lieferung oder als sonstige Leistung gab.

Um was geht es?

Ein polnischer Unternehmer beabsichtigte, eine Tätigkeit auszuüben, die in der Errichtung und dem Betrieb von öffentlich zugänglichen Ladestationen für Elektrofahrzeuge bestand. Die Ladestationen sollten mit Multistandard-Ladegeräten ausgestattet werden, die sowohl über Schnell- als auch Langsamladeanschlüsse verfügen. Nutzern sollte je nach Ladezeit unter Nutzung des Schnell- oder des Langsamladeanschlusses ein Preis für den bezogenen Strom in Rechnung gestellt werden. Die bei jedem Ladevorgang erbrachten Leistungen konnten zudem das Bereitstellen der Ladevorrichtungen, die Übertragung der Elektrizität angepasst an die Parameter der Fahrzeugbatterie und die notwendige technische Unterstützung umfassen. Über eine spezielle Plattform sollte den Nutzern die Möglichkeit eingeräumt werden, einen Ladeanschluss zu reservieren und den Verlauf der getätigten Umsätze und Zahlungen zu verfolgen. Die Leistungen sollten mit einem einheitlichen Preis in Rechnung gestellt werden. In Frage stand, ob diese Leistungen einheitlich oder separat für Umsatzsteuerzwecke zu beurteilen sind.

Was hat der EuGH entschieden?

Insgesamt beurteilte der EuGH die Leistungen als eine komplexe einheitliche Leistung, bei der die Übertragung von Elektrizität grundsätzlich den charakteristischen und dominierenden Bestandteil der einheitlichen und komplexen Leistung darstelle. Da gemäß der Mehrwertsteuersystemrichtlinie für Stromlieferungen Liefergrundsätze gelten, beurteilte der EuGH die komplexe Leistung daher insgesamt als Lieferung. Hieran ändern auch die Abrechnungsmodalitäten nichts, wonach sowohl die Lademenge als auch die Ladezeit für die Berechnung Berücksichtigung gefunden haben.

Der EuGH stellt klar, dass selbst in dem Fall, in dem die Gebühr allein anhand der Ladezeit bestimmt würde, dies der Einordnung als Lieferung nicht entgegenstehen würde.

Was bedeutet das in der Praxis?

Die Entscheidung des EuGH sollte auch der deutschen Sichtweise entsprechen, so dass in Bezug auf Inlandsladevorgänge grundsätzlich kein Anpassungsbedarf bestehen sollte.

Grundsätzlich sind zwar Einzelleistungen zu beurteilen. Der Entscheidungsfall zeigt anschaulich, in welchen Fällen Ausnahmen zu diesem Grundsatz anzunehmen sind und zudem, wie die den Umsatz prägende Leistung zu bestimmen ist. Insofern hat die Entscheidung des EuGH nicht überrascht, aber beruhigt.

Die mit der Übertragung der Energie verbundenen Leistungen der Bereitstellung der Ladevorrichtung, der technischen Unterstützung und der Bereitstellung von IT-Anwendungen sind damit so eng verbunden, dass sie keinen eigenen Zweck erfüllen und deshalb hierauf insgesamt Liefergrundsätze anzuwenden seien. Positiv ist zudem, dass der EuGH dies auch für den Fall klargestellt hat, in dem das Entgelt allein anhand der Ladezeit und nicht anhand der Lademenge bestimmt wird.

Die Entscheidung des EuGH ist aber gerade vor dem Hintergrund der uneinheitlichen Beurteilung innerhalb der EU zu begrüßen. Unternehmen mit entsprechenden Leistungen im EU-Ausland sollten die Entscheidung zum Anlass nehmen, die umsatzsteuerliche Behandlung und Rechnungsstellung zu überprüfen.

Zudem können sich aufgrund der Beurteilung als Lieferung gerade bei vorgelagerten Stromlieferungen Fragestellungen der Steuerschuldnerschaft ergeben. Denn unter bestimmten Voraussetzungen kann bei sog. Wiederverkäufern die Steuerschuld auf den Lieferempfänger übergehen.

Vorsicht ist weiterhin geboten, wenn weitere Unternehmer, bspw. sog. E-Mobilitätsbetreiber, in die Leistungserbringung eingebunden werden. Diesen Fall musste der EuGH nicht entscheiden, doch ist ein entsprechendes Vorabentscheidungsersuchen bereits unter Rs. C-60/23 anhängig. Für die umsatzsteuerliche Behandlung wird maßgeblich auf die schuldrechtlichen Leistungsbeziehungen abzustellen und dafür die Frage zu klären sein, welche konkreten Lieferbeziehungen den Ladevorgängen zugrunde liegen. Unternehmen, die Leistungen im Bereich der E Mobilität anbieten, sollten daher bereits bei Vertragsschluss mögliche Leistungskonstellationen im Blick haben und diesbezüglich eindeutige vertragliche Regelungen vorsehen, die eine klare Zuordnung der jeweiligen Leistungen ermöglichen.