
Steuerpolitik der neuen Bundesregierung: Ausreichende Impulse für mehr Wirtschaftswachstum?
Am 09.04.2025 haben sich CDU/CSU und SPD nach intensiven Verhandlungen auf einen Koalitionsvertrag geeinigt, der eine Reihe steuerpolitischer Maßnahmen zur Entlastung von Unternehmen beinhaltet. Die vorgesehenen Maßnahmen sollen einen Aufschwung der deutschen Wirtschaft und die Wettbewerbsfähigkeit heimischer Unternehmen unterstützen. Doch welche Änderungen sind im Detail geplant und welche Chancen ergeben sich daraus für mittelständische Unternehmen?
Wir haben dazu mit dem CDU-Bundestagsabgeordneten Fritz Güntzler gesprochen, der in der Arbeitsgruppe 16 „Haushalt, Steuern und Finanzen“ an den Inhalten des Koalitionsvertrags mitgearbeitet hat. Fritz Güntzler ist Steuerberater und Wirtschaftsprüfer. Zudem ist er ordentliches Mitglied im Finanzausschuss sowie im Bundesfinanzierungsgremium.
Herr Güntzler, wenn man die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD verfolgt hat, gingen die Meinungen in Sachen Steuerpolitik doch sehr auseinander. Dennoch wurde schnell eine Einigung erzielt. Sind Sie grundsätzlich mit dem Ergebnis zufrieden?
Es heißt ja so schön: Politik beginnt mit dem Betrachten der Realitäten. Wir sind als CDU/CSU mit klarem Programm gestärkt aus dieser Bundestagswahl herausgegangen und sahen uns einer kleineren, aber verhandlungsbereiten SPD gegenüber.

Und ich möchte hinzufügen: Wir haben ja noch nicht einmal angefangen zu regieren. Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass vieles, was heute voreilig als Enttäuschung durch die Medien gewertet wird, sich auch noch durch veränderte politische Realitäten während der Regierungszeit verbessern lässt, wenn das Momentum da ist.
Die Ampel ist mit viel Hochmut und Vorschusslorbeeren gestartet und tief gefallen. Ich glaube wir brauchen jetzt vor allem zweierlei, um den Standort Deutschland wieder nach vorne zu bringen: Souveränität und Konzentration in der Sache.
Für Unternehmen ist ein „Investitions-Booster“ in Form einer 30 %-igen degressiven AfA für die Jahre 2025, 2026 und 2027 für sog. Ausrüstungsinvestitionen vorgesehen. Sowohl hinsichtlich des Anwendungszeitraums als auch der Abschreibungshöhe könnte das, anders als die zuletzt für nur neun Monate vorgesehene degressive AfA, den Knoten lösen und die Investitionsbereitschaft in Deutschland deutlich erhöhen. Warum wurde dazu aber im Koalitionsvertrag der Begriff der Ausrüstungsinvestitionen und nicht vielmehr ein steuerlich bekannter Begriff, etwa bewegliche Wirtschaftsgüter, gewählt?
Dass kein steuerlich bekannter Begriff gewählt wurde, liegt daran, dass die Verhandler in der finalen Koalitionsrunde die degressive AfA nicht aus der Perspektive des betriebswirtschaftlichen steuerlichen Instruments, sondern unter dem Aspekt eines volkswirtschaftlichen Wachstumseffekts für Deutschland gedacht haben. Der Begriff Ausrüstungsinvestitionen ist ein gängiger Begriff in der Volkswirtschaftslehre. Er ist definiert als bewegliche Anlagen, wie neue Maschinen, Geräte und Fahrzeuge. Berücksichtigt werden die Zugänge an neuen Ausrüstungen gekauft oder selbst erstellt sowie die Käufe abzüglich der Verkäufe von gebrauchten Ausrüstungsgütern innerhalb einer Periode. Ob alle aufgezählten Güter für unsere Wunsch-AfA berücksichtigt werden, wird ein Teil der Verhandlungen sein. Für mich steht fest: Wenn wir einen wirklichen Investitionsschub ohne neue Bürokratisierung wollen, sollten wir von Einschränkungen absehen und den Begriff Ausrüstungsinvestitionen sehr weit fassen.
Dem „Investitions-Booster“ soll dann eine Absenkung des Körperschaftsteuersatzes ab 2028 in fünf Schritten um jeweils 1 % folgen - ein schlauer Schachzug, da die Unternehmen in Zeiten hoher Steuersätze ihren Gewinn durch die AfA schmälern können und sie in „besseren“ Zeiten dann von einem niedrigeren Körperschaftsteuersatz profitieren. Allerdings bleibt der im internationalen Wettbewerb wichtige „Schaufenstereffekt“ einer deutlichen Steuersenkung, also von 15 % direkt auf 10 % runter, ungenutzt. Wäre das nicht ein wichtiges Signal für ausländische Investoren gewesen?
Die Belastung der Kapitalgesellschaften liegt in Deutschland mit rund 30 % (einschließlich Solidaritätszuschlag und Gewerbesteuer) noch immer deutlich über dem OECD-Durchschnitt. Deshalb haben wir in der Vergangenheit wiederholt eine deutliche Senkung des Körperschaftsteuersatzes gefordert. Die nun vorgesehene schrittweise Absenkung des Körperschaftsteuersatzes ab dem Jahr 2028 ist grundsätzlich ein richtiger Schritt in die richtige Richtung.
Trotzdem ist es schon ein Manko, dass die geplante Reduktion in fünf 1-Prozent-Schritten erfolgen soll. Sie ist aus unserer Sicht zu zögerlich und verfehlt den notwendigen „Schaufenstereffekt“, der aber für internationale Investoren entscheidend ist. Gerade für global agierende Unternehmen sind einfache, planbare und sichtbare steuerliche Rahmenbedingungen ein zentrales Kriterium bei Investitionsentscheidungen. Eine schnellere Senkung von 15 % auf 10 % – wie sie im Raum stand – wäre hier das deutlichere Signal gewesen.
Ich kann Ihnen zusichern, dass die CDU sich weiterhin dafür einsetzen wird, den Körperschaftsteuersatz mutiger zu reformieren, Belastungsspitzen abzubauen und den Standort Deutschland für den Mittelstand, für Investoren und für wachstumsstarke Unternehmen dauerhaft attraktiv zu halten.
Die im Koalitionsvertrag vereinbarten Maßnahmen sollen alle unter Finanzierungsvorbehalt stehen. Gilt das auch für den „Investitions-Booster“ und die Steuersatzsenkung? Der Mittelstand bräuchte dringend schnelle Planungssicherheit, damit die Investitionsbereitschaft der Unternehmen möglichst zeitnah angeschoben werden kann.
In meiner Finanzpolitikerbrust schlagen hier zwei Herzen. Erstens: Planungssicherheit ist für die Investitionsentscheidungen des Mittelstands kein abstrakter Wunsch, sondern ein zwingendes Erfordernis – gerade in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit und steigender Kapital- und Energiekosten. Ich kann diesen Wunsch sehr gut nachempfinden.
Steuerpolitische Maßnahmen müssen verbindlich, gesetzgeberisch unterlegt und zeitlich klar definiert sein – insb. dann, wenn sie die Investitionsneigung stärken und die Eigenkapitalbasis von Unternehmen verbessern sollen. Ein angedachter Investitionsimpuls, der unter dem allgemeinen Vorbehalt der Kassenlage steht, tut sich daher schon rein logisch schwer, Wirkung zu entfalten.
Und trotzdem müssen wir immer wieder auch unsere Entscheidungen verlässlich ausfinanzieren oder in diesem Falle kompensieren, sonst endet dies in einer weiteren Schuldenaufnahme mit höheren Zinslasten und unerwarteten Steuererhöhungen. Das kann auch nicht Sinn der Übung sein.
Ja, die vereinbarten Maßnahmen unterliegen alle dem Finanzierungsvorbehalt - dies gilt auch für den Investitions-Booster und die Steuersatzsenkung. Übrigens ist das nichts Neues. Alle mir bekannten Koalitionsverträge enthielten einen Finanzierungsvorbehalt.
Wir sollten trotzdem so schnell wie möglich beide Maßnahmen in einem 100-Tage-Programm und einem ersten großen Finanzgesetz verabschieden. Sind die Maßnahmen erst einmal beschlossen, müssen wir sie für die Zukunft schon einpreisen und schaffen gleichzeitig bei den Unternehmen Planungssicherheit.
Damit grundsätzlich auch Personengesellschaften von dieser Steuersenkung profitieren können, soll auch die Option zur Körperschaftsbesteuerung i. S. d. § 1a KStG verbessert werden. Die praktischen Problemfelder dieser Regelung zu beheben, hat sich in der Vergangenheit als schwierig erwiesen. Gibt es dazu nun praxistaugliche Vorschläge?
Die Verbesserung der Option zur Körperschaftsbesteuerung gemäß § 1a KStG ist grundsätzlich zu begrüßen. Als CDU haben wir diese Option bereits in der vergangenen Legislaturperiode initiiert, weil wir darin ein wichtiges Instrument sehen. Gerade im Zuge der geplanten Absenkung des Körperschaftsteuersatzes ist es nur folgerichtig, auch Personenunternehmen einen fairen Zugang zu dieser Entlastung zu ermöglichen.
Der Koalitionsvertrag enthält an dieser Stelle zwar das Bekenntnis, die Option „praxisgerecht weiterzuentwickeln“, bleibt aber vage hinsichtlich konkreter Gesetzesinitiativen. Aus Sicht der CDU ist klar: Es braucht mehr als nur Absichtserklärungen. Wir fordern eine zielgerichtete Entschlackung des § 1a KStG – insb. in den Punkten, die auch die Expertenkommission ‚Vereinfachte Unternehmensteuer‘ gefordert hat:
- Verzicht auf die Einlagefiktion, sofern keine realen Vermögensverschiebungen stattfinden.
- Klarstellungen bei der Verlustnutzung und beim steuerlichen Einlagekonto, um unerwünschte Doppelbesteuerungen zu vermeiden.
- Erleichterungen beim Grunderwerbsteuerrecht im Rahmen der Option. 4. Einführung eines Rückkehrrechts zur transparenten Besteuerung.
Die Expertenkommission „Vereinfachte Unternehmensbesteuerung“, die im Juli 2024 umfassende Vorschläge für eine Reform der Unternehmensbesteuerung vorgelegt hat, sieht eine Ausweitung des Optionsmodells dahingehend vor, dass auch Kapitalgesellschaften zur transparenten Besteuerung optieren können. Insb. für Start-ups könnte das eine sehr interessante Möglichkeit sein. War das auch Thema der Verhandlungen und können wir damit ggf. in der Zukunft rechnen?
Im Koalitionsvertrag steht: „Wir prüfen, ob ab dem Jahr 2027 die gewerblichen Einkünfte neu gegründeter Unternehmen unabhängig von ihrer Rechtsform in den Geltungsbereich der Körperschaftsteuer fallen können.“ Ich verstehe diese Formulierung als Annäherung an die von der Expertenkommission vorgeschlagene Ausweitung des Optionsmodells. Diese Passage zielt zwar explizit nicht auf die transparente Besteuerung von Kapitalgesellschaften, sondern beschreibt den umgekehrten Fall. Ich spreche mich jedoch dafür aus, dass wir diese Fragen auf jeden Fall offen in beide Richtungen denken und im Finanzausschuss zeitnah diskutieren sollten.
Im Sondierungspapier vom 08.03.2025 war noch die Rede vom Einstieg in eine Unternehmenssteuerreform. Der Koalitionsvertrag hält sich hierzu bedeckt. Können wir in dieser Legislaturperiode mit umfangreichen Reformen rechnen oder ist das Thema mit den vorgenannten Maßnahmen bereits weitgehend erledigt?
Ich habe mich am Anfang des Interviews unter den gegebenen Realitäten zufrieden mit dem Verhandlungsergebnis gezeigt. Die verabschiedeten steuerlichen Maßnahmen sind ein erster guter Schritt. Zu erwarten, dass wir auch gleich noch den Traum einer einheitlichen Unternehmensbesteuerung plus anderer großer Maßnahmen umsetzen- da sage ich: Lassen Sie uns erstmal diese guten beschlossenen Dinge in einem 100 Tage-Programm anpacken. Eine große, umfassende Unternehmenssteuerreform braucht mehr Zeit, um zu reifen. Denn eine Unternehmenssteuerreform muss mehr als eine Tarifabsenkung sein. Es gilt hier auch unseren Koalitionspartner mitzunehmen.
Springen wir vom nationalen ins internationale Steuerrecht. Wie genau stehen die Koalitionspartner zur globalen Mindeststeuer? Die Aussagen im Koalitionspapier scheinen hier ambivalent: Zum einen bekennt sich die Koalition zur globalen Mindeststeuer für große Konzerne und zum anderen betont sie unter der Überschrift „Aussetzung der globalen Mindeststeuer“, die Auswirkungen auf die globale Steuerarchitektur zu beobachten und sich dafür einzusetzen, dass daraus keine Benachteiligung für deutsche Unternehmen resultiert. Welche Schritte sind hier konkret geplant?
Wir hätten uns weitergehende konkretisierende Maßnahmen zur Aussetzung der globalen Mindeststeuer gewünscht. Wir müssen das Ergebnis aber nun akzeptieren. Welche Schritte nun folgen werden, ist derzeit noch nicht genau absehbar. Ich gehe davon aus, dass wir eine belastbare europäische und vor allem transatlantische Verständigung über die Zukunft der Mindeststeuer herbeiführen müssen. Den Unternehmen kann ich zunächst nur raten, von der bestehenden Gesetzeslage weiter auszugehen und auch so zu handeln. Wir als Union werden dieses Thema vor dem Hintergrund der Einführung 2026 als eines der ersten Themen in dieser Legislatur aufgreifen. Wenn aber die Mindeststeuer ihre Zielsetzung, einen globalen Maßstab zu setzen, verfehlt, kann sie auch in Deutschland nicht weiter unsere Unternehmen im Wettbewerb belasten. Dann muss auf europäischer Ebene gehandelt und die Richtlinie ausgesetzt werden.
Abseits der Ertragsbesteuerung haben Sie in der Arbeitsgruppe 16 über einige Maßnahmen zur Besteuerung von Vermögen kontrovers diskutiert. So war von einer etwaigen Wiederbelebung der Vermögensteuer oder von Änderungen bei der Erbschaftsteuer die Rede. Auch Veräußerungen von privaten Immobilien sollten ungeachtet einer Veräußerungsfrist in die Besteuerung einbezogen werden. Sind diese Themen vom Tisch? Oder konnte hierzu schlichtweg lediglich keine Einigung erzielt werden?
Die Union mit Friedrich Merz hat in den Koalitionsverhandlungen eines sehr deutlich gegenüber den Sozialdemokraten gemacht: Steuererhöhungen werden in diesem Koalitionsvertrag kein Bestandteil sein. Für die Union ist die Vermögensteuer nicht verhandelbar. Sie schadet den Unternehmen und damit dem Standort Deutschland. Betrachten wir die Realitäten bei der Erbschaftsteuer, dann muss ich sagen, dass wir wahrscheinlich um eine Reform der Erbschaftsteuer nicht herumkommen werden. Dafür gibt es zu viele rechtliche Unsicherheiten und Inkongruenzen; und ein ausstehendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts. An der derzeitigen Regelung bei Veräußerungen privater Immobilien wird sich vorerst nichts ändern.
Wie das bei Kompromisslösungen so ist, haben es weder alle von der SPD noch alle von CDU/CSU vorgeschlagenen Maßnahmen in das Koalitionspapier geschafft. Wenn Sie jetzt zu guter Letzt noch einen Wunsch frei hätten, welche steuerpolitische Maßnahme für Unternehmen hätten Sie noch besonders gern im Koalitionsvertrag gesehen?
Als Finanzpolitiker und aktiver Steuerberater sehe ich natürlich an vielen Stellen Handlungsbedarf. Ich hätte mir besonders gewünscht, dass wir im Rahmen der Debatte um das Sondervermögen Infrastruktur und die damit verbundenen Investitionsgelder für die Länder im Gegenzug eine ernsthafte und überfällige Reform der Gewerbesteuer in den Koalitionsvertrag aufgenommen hätten - auch um die Kommunen für die Zukunft finanzstärker und stabiler aufzustellen. Sonst würde ich mir auch eine umfassende Reform der Grunderwerbsteuer wünschen.
Vielen Dank, lieber Herr Güntzler, für das sehr aufschlussreiche Gespräch.
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