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Interview: KI: Chance für den Mittelstand

26.05.2025 | 7 Minuten Lesezeit

Die deutsche Wirtschaft und damit auch der deutsche Mittelstand stecken in einer tiefen Krise. Ein „weiter so“ wie die letzten zwanzig bis dreißig Jahre wird nicht mehr möglich sein. Es gilt, den Wachstumsmotor Mittelstand durch mutige Innovationen wieder zum Laufen zu bringen. Warum nicht einfach mal ausprobieren?, so wie Sven Körner. Der KI-Experte, Gründer der things THINKING GmbH und leidenschaftlicher Musiker, hat einfach mal so eine Gitarre per 3D-Druck hergestellt. Sie hat funktioniert - und gar nicht schlecht. Er zieht sein Motto „Einfach mal ausprobieren“ vor allem im Umgang mit Künstlicher Intelligenz konsequent durch. Davon kann sich der eine oder andere ggf. eine Scheibe abschneiden - und genau darüber diskutieren wir mit Sven Körner.

Sven Körner, KI-Experte, Gründer der things THINKING GmbH
„Einfach mal ausprobieren!“
Sven Körner, KI-Experte, Gründer der things THINKING GmbH

Hallo Herr Körner. Sie sind Forscher im Bereich cognitive/semantic computing, Experte im Feld der künstlichen Intelligenz und Gründer von thingsTHINKING. Was fasziniert Sie besonders an Ihrem Tätigkeitsbereich?

Faszinierend an der Technik ist vor allem, dass ganz vieles, was machbar wäre, noch nicht gemacht wird. Es fühlt sich für manche zwar so an und teilweise wird man von den neuesten Hype-Meldungen überrannt. Aber bei Tageslicht betrachtet, ist da noch eine Menge Potenzial.

Man sieht das heute schon, dass die generellen Ansätze zu KI, die 2023 und 2024 noch groß gehypted wurden, inzwischen etwas entspannter gesehen werden. Die Menschen wollen Lösungen, Produkte und nicht nur Spielereien, die bessere Gedichte für die Oma schreiben.

Oder anders formuliert: an vielen Stellen wird heute noch über den Eisenerzabbau diskutiert und was dessen Möglichkeiten sind, ohne den Menschen wirklich ein Endprodukt davon zu zeigen. Was wir brauchen, sind mehr Menschen, die Visionen haben und etwa ein rotes Cabrio hinstellen und der Welt sagen: „Dafür brauchen wir das Eisenerz. Und glaub‘ mir, das willst Du haben; das ist super.“

Sie sind ein „Macher“ und probieren Ihre Ideen einfach mal aus? Das Tüfteln und Denken ist vielen von uns irgendwie abhandengekommen. Was müssen wir mitbringen, um wieder ins innovative Tun zu kommen?

Eigentlich müssen wir nichts Neues mitbringen. Jedes Kind probiert sich aus - täglich. Aber unsere Gesellschaft belohnt diese Vorgehensweise nicht an jeder Stelle. Und so sind wir inzwischen an einem Punkt angekommen, wo Manager echte Manager im Wortsinn sind: nämlich Verwalter und keine Visionäre mehr.

Wenn man mit oder ohne neue Technologie Dinge entwickelt, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass das Vorgehen scheitert. Das ist normal.

Wir sollten aber dieses Scheitern nicht als Risiko werten. Denn die meisten Personen, die so eine Reise hinter sich haben, sind durch ihre Erfahrungen so gut ausgebildet, dass sich ihr Marktwert signifikant erhöht. Wenn Sie heute in einem tollen KI-Startup arbeiten, das leider scheitert, ist ihre Zukunft dennoch gesichert: jedes große Unternehmen braucht Sie mit Ihren Erfahrungen auch in Zukunft!

Wir bewerten „Risiko“ aber oft rein wirtschaftlich. Aber das persönliche „Risiko“ ist gering.

Kann Künstliche Intelligenz bei Innovationen weiterhelfen?

Wir brauchen mehr Leute, die mit dieser Technik „spielen“. Die größte Innovation bei diesem Thema steht uns m. E. noch bevor. Und das geschieht erst, wenn Domänenfachleute diese Technik passend einsetzen. KI ist nur ein Werkzeug bzw. ein Werkzeugkoffer. Die Musik spielt nicht nur bei GenAI, sondern auch in diversen anderen Technologien.

Und ein Zimmermann kann mit einem guten Werkzeugkoffer mehr erreichen als ich. Spannenderweise ein Flaschner mit demselben Werkzeugkoffer auch. Und ein Industriemechaniker, und und und. Und genauso könn(t)en mittelständische Unternehmen großartige Dinge schaffen. Man muss es nur ausprobieren und vor allem nicht das tun, was alle gerade mit KI tun. Wo wir wieder beim Gedicht für die Oma wären …

Die Anwendungsgebiete von KI-Technologien entwickeln sich rasant. Welche Branchen in der deutschen Wirtschaft können Ihrer Meinung nach davon aktuell am meisten profitieren und in welchen Unternehmensbereichen bzw. Abteilungen kann der Einsatz von KI schon heute gut weiterhelfen?

Überall, wo viel Text und wenig Zeit ist, hat die aktuelle Ausprägung der KI große Vorteile. Aber den größten Impact hat KI vermutlich aktuell dennoch wo anders: in der Medizinforschung, etwa bei Themen wie Protein-Folding, Genanalysen, Arzneimittelherstellung, etc. Hier ist zwar noch nicht klar, woher der größte Mehrwert kommt und was die Lösung ist.

Aber den Gebrüdern Wright war auch nicht klar, dass der größte Mehrwert ihrer Erfindung Jahrzehnte später der globale (Echtzeit-)Handel mit Lean Production sein würde. Amazon war beim Fokus auf Cloud auch nicht bewusst, was aus diesem „Internet“ werden kann und was es heute ist.

Und genau an diesem Punkt stehen wir aktuell mit KI. Fakt ist – da ist viel grüne Wiese und wer bereit ist, darauf zu spielen, kann eine Menge toller Dinge entwickeln.

Den letzten großen Zug der Industrialisierung haben wir super mitgenommen, auch wenn der Kaiser zu Beginn dieser Phase so Klassiker wie „Ich glaube an das Pferd, das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung“ raushaute.

Wie immer gilt: Machen ist wie wollen, nur krasser. Und das sind wir unseren Kindern schuldig.

Wird diese Chance von den deutschen Unternehmen auch schon genutzt? Falls ja, freuen wir uns über konkrete Anwendungsfälle, falls nein - wo liegen die Ursachen für das zögerliche Verhalten?

Ja, einerseits wird die Chance genutzt. Und andererseits auch teilweise wieder: nein, überhaupt nicht.

Die Diskrepanz zwischen einzelnen Unternehmen und Branchen ist immens.

Peter Weinberg brachte es kürzlich mit “The amount of leverage that AI creates is proportional to the skill of its player” auf den Punkt.

Es sollte also nie um das Potential der Technologie gehen; es kommt darauf an, wie man die Lernkurve beschreitet. Leider sind viele Ingenieure – und da wären wir beim Mantra der letzten Jahrzehnte – so ausgebildet, dass bei einer Technologie mit Potential zuerst die ganzen Probleme geprüft und festgestellt werden. Und dann ist quasi kein Projekt mehr sinnvoll.

Der Fokus auf die Chance ist uns verloren gegangen. Aber glauben Sie mir, das macht viel mehr Spaß als nur die Probleme und Risiken zu sehen. Jedes Fußball-Team kann bestätigen, dass Aufholen viel mehr Spaß macht, als eingeholt zu werden. Und dann muss man noch nicht einmal einen Spitzenplatz einnehmen, sondern es genügt, oben mit dabei zu sein. Und das fühlt sich großartig an.

Da müssen wir wieder hin.

Gerade mittelständische Unternehmen verfügen oft nicht über die Ressourcen großer Konzerne, um KI in ihre Prozesse zu integrieren, was können Sie diesen Unternehmen empfehlen? Besteht auch die Möglichkeit, in kleinen Schritten voranzugehen?

Natürlich. Sollte man sogar. Und: Projekte, die vor drei Jahren noch Millionen kosteten, gehen heute schon auf jedem Telefon. Da spielt die Zeit immer für einen. Man muss nur anfangen, sich damit zu beschäftigen und etwas zu erschaffen. Nur so lernt man - insb. auch wer von den potenziellen Helfern echte Expertise hat. Das ist der einfachste Weg, die Spreu vom Weizen zu trennen.

A propos Spreu und Weizen – das machen schon seit Jahrzehnten Maschinen. Kein Mensch mit Dreschflegel hatte damals Angst um seinen Job. Neue Technik hat objektiv betrachtet noch nie Jobs gekostet, sondern nur verändert. Die Angst, dass Maschinen alles übernehmen, ist eine Dystopie.

Realistisch betrachtet wurden wir immer erfolgreicher, reicher und gesünder. Warum? – Weil wir die Technik für uns zu nutzen wussten. Das ist der Trick.

Wie sollte die Politik in Sachen neue Technologien im Allgemeinen und KI-Einsatz im Besonderen unterstützen? Werden Innovationen nicht durch eine überbordende Regulatorik Steine in den Weg gelegt? Oder ist die restriktive Haltung auf nationaler und europäischer Ebene - Stichwort Cyber Security und Datenschutz - doch gerechtfertigt?

Die Politik ist mehr oder weniger egal. Ich sehe das radikal. Die Hilferufe nach Support aus der Politik sind genauso „gelernte Opferrolle“ wie der Hinweis, dass die Politik einschränkt.

Unternehmer haben immer einen Weg gefunden und werden das auch in Zukunft. Wir sollten nur Möglichkeiten schaffen, diese Unternehmer passender zu unterstützen. Im Start-up sind bspw. Themen wie Mitarbeiterbeteiligungsprogramme in steuerlicher Hinsicht nach wie vor schwierig Das könnte sicherlich etwas angepasst werden. Und sorry, auch notarielle Prozesse empfinde ich als zu bürokratisch. Sobald man international arbeitet, erntet man für dieses Thema nur wildes Kopfschütteln. Da könnte man im Sinne von mehr Pragmatismus sicher optimieren.

Wie sehen Sie den Einsatz von KI und moderner Technologien im Deutschland im internationalen Vergleich? Können wir Schritt halten oder sind wir schon abgehängt?

Man ist nie abgehängt. Abgehängt ist man nur, wenn man sich im Kopf mental abhängen lässt. Ich werbe wie gesagt dafür: Von „hinten“ aufholen macht viel mehr Spaß. Ergo: rechts ist Gas!

Zum Abschluss noch einen Blick in die Zukunft: Wie geht es bei der KI-Anwendung in den Unternehmen weiter und wie können sich die Unternehmen im Hinblick auf ihre digitale Zukunft aufstellen?

Ich habe keinen blassen Schimmer. Wir arbeiten an vielen Themen mit großen Firmen, die mittelfristig superspannend sind. De facto handelt es sich dabei aber oft um einen Übergangsprozess, der die alte Welt in die neue überführen soll. Richtig krass wird es erst, wenn wir einen Schritt weglassen oder auslassen. Nach dem Motto „vom Rolodex zum Smartphone“ ohne das Fax dazwischen einzuführen. Das könnten wir. Dafür ist ein Dialog zwischen den Experten aus den jeweiligen Fachbereichen und uns Techies erforderlich, um gemeinsam Veränderungen anzustoßen.

Wir Techies allein werden die Herausforderungen nicht lösen. Die Magie entsteht dort, wo beide Seiten ihre Komfortzone verlassen und sich etwas trauen. Ich persönlich setze da viel auf Initiativen wie IP.ai in Heilbronn. Warum? Das Mindset stimmt und die Finanzierung auch. Ob die Ergebnisse dann stimmen –werden wir in den nächsten zehn Jahren sehen. Aber die Wette sollten wir alle mitgehen. Erneut: das sind wir unseren Kindern schuldig.

Vielen Dank, Herr Körner, für das sehr motivierende Gespräch.