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Wird das Thema Nachhaltigkeit in der Praxis richtig angegangen?

In der letz­ten Aus­gabe un­se­rer no­vus Man­dan­ten­in­for­ma­tio­nen ha­ben wir im Ge­spräch mit Herrn Prof. Dr. Joa­chim Henn­richs, In­ha­ber des Lehr­stuhls für Bürger­li­ches Recht, Bi­lanz- und Steu­er­recht an der Rechts­wis­sen­schaft­li­chen Fa­kultät der Uni­ver­sität zu Köln das In­sti­tut für Nach­hal­tig­keit, Un­ter­neh­mens­recht und Re­por­ting, kurz INUR vor­ge­stellt, das The­men der Nach­hal­tig­keit dis­zi­pli­nenüberg­rei­fend vor­an­trei­ben möchte. In Teil 2 des In­ter­views mit Herrn Prof. Joa­chim Henn­richs spre­chen wir über ma­te­ri­elle Fra­gen und prak­ti­sche Her­aus­for­de­run­gen für Un­ter­neh­men in Zu­sam­men­hang mit den Nach­hal­tig­keits­ent­wick­lun­gen.

Herr Prof. Dr. Henn­richs, das Thema Nach­hal­tig­keit setzt sich aus den drei Be­rei­chen En­viron­men­tal, also Um­welt, So­cial, also So­zia­les wie Schutz der Ar­beit­neh­mer im Un­ter­neh­men und in der Lie­fer­kette, und Go­ver­nance, d. h. der Un­ter­neh­mensführung, zu­sam­men. Se­hen Sie diese drei Be­rei­che als gleich­wer­tig ne­ben­ein­an­der ste­hend - oder sind nicht etwa die Be­rei­che En­viron­men­tal und So­cial die bei­den ma­te­ri­el­len Be­rei­che, die über eine gute Go­ver­nance in den Un­ter­neh­men um­zu­set­zen sind?

G ist das Fun­da­ment von E und S. Ohne gute Go­ver­nance ist E und S nicht zu ma­chen. In­so­weit ist das G in dem Kürzel ESG von be­son­de­rer Wich­tig­keit. Das hat übri­gens auch Wire­card noch­mals vor Au­gen geführt. Dort ist viel schief­ge­lau­fen, aber eine we­sent­li­che Ur­sa­che für die­sen Skan­dal war die Cor­po­rate Go­ver­nance. Wire­card be­traf zwar die Fi­nanz­be­richt­er­stat­tung, aber ähn­li­che Pro­bleme können sich natürlich auch in der zwei­ten Säule der Un­ter­neh­mens­be­richt­er­stat­tung stel­len, eben bei der Nach­hal­tig­keits­be­richt­er­stat­tung.

Stel­len wir dann doch ein­mal den Kli­ma­schutz dem Schutz der Ar­beit­neh­mer ge­genüber. Se­hen Sie Schwie­rig­kei­ten, diese bei­den Ziele gleich­wer­tig in Ein­klang zu brin­gen?

Da­mit spre­chen Sie ein sehr schwie­ri­ges Pro­blem an. Die EU ver­folgt der­zeit einen Re­gu­lie­rungs­an­satz, den man mit „Ever­ything Ever­ywhere All at Once!“ um­schrei­ben kann. E, S und G, al­les soll gleich­zei­tig und gleich­wer­tig und um­fas­send re­gu­liert wer­den. Da­bei be­ste­hen zwi­schen die­sen Teil­as­pek­ten durch­aus große Span­nungs­verhält­nisse. Neh­men wir Tesla als Bei­spiel: Un­ter E-As­pek­ten gilt der Her­stel­ler von Elek­tro­au­tos als gut, „grüne“ Au­tos. Schon daran, ob diese Ein­ord­nung wirk­lich rich­tig ist, habe ich meine Zwei­fel. Aber je­den­falls un­ter S- und G-As­pek­ten ist Tesla da­ge­gen ganz und gar kein Vor­zei­ge­kan­di­dat. Was ist also nun das ESG-Ra­ting von Tesla? Wie soll der „Buch­sta­ben­sa­lat“, wie es der Eco­no­mist vor ei­ni­ger Zeit be­ti­telt hat, zu ei­ner ein­zi­gen sinn­vol­len Kenn­zahl ver­dich­tet wer­den?

Viel­leicht wäre es eher emp­feh­lens­wert, sich vor­dring­lich auf E zu kon­zen­trie­ren, und hier viel­leicht so­gar auf E im Sinne von Emis­si­ons, also CO2-Emis­sio­nen. Die Kli­ma­verände­rung ist ein, wenn nicht das vor­dring­li­che Pro­blem.

Auf Un­ter­neh­mens­ebene wird die The­ma­tik der Nach­hal­tig­keit ins­be­son­dere durch die Nach­hal­tig­keits­be­richt­er­stat­tung ge­trie­ben, die von Un­ter­neh­men, ins­be­son­dere abhängig von ih­rer Größe, suk­zes­sive zu erfüllen ist. Ggf. müssen aber auch schon klei­nere Un­ter­neh­men ih­ren Ge­schäfts­part­nern Re­chen­schaft ab­le­gen, um einen Kre­dit oder Lie­fer­auf­trag zu er­hal­ten. Für einen Laien er­schei­nen die zu erfüllen­den Vor­ga­ben äußerst kom­plex und we­nig durch­sich­tig. Wäre es nicht sinn­vol­ler, die Un­ter­neh­men könn­ten sich auf die ei­gent­li­chen ESG-The­men kon­zen­trie­ren, als die­sen aufwändi­gen Be­richts­pflich­ten nach­kom­men zu müssen?

Be­richts­pflich­ten sol­len pri­vate Ak­teure ak­ti­vie­ren und zu Ver­hal­tensände­run­gen an­stoßen. Re­gu­lie­rungs­theo­re­ti­sch nennt man das „nud­ging ap­proach“. Die­ses re­gu­la­to­ri­sche „An­stup­sen“ von pri­va­ten Un­ter­neh­men tritt als zwei­tes In­stru­ment ne­ben di­rekte Ver­bote (et­was von be­son­ders schädli­chen Emis­sio­nen) und ne­ben Ansätze zu ei­ner CO2-Be­prei­sung oder Be­steue­rung. Was die bes­se­ren Re­gu­lie­rungs­in­stru­mente sind und ob die Be­richts­pflich­ten al­len­falls „se­cond best“ wir­ken, ist um­strit­ten. Aber nach mei­ner Be­ob­ach­tung lässt sich je­den­falls nicht leug­nen, dass der nud­ging ap­proach tatsäch­lich wirkt. Die CSR-Be­richt­er­stat­tung ist ja nicht völlig neu. Große ka­pi­tal­markt­ori­en­tierte Un­ter­neh­men müssen schon seit Jah­ren über CSR-Be­lange be­rich­ten, und das hat, wie ich aus vie­len Dis­kus­sio­nen im Ar­beits­kreis Ex­terne Un­ter­neh­mens­be­richt­er­stat­tung (AKEU) der Schma­len­bach Ge­sell­schaft für Be­triebs­wirt­schafts­lehre weiß, vor Ort viel an­ge­stoßen und be­wirkt. Das wird nun mit der CSRD (Cor­po­rate Sus­tai­na­bi­lity Re­por­ting Di­rec­tive) wei­ter aus­ge­dehnt.

Rich­tig ist al­ler­dings, dass die von der EU ge­for­derte Be­richt­er­stat­tung enorm aufwändig ist. Die zu erfüllen­den Vor­ga­ben sind nicht nur für einen Laien kom­plex und we­nig durch­sich­tig. Selbst große Un­ter­neh­men stöhnen, und zwar zu Recht. Die neuen Re­geln ver­lan­gen Be­richte über hun­derte neue Da­ten­punkte, es sind neue Pro­zesse und Be­richts­li­nien auf­zu­bauen usw. Da­ne­ben tre­ten Pflich­ten nach der Lie­fer­ket­ten­re­gu­lie­rung ent­lang der ge­sam­ten Wert­schöpfungs­kette. Das be­trifft mit­tel­bar auch kleine und mit­tel­große Un­ter­neh­men, denn die ei­gent­lich al­lein un­mit­tel­bar be­trof­fe­nen Großun­ter­neh­men ge­ben ihre Pflich­ten nach un­ten in der Kette wei­ter. Neh­men Sie den Brüsse­ler Per­fek­tio­nis­mus hinzu, und fer­tig ist eine sehr schwer ver­dau­li­che Re­gu­lie­rungs­suppe.

Da der Rest der Welt das so nicht mit­macht, ent­ste­hen außer­dem gefähr­li­che Wett­be­werbs­nach­teile zu Las­ten der eu­ropäischen Wirt­schaft. Re­gu­lie­rungs­dichte ist ne­ben an­de­ren Fak­to­ren ein Wett­be­werbs- und Stand­ort­kri­te­rium. Der­zeit wer­den neue In­ves­ti­tio­nen oft nicht mehr in der EU, son­dern in an­de­ren Wirt­schaftsräumen getätigt. Ein­zelne In­dus­trien den­ken so­gar über Ver­la­ge­run­gen be­ste­hen­der Struk­tu­ren nach. Das ist wohl vor al­lem eine Re­ak­tion auf En­er­gie­as­pekte; die Si­cher­heit und Verläss­lich­keit der En­er­gie­ver­sor­gung so­wie die En­er­gie­preise sind für en­er­gie­in­ten­sive In­dus­trien wie Che­mie und Me­tall­er­zeu­gung be­son­ders wich­tig. Aber auch die als über­bor­dend emp­fun­dene Re­gu­lie­rungs­dichte ist da­bei ein Thema, außer­dem Steu­er­quo­ten und an­de­res mehr.

Der Wirt­schafts­raum EU steht vor sehr schwie­ri­gen Jah­ren. Das ist in den Köpfen der po­li­ti­sch Ver­ant­wort­li­chen in Ber­lin und Brüssel noch nicht aus­rei­chend an­ge­kom­men. Wirt­schaft ist zwar si­cher nicht al­les, aber ohne Wirt­schaft ist al­les nichts. Eine Re­du­zie­rung von Büro­kra­tie und Re­gu­lie­rungs­dichte wird in Sonn­tags­re­den zwar gern ver­spro­chen, tatsäch­lich ge­schieht in Brüssel und Ber­lin der­zeit aber das Ge­gen­teil. Hier wäre we­ni­ger mehr!

Ju­ris­ti­sche Per­so­nen des öff­ent­li­chen Rechts, also auch Hoch­schu­len, müssen ge­ge­be­nen­falls die Nach­hal­tig­keits­an­for­de­run­gen eben­falls erfüllen. Wie nähert sich die Uni­ver­sität zu Köln rein prak­ti­sch die­ser Her­aus­for­de­rung?

Das ist ein her­aus­for­dern­des Thema. Ob und in­wie­weit öff­ent­li­che Ein­rich­tun­gen den neuen Richt­li­nien und Ge­set­zen wirk­lich un­mit­tel­bar un­ter­lie­gen, ist ju­ris­ti­sch um­strit­ten und nicht ganz klar. Wir or­ga­ni­sie­ren dazu im INUR der­zeit einen Ge­sprächs­kreis. Jen­seits der „har­ten“ Rechts­pflich­ten stellt sich aber natürlich auch für öff­ent­li­che Ein­rich­tun­gen die Frage: Wie können wir nach­hal­ti­ger wer­den? An der Uni­ver­sität zu Köln wird darüber im Rek­to­rat und im Nach­hal­tig­keits­rat in­ten­siv dis­ku­tiert.

Nach­hal­tig­keit muss Chef­sa­che sein - aber wie ist Ihre Wahr­neh­mung. Be­trei­ben die Un­ter­neh­men das Thema mit der er­for­der­li­chen Ernst­haf­tig­keit oder wird es manch­mal auch zu Mar­ke­ting­zwe­cken miss­braucht?

Nach mei­nem Ein­druck ist die Wich­tig­keit des The­mas bei vie­len Un­ter­neh­men sehr an­ge­kom­men. ESG-Ex­per­tise wird auf al­len Ebe­nen auf- und aus­ge­baut. In den Or­ga­ni­gram­men sieht man das. Dort neh­men die ESG-Po­si­tio­nen deut­lich zu. Natürlich wird es im­mer auch Missbräuche und Green­wa­shing ge­ben. Das ist eine ernste Her­aus­for­de­rung. Aber die Rechts­ord­nung hat dafür In­stru­mente.

In­wie­fern se­hen Sie auf­grund der der­zei­ti­gen An­for­de­run­gen, die an die Un­ter­neh­men ge­stellt wer­den, die Ge­fahr ei­nes Green­wa­shings und wie könnte ein sol­ches an­ge­mes­sen ver­hin­dert wer­den?

Die Ge­fahr ei­nes Green­wa­shings be­steht. Das ist ein Thema für die Un­ter­neh­mens­fi­nan­zie­rung und Fi­nanz­in­dus­trie, wenn Pro­dukte als „grün“ be­wor­ben wer­den, die es viel­leicht nicht in dem ver­spro­che­nen Maß sind. Aber das be­trifft auch die Pro­dukt­wer­bung und da­mit das Kauf- und Wett­be­werbs­recht und die Un­ter­neh­mens­be­richt­er­stat­tung.

Green­wa­shing ist im Grunde kein neues Thema, son­dern ein Aus­schnitt aus der all­ge­mei­nen Pro­ble­ma­tik der Sank­tio­nie­rung von Rechts­verstößen. Wo neue Vor­schrif­ten ge­setzt wer­den, wer­den diese bis­wei­len auch ver­letzt, mit­un­ter so­gar be­wusst und mit dem Ziel der Ir­reführung.

Dafür hat die Rechts­ord­nung aber taug­li­che In­stru­mente ent­wi­ckelt, und diese wer­den si­cher für die­sen spe­zi­el­len Be­reich auch wei­ter aus­dif­fe­ren­ziert und ver­fei­nert wer­den. Drei Bei­spiele: Wenn ein als grün de­kla­rier­tes Fi­nanz­pro­dukt tatsäch­lich nicht grün ist, gibt es ka­pi­tal­markt­recht­li­che Sank­tio­nen, die bis hin zur Rück­ab­wick­lung des Kaufs des Fi­nanz­in­stru­ments rei­chen können. Wenn Kon­su­men­ten­pro­dukte mit grünen Merk­ma­len be­wor­ben wer­den, die ir­reführend sind, kann das kauf- und wett­be­werbs­recht­li­che Kon­se­quen­zen ha­ben. Wenn die Un­ter­neh­mens­be­richt­er­stat­tung ir­reführend grün gefärbt ist, ist das ein Thema für den Ab­schlussprüfer und die Bi­lanz­kon­trolle durch die Ba­Fin, ggf. auch ein An­satz für Scha­dens­er­satz­pflich­ten. Usw.

Die Frage, wann ge­nau ein als grün de­kla­rier­tes In­stru­ment tatsäch­lich nicht grün ist, ist al­ler­dings nicht im­mer klar. Neh­men Sie einen syn­the­ti­schen ETF auf einen „Grünen In­dex“. Bei syn­the­ti­schen ETF in­ves­tiert der Fonds nicht di­rekt in die Ti­tel, die im In­dex ent­hal­ten sind. Viel­mehr er­folgt die In­dex­nach­bil­dung mit­tels ei­nes Tausch­ge­schäfts – dem To­tal Re­turn Swap. Da­bei wird ein Korb von Wert­pa­pie­ren als Si­cher­heit hin­ter­legt. Ist der ETF noch grün, wenn in dem Korp der Si­cher­hei­ten „braune“ Ak­tien ent­hal­ten sind? Darüber kann man strei­ten, ebenso über die Frage, was über­haupt „grüne“ vs. „braune“ Ak­tien sind; tatsäch­lich be­steht die Welt ja viel­leicht eher aus Ka­ki­far­ben als aus kla­ren Grün-Braun-Tönen. Das Bei­spiel zeigt, dass schon der Tat­be­stand des Green­wa­shings nicht im­mer ein­deu­tig ist. Aber auch das wer­den die Ge­richte bewälti­gen und mit der Zeit kon­kre­ti­sie­ren, ebenso wie sie z. B. die Pflich­ten im Be­reich der pri­va­ten Pro­dukt­haf­tung mit Au­genmaß kon­kre­ti­siert ha­ben.

Sehr ge­ehr­ter Herr Pro­fes­sor Henn­richs - wir dan­ken Ih­nen viel­mals für das Ge­spräch!

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