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BVerfG: Zivilgerichtliche Untersagung der Wortberichterstattung über jugendliche Prominente verfassungswidrig

BVerfG 25.1.2012, 1 BvR 2499/09

Eine im Zu­sam­men­hang mit der Wort­be­richt­er­stat­tung über Pro­mi­nente an­ge­nom­mene Re­gel­ver­mu­tung des grundsätz­li­chen Vor­rangs des All­ge­mei­nen Persönlich­keits­rechts ge­genüber der Mei­nungs­frei­heit, so­bald schutz­bedürf­tige In­ter­es­sen von jun­gen Er­wach­se­nen oder Ju­gend­li­chen in Rede ste­hen, ist aus ver­fas­sungs­recht­li­cher Sicht zu eng und un­dif­fe­ren­ziert. Sie über­geht ins­bes. das Er­for­der­nis ei­ner ein­zel­fall­be­zo­ge­nen Abwägung.

Der Sach­ver­halt:
Die Be­schwer­deführe­rin ist ein Toch­ter­un­ter­neh­men der Ver­le­ge­rin der Ta­ges­zei­tung "Säch­si­sche Zei­tung" und ver­brei­tet Be­richte auch über ihre In­ter­net­seite. Ih­ren bei­den Ver­fas­sungs­be­schwer­den liegt eine Be­richt­er­stat­tung über einen Vor­fall aus dem Jahre 2008 zu­grunde, in den die bei­den Söhne des Schau­spie­lers Uwe Och­senknecht, die Kläger des Aus­gangs­ver­fah­rens, ver­wi­ckelt wa­ren.

Diese wur­den in der sog. "Frein­acht" da­bei be­ob­ach­tet, wie sie zu­sam­men mit ei­ner Gruppe von Freun­den Fahrräder trak­tier­ten, Blu­men aus einem Blu­men­beet her­aus­ris­sen so­wie den Te­le­fonhörer in ei­ner Te­le­fon­zelle ab­ris­sen. Nach Fest­stel­lung ih­rer Per­so­na­lien auf der Po­li­zei­wa­che wur­den die Kläger ent­las­sen. Ge­gen kei­nen von bei­den wurde ein Er­mitt­lungs­ver­fah­ren ein­ge­lei­tet.

Die Be­schwer­deführe­rin ver­brei­tete auf ih­rer In­ter­net­seite über die­sen Vor­fall einen Bei­trag un­ter der Über­schrift "Po­li­zei schnappt Och­senknecht-Söhne". Darin wird darüber be­rich­tet, dass "die bei­den Nach­wuchs­schau­spie­ler und -sänger nach wüster Ran­dale in der Münche­ner In­nen­stadt von der Po­li­zei verhört" wor­den seien.

LG und OLG ga­ben den auf Un­ter­las­sung der Be­richt­er­stat­tung über den Vor­fall als Sach­be­schädi­gung so­wie ein­zel­ner den Her­gang be­tref­fen­der Äußerun­gen ge­rich­te­ten Kla­gen statt. Auf die Ver­fas­sungs­be­schwerde der Be­schwerführe­rin hob das BVerfG die an­ge­grif­fe­nen Ent­schei­dun­gen auf und ver­wies die Sa­chen zur er­neu­ten Ent­schei­dung an das LG zurück.

Die Gründe:
Die an­gegfrif­fe­nen Ent­schei­dun­gen ver­let­zen die Be­schwer­deführe­rin in ih­rem Grund­recht auf Mei­nungs­frei­heit.

Der Be­richt über den in der Sa­che un­strei­ti­gen Vor­fall fällt in den Schutz­be­reich der Mei­nungs­frei­heit. Diese fin­det zwar ihre Grenze u.a. in den all­ge­mei­nen Ge­set­zen. Bei An­wen­dung der ein­schlägi­gen Vor­schrif­ten des Zi­vil­rechts ha­ben die Fach­ge­richte je­doch Be­deu­tung und Trag­weite der Mei­nungs­frei­heit ver­kannt, in­dem sie sich nicht hin­rei­chend mit den be­son­de­ren Umständen zur Reich­weite des all­ge­mei­nen Persönlich­keits­rechts der Kläger aus­ein­an­der­ge­setzt und ihm da­durch im Rah­men der ge­bo­te­nen Abwägung den Vor­rang ein­geräumt ha­ben.

Das all­ge­meine Persönlich­keits­recht schützt ins­bes. vor ei­ner Be­einträch­ti­gung der Pri­vat- und In­timsphäre. Im Be­reich der Wort­be­richt­er­stat­tung bie­tet es al­ler­dings nicht schon da­vor Schutz, über­haupt in einem Be­richt in­di­vi­dua­li­sie­rend be­nannt zu wer­den. Zwar ist für die Be­richt­er­stat­tung über Straf­ver­fah­ren an­er­kannt, dass im Hin­blick auf die Un­schulds­ver­mu­tung die Na­mens­nen­nung oder sons­tige Iden­ti­fi­ka­tion des Täters nicht im­mer zulässig sind. Ins­bes. bei schwer­wie­gen­den Straf­ta­ten kann die Ge­fahr ei­ner Stig­ma­ti­sie­rung des noch nicht rechtskräftig Ver­ur­teil­ten erhöht sein. Hier­von un­ter­schei­det sich je­doch die vor­lie­gende Be­richt­er­stat­tung über das un­strei­tige Ver­hal­ten ei­ner Gruppe jun­ger Leute auf of­fe­ner Straße, über das un­abhängig von einem Straf­ver­fah­ren be­rich­tet wird, und das al­len­falls von ge­ringfügi­ger straf­recht­li­cher Re­le­vanz ist.

Zu­dem berührt der Be­richt nur die So­zi­al­sphäre der Kläger, die über­dies ihre Per­son selbst in die Öff­ent­lich­keit ge­stellt ha­ben, wo­bei sie ein Image als "Junge Wilde" pfleg­ten und ihre Idol­funk­tion kom­mer­zi­ell aus­nutz­ten. Diese Umstände ha­ben die Fach­ge­richte nicht aus­rei­chend in ihre Erwägun­gen ein­ge­stellt. Zu­dem ist bei der Abwägung zu berück­sich­ti­gen, dass die Presse zur Erfüllung ih­rer Auf­ga­ben nicht grundsätz­lich auf eine an­ony­mi­sierte Be­richt­er­stat­tung ver­wie­sen wer­den kann. Bei Tat­sa­chen­be­rich­ten müssen wahre Aus­sa­gen in der Re­gel hin­ge­nom­men wer­den, auch wenn sie nach­tei­lig für den Be­trof­fe­nen sind. An­de­rer­seits ist zwei­fels­ohne das junge Al­ter der Kläger in die Erwägun­gen ein­zu­be­zie­hen.

Die von den Fach­ge­rich­ten an­ge­nom­mene Re­gel­ver­mu­tung des grundsätz­li­chen Vor­rangs des All­ge­mei­nen Persönlich­keits­rechts ge­genüber der Mei­nungs­frei­heit, so­bald schutz­bedürf­tige In­ter­es­sen von jun­gen Er­wach­se­nen be­zie­hungs­weise Ju­gend­li­chen in Rede ste­hen, ist je­doch aus ver­fas­sungs­recht­li­cher Sicht zu eng und un­dif­fe­ren­ziert. Sie über­geht das Er­for­der­nis ei­ner ein­zel­fall­be­zo­ge­nen Abwägung und berück­sich­tigt vor­lie­gend zu we­nig, dass die Be­deu­tung der Persönlich­keits­be­einträch­ti­gung so­wohl durch das "Öff­ent­lich­keitsimage" der Kläger als auch durch die Ein­ord­nung ih­res Ver­hal­tens als Ba­ga­tell­de­likt ge­min­dert ist.

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