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BVerfG-Vorlage: BFH zweifelt an der Verfassungsmäßigkeit des ErbStG in der ab Januar 2009 geltenden Fassung

Entscheidung des BFH vom 27.9.2012 - II R 9/11

Der BFH hat dem BVerfG die Frage zur Ent­schei­dung vor­ge­legt, ob § 19 Abs. 1 ErbStG in der im Jahr 2009 gel­ten­den Fas­sung i.V.m. §§ 13a und 13b ErbStG we­gen Ver­stoßes ge­gen den all­ge­mei­nen Gleich­heits­satz ver­fas­sungs­wid­rig ist. Er ist der An­sicht, dass die in §§ 13a und 13b ErbStG vor­ge­se­he­nen Steu­er­vergüns­ti­gun­gen in we­sent­li­chen Teil­be­rei­chen von großer fi­nan­zi­el­ler Trag­weite über das ver­fas­sungs­recht­lich ge­recht­fer­tigte Maß hin­aus­ge­hen.

Der Sach­ver­halt:
Der Kläger war zu 1/4 Miterbe sei­nes im Ja­nuar 2009 ver­stor­be­nen On­kels. Im Nach­lass be­fan­den sich Gut­ha­ben bei Kre­dit­in­sti­tu­ten und ein Steu­er­er­stat­tungs­an­spruch. Der Wert des auf den Kläger ent­fal­len­den An­teils am Nach­lass be­lief sich auf 51.266 €. Un­ter Berück­sich­ti­gung ei­nes Frei­be­trags von 20.000 € und ei­nes Steu­er­sat­zes von 30 % setzte das Fi­nanz­amt Erb­schaft­steuer i.H.v. 9.360 € fest.

Der Kläger be­gehrte eine Her­ab­set­zung der Steuer auf 4.680 €. Er war der An­sicht, der in § 19 Abs. 1 i.V.m. § 37 Abs. 1 ErbStG  - in der ab Ja­nuar 2009 gel­ten­den Fas­sung - für steu­er­pflich­tige Er­werbe in der Steu­er­klasse II vor­ge­se­hene Steu­er­satz von 15 % sei aus Gründen der Gleich­be­hand­lung auch im vor­lie­gen­den Fall an­zu­wen­den. Er rügte eine Ver­let­zung von Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG.

Das FG wies die Klage ab. Auf die Re­vi­sion des Klägers hatte der BFH zunächst das Bun­des­mi­nis­te­rium der Fi­nan­zen (BMF) auf­ge­for­dert, dem Ver­fah­ren bei­zu­tre­ten, was die Behörde auch ge­tan hat. Dar­auf­hin hat der BFH das Ver­fah­ren aus­ge­setzt und dem BVerfG die Frage zur Ent­schei­dung vor­ge­legt, ob § 19 Abs. 1 ErbStG in der im Jahr 2009 gel­ten­den Fas­sung i.V.m. §§ 13a und 13b ErbStG we­gen Ver­stoßes ge­gen Art. 3 Abs. 1 GG ver­fas­sungs­wid­rig ist.

Die Gründe:
Die Vor­lage an das BVerfG war gem. Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG i.V.m. § 80 BVerfGG ge­bo­ten.

Der Se­nat ist zwar der An­sicht, dass die Gleich­stel­lung von Per­so­nen der Steu­er­klasse II und III im Jahr 2009 ver­fas­sungs­recht­lich hin­zu­neh­men ist. Schließlich ist der Ge­setz­ge­ber von Ver­fas­sungs we­gen nicht ver­pflich­tet, Er­wer­ber der Steu­er­klasse II bes­ser zu stel­len als Er­wer­ber der Steu­er­klasse III. Art. 6 Abs. 1 GG be­zieht sich nur auf die Fa­mi­lie als Ge­mein­schaft von El­tern und Kin­dern, nicht aber auf Fa­mi­li­en­mit­glie­der im wei­te­ren Sinn wie etwa Ge­schwis­ter oder Abkömm­linge von Ge­schwis­tern.

Al­ler­dings ist der Se­nat auch der Auf­fas­sung, dass § 19 Abs. 1 i.V.m. §§ 13a und 13b ErbStG n.F. des­halb ge­gen den all­ge­mei­nen Gleich­heits­satz verstößt, weil die in §§ 13a und 13b ErbStG vor­ge­se­he­nen Steu­er­vergüns­ti­gun­gen in we­sent­li­chen Teil­be­rei­chen von großer fi­nan­zi­el­ler Trag­weite über das ver­fas­sungs­recht­lich ge­recht­fer­tigte Maß hin­aus­ge­hen. Im Ein­zel­nen wird die Vor­lage auf fol­gende Ge­sichts­punkte:

1. Die weit­ge­hende oder vollständige steu­er­li­che Ver­scho­nung des Er­werbs von Be­triebs­vermögen, land- und forst­wirt­schaft­li­chem Vermögen und An­tei­len an Ka­pi­tal­ge­sell­schaf­ten oder An­tei­len daran stellt eine nicht durch aus­rei­chende Ge­mein­wohlgründe ge­recht­fer­tigte und da­mit ver­fas­sungs­wid­rige Über­pri­vi­le­gie­rung dar. So kann nicht un­ter­stellt wer­den, dass die Erb­schaft­steuer ty­pi­scher­weise die Be­triebs­fortführung gefähr­det. Es geht weit über das ver­fas­sungs­recht­lich Ge­bo­tene und Zulässige hin­aus, Be­triebs­vermögen ohne Rück­sicht auf den Wert des Er­werbs und die Leis­tungsfähig­keit des Er­wer­bers frei­zu­stel­len, und zwar auch dann, wenn die für eine Erb­schaft­steu­er­zah­lung er­for­der­li­chen li­qui­den Mit­tel vor­han­den sind oder - ggf. im Rah­men ei­ner Stun­dung der Steuer - ohne Wei­te­res be­schafft wer­den können.

Auch der Begüns­ti­gungs­grund "Ar­beits­plat­zer­halt" er­weist sich als nicht tragfähig, weil weit mehr als 90 % al­ler Be­triebe nicht mehr als 20 Be­schäftigte ha­ben und schon des­halb nicht un­ter die "Ar­beits­platz­klau­sel" fal­len und fer­ner das Ge­setz Ge­stal­tun­gen zulässt, die es in vie­len Fällen auf ein­fa­che Art und Weise ermögli­chen, dass es für die Gewährung des Ver­scho­nungs­ab­schlags auch bei Be­trie­ben mit mehr als 20 Be­schäftig­ten im Er­geb­nis nicht auf die Ent­wick­lung der Lohn­sum­men und so­mit auf die Er­hal­tung von Ar­beitsplätzen in dem Zeit­raum nach dem Er­werb an­kommt.

2. §§ 13a und 13b ErbStG wei­sen einen ver­fas­sungs­wid­ri­gen Begüns­ti­gungsüber­hang auf. Sie ermögli­chen es Steu­er­pflich­ti­gen, durch recht­li­che Ge­stal­tun­gen nicht be­triebs­not­wen­di­ges Vermögen, das den Begüns­ti­gungs­zweck nicht erfüllt, in un­be­grenz­ter Höhe ohne oder mit nur ge­rin­ger Steu­er­be­las­tung zu er­wer­ben. Denn es un­ter­liegt weit­ge­hend der Dis­po­si­ti­ons­frei­heit des Erb­las­sers oder Schen­kers, Vermögens­ge­genstände, die ih­rer Na­tur nach im Rah­men der pri­va­ten Vermögens­ver­wal­tung ge­hal­ten wer­den, zu steu­er­begüns­tig­tem Be­triebs­vermögen zu ma­chen.

Die Be­stim­mun­gen hin­sicht­lich des sog. Ver­wal­tungs­vermögens nach § 13b Abs. 2 ErbStG sind nicht ge­eig­net, ri­si­ko­be­haf­te­tes und des­halb zu begüns­ti­gen­des Be­triebs­vermögen von weit­ge­hend ri­si­ko­lo­sem und da­her nicht begüns­ti­gungswürdi­gem Be­triebs­vermögen ab­zu­gren­zen, und wi­der­spre­chen so­mit dem Fol­ge­rich­tig­keits­ge­bot. Fer­ner gehören Geld­for­de­run­gen wie etwa Sicht­ein­la­gen, Spar­an­la­gen und Fest­geld­kon­ten bei Kre­dit­in­sti­tu­ten nicht zum Ver­wal­tungs­vermögen, so dass ein An­teil an ei­ner GmbH oder GmbH und Co. KG, de­ren Vermögen aus­schließlich aus sol­chen For­de­run­gen be­steht (z.B. sog. Cash-GmbH), durch frei­ge­bige Zu­wen­dung oder von To­des we­gen er­wor­ben wer­den könne, ohne dass Erb­schaft­steuer anfällt.

3. Letzt­lich führen die zusätz­lich zu den Frei­beträgen des § 16 ErbStG an­wend­ba­ren Steu­er­vergüns­ti­gun­gen nach §§ 13a und 13b ErbStG zu­sam­men mit zahl­rei­chen an­de­ren Ver­scho­nun­gen dazu, dass die Steu­er­be­frei­ung die Re­gel und die tatsäch­li­che Be­steue­rung die Aus­nahme ist.

Die Ver­fas­sungs­verstöße führen teils für sich al­lein, teils in ih­rer Ku­mu­la­tion zu ei­ner durch­ge­hen­den, das ge­samte Ge­setz er­fas­sen­den ver­fas­sungs­wid­ri­gen Fehl­be­steue­rung, durch die die­je­ni­gen Steu­er­pflich­ti­gen, die die Vergüns­ti­gun­gen nicht be­an­spru­chen können, in ih­rem Recht auf eine gleichmäßige, der Leis­tungsfähig­keit ent­spre­chende und fol­ge­rich­tige Be­steue­rung ver­letzt wer­den.

Link­hin­weis:
  • Der Voll­text der Ent­schei­dung ist auf der Home­page des BFH veröff­ent­licht.
  • Um di­rekt zum Voll­text zu ge­lan­gen, kli­cken Sie bitte hier.
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