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BGH: Keine Ausgleichszahlung nach der Fluggastrechteverordnung für Flugannullierung wegen von der Vereinigung Cockpit angekündigten Pilotenstreiks

Urteile des BGH vom 21. August 2012 – X ZR 138/11 und X ZR 146/11
Die Kläger der bei­den Ver­fah­ren ver­lan­gen Aus­gleichs­zah­lun­gen nach Art. 7 Abs. 1c, Art. 5 Abs. 1c der Ver­ord­nung (EG) Nr. 261/2004* (nach­fol­gend: Flug­gast­rech­te­ver­ord­nung), weil ihre für Fe­bruar 2010 vor­ge­se­he­nen Flüge von Miami nach Deutsch­land von der be­klag­ten Luft­hansa AG we­gen ei­nes Streik­auf­rufs der Ver­ei­ni­gung Cock­pit an­nul­liert wor­den wa­ren. In der Sa­che X ZR 138/11 wurde der für den 22. Fe­bruar 2010 vor­ge­se­hene Rück­flug nach Düssel­dorf an­nul­liert und die Rei­sen­den wur­den auf einen an­de­ren Rück­flug um­ge­bucht, mit dem sie am 25. Fe­bruar 2010 in Düssel­dorf ein­tra­fen. In der Sa­che X ZR 146/11 wurde der für den 23. Fe­bruar 2010 vor­ge­se­hene Rück­flug nach Frank­furt am Main an­nul­liert die Rei­sen­den wur­den auf einen Flug am 1. März 2010 um­ge­bucht. In bei­den Fällen geht es nicht um die Un­terstützungs­leis­tun­gen (Mahl­zei­ten, Ho­tel­un­ter­brin­gung), die das Luft­ver­kehrs­un­ter­neh­men bei An­nul­lie­rung ei­nes Flugs an­bie­ten muss, son­dern – je­den­falls in der Re­vi­si­ons­in­stanz – aus­schließlich um die Frage, ob Luft­hansa auch die pau­schale Aus­gleichs­leis­tung in Höhe von 600 Euro je Flug­gast zu zah­len hat, die die Flug­gast­rech­te­ver­ord­nung grundsätz­lich vor­sieht, wenn ein In­ter­kon­ti­nen­tal­flug an­nul­liert wird.
Nach Art. 5 Abs. 3 der Flug­gast­rech­te­ver­ord­nung** entfällt diese Ver­pflich­tung, wenn eine An­nul­lie­rung auf "außer­gewöhn­li­che Umstände" zurück­geht, die sich auch dann nicht hätten ver­mei­den las­sen, wenn alle zu­mut­ba­ren Maßnah­men er­grif­fen wor­den wären. Luft­hansa hat gel­tend ge­macht, von der Pflicht zu Aus­gleichs­zah­lun­gen nach der Ver­ord­nung be­freit zu sein, weil es sich bei dem Streik ih­rer Pi­lo­ten um ein außer­gewöhn­li­ches und für sie un­ab­wend­ba­res Er­eig­nis ge­han­delt habe und sie alle zu­mut­ba­ren Maßnah­men zur Re­du­zie­rung der Zahl der an­nul­lier­ten Flüge er­grif­fen habe.
Die in ers­ter In­stanz zuständi­gen Amts­ge­richte ha­ben Luft­hansa in bei­den Fällen zur Leis­tung der Aus­gleichs­zah­lun­gen ver­ur­teilt. Im Ver­fah­ren X ZR 138/11 hat das Land­ge­richt Köln die Be­ru­fung zurück­ge­wie­sen, weil ein Streik ei­ge­ner Mit­ar­bei­ter des ausführen­den Luft­fahrt­un­ter­neh­mens kein außer­gewöhn­li­ches Er­eig­nis im Sinne des Art. 5 Abs. 3 der Flug­gast­rech­te­ver­ord­nung dar­stelle. Da­ge­gen hat im Ver­fah­ren X ZR 146/11 das Land­ge­richt Frank­furt am Main auf die Be­ru­fung das erst­in­stanz­li­che Ur­teil abgeändert und die Klage ab­ge­wie­sen. Ein Streik, auch der­je­nige des ei­ge­nen Per­so­nals des Luft­ver­kehrs­un­ter­neh­mens stelle ein un­ab­wend­ba­res Er­eig­nis im Sinne des Art. 5 Abs. 3 der Ver­ord­nung dar. Luft­hansa habe die An­nul­lie­rung des Rück­flu­ges auch nicht durch zu­mut­bare Maßnah­men ver­mei­den können. Ins­be­son­dere sei sie nicht ver­pflich­tet ge­we­sen, an­dere Pi­lo­ten zur Aus­hilfe an­zu­stel­len.
Der für das Reise- und Per­so­nen­beförde­rungs­recht zuständige X. Zi­vil­se­nat des Bun­des­ge­richts­hof (BGH) hat nun­mehr ent­schie­den, dass außer­gewöhn­li­che Umstände im Sinne des Art. 5 Abs. 3 der Flug­gast­rech­te­ver­ord­nung an­zu­neh­men sein können, wenn der Flug­plan ei­nes Luft­ver­kehrs­un­ter­neh­mens in­folge ei­nes Streiks ganz oder zu we­sent­li­chen Tei­len nicht wie ge­plant durch­geführt wer­den kann. Dies er­gibt sich aus Wort­laut und Zweck des Art. 5 Abs. 3 der Flug­gast­rech­te­ver­ord­nung und steht im Ein­klang mit der Aus­le­gung die­ser Vor­schrift durch die bis­he­rige Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs der Eu­ropäischen Union (EuGH). Die vom EuGH für tech­ni­sche De­fekte ent­wi­ckel­ten Maßstäbe sind auch für an­dere als Ur­sa­che außer­gewöhn­li­cher Umstände in Be­tracht kom­mende Vor­komm­nisse, wie etwa die in Erwägungs­grund 14*** der Flug­gast­rech­te­ver­ord­nung ge­nann­ten, her­an­zu­zie­hen. Auch in­so­weit ist maßgeb­lich, ob die An­nul­lie­rung auf un­gewöhn­li­che, außer­halb des Rah­mens der nor­ma­len Be­triebstätig­keit des Luft­ver­kehrs­un­ter­neh­mens lie­gende und von ihm nicht zu be­herr­schende Ge­ge­ben­hei­ten zurück­geht. Da­bei spielt es bei einem Streik, der in Erwägungs­grund 14 ausdrück­lich als Ur­sa­che außer­gewöhn­li­cher Umstände ge­nannt ist, grundsätz­lich keine Rolle, ob der Be­trieb des Un­ter­neh­mens durch eine Ta­rif­aus­ein­an­der­set­zung zwi­schen Drit­ten (z.B. beim Flug­ha­fen­be­trei­ber oder einem mit der Si­cher­heits­kon­trolle be­trau­ten Un­ter­neh­men) oder da­durch be­einträch­tigt wird, dass ei­gene Mit­ar­bei­ter des Luft­ver­kehrs­un­ter­neh­mens in den Aus­stand tre­ten. Ein Streik­auf­ruf ei­ner Ge­werk­schaft wirkt – auch so­weit er zu einem Aus­stand der ei­ge­nen Be­schäftig­ten führt – "von außen" auf das Luft­ver­kehrs­un­ter­neh­men ein und ist nicht Teil der nor­ma­len Ausübung sei­ner Tätig­keit, die durch den Streik als Ar­beits­kampf­mit­tel ge­rade ge­zielt be­einträch­tigt oder gar lahm ge­legt wer­den soll. Eine sol­che Si­tua­tion ist in al­ler Re­gel von dem be­trof­fe­nen Luft­ver­kehrs­un­ter­neh­men auch nicht be­herrsch­bar, da die Ent­schei­dung zu strei­ken, von der Ar­beit­neh­mer­seite im Rah­men der ihr zu­kom­men­den Ta­rif­au­to­no­mie und da­mit außer­halb des Be­triebs des ausführen­den Luft­ver­kehrs­un­ter­neh­mens ge­trof­fen wird.
In den ent­schie­de­nen Fällen war dem­ent­spre­chend die Strei­kankündi­gung der Ver­ei­ni­gung Cock­pit ge­eig­net, außer­gewöhn­li­che Umstände im Sinne des Art. 5 Abs. 3 der Flug­gast­rech­te­ver­ord­nung her­bei­zuführen. Luft­hansa hatte, nach­dem zu er­war­ten war, dass die über­wie­gende Zahl der an­ge­spro­che­nen Mit­ar­bei­ter dem Streik­auf­ruf nach­kom­men und so­mit keine zur Ein­hal­tung des ge­sam­ten Flug­plans aus­rei­chende An­zahl von Pi­lo­ten zur Verfügung ste­hen würde, An­lass, den Flug­plan so zu re­or­ga­ni­sie­ren, dass zum einen die Be­einträch­ti­gun­gen der Fluggäste durch den Streik so ge­ring wie un­ter den ge­ge­be­nen Umständen möglich aus­fal­len würden und sie zum an­de­ren in der Lage sein würde, nach Be­en­di­gung des Streiks so­bald wie möglich zum Nor­mal­be­trieb zurück­zu­keh­ren. Schöpft ein Luft­ver­kehrs­un­ter­neh­men un­ter Ein­hal­tung die­ser An­for­de­run­gen die ihm zur Verfügung ste­hen­den Res­sour­cen in dem ge­bo­te­nen Um­fang aus, kann die Nicht­durchführung ei­nes ein­zel­nen Flugs in der Re­gel nicht al­lein des­halb als ver­meid­bar an­ge­se­hen wer­den, weil statt­des­sen ein an­de­rer Flug hätte an­nul­liert wer­den können.
Da­nach hat der Bun­des­ge­richts­hof im Ver­fah­ren X ZR 146/11 die Re­vi­sion der Kläger zurück­ge­wie­sen, weil das Land­ge­richt Frank­furt fest­ge­stellt hat, dass Luft­hansa mit einem Son­der­flug­plan ge­eig­nete und zu­mut­bare Maßnah­men er­grif­fen hatte, um An­nul­lie­run­gen in­folge des Streiks auf das un­ver­meid­bare Maß zu be­schränken, und da­her rechts­feh­ler­frei an­ge­nom­men hat, dass die Ab­sage des Flu­ges der Kläger nicht zu ver­mei­den war. Im Ver­fah­ren X ZR 138/11 konnte der Bun­des­ge­richts­hof da­ge­gen nicht ab­schließend über die gel­tend ge­mach­ten Aus­gleichs­an­sprüche ent­schei­den, da vom Land­ge­richt Köln Fest­stel­lun­gen zu den von Luft­hansa er­grif­fe­nen Maßnah­men noch zu tref­fen sind. *Art. 7 der Ver­ord­nung: "Aus­gleichs­an­spruch" (1) Wird auf die­sen Ar­ti­kel Be­zug ge­nom­men, so er­hal­ten die Fluggäste Aus­gleichs­zah­lun­gen in fol­gen­der Höhe: c) 600 EUR bei al­len nicht un­ter Buch­stabe a) oder b) fal­len­den Flügen. **Art. 5 der Ver­ord­nung: "An­nul­lie­rung" (1) Bei An­nul­lie­rung ei­nes Flu­ges wer­den den be­trof­fe­nen Fluggästen … c) vom ausführen­den Luft­fahrt­un­ter­neh­men ein An­spruch auf Aus­gleichs­leis­tun­gen gemäß Ar­ti­kel 7 ein­geräumt … (3) Ein ausführen­des Luft­fahrt­un­ter­neh­men ist nicht ver­pflich­tet, Aus­gleichs­zah­lun­gen gemäß Ar­ti­kel 7 zu leis­ten, wenn es nach­wei­sen kann, dass die An­nul­lie­rung auf außer­gewöhn­li­che Umstände zurück­geht, die sich auch dann nicht hätten ver­mei­den las­sen, wenn alle zu­mut­ba­ren Maßnah­men er­grif­fen wor­den wären. ***Erwägungs­grund 14 der Ver­ord­nung: Wie nach dem Übe­rein­kom­men von Mon­treal soll­ten die Ver­pflich­tun­gen für ausführende Luft­fahrt­un­ter­neh­men in den Fällen be­schränkt oder aus­ge­schlos­sen sein, in de­nen ein Vor­komm­nis auf außer­gewöhn­li­che Umstände zurück­geht, die sich auch dann nicht hätten ver­mei­den las­sen, wenn alle zu­mut­ba­ren Maßnah­men er­grif­fen wor­den wären. Sol­che Umstände können ins­be­son­dere bei po­li­ti­scher In­sta­bi­lität, mit der Durchführung des be­tref­fen­den Flu­ges nicht zu ver­ein­ba­ren­den Wet­ter­be­din­gun­gen, Si­cher­heits­ri­si­ken, un­er­war­te­ten Flug­si­cher­heitsmängeln und den Be­trieb ei­nes ausführen­den Luft­fahrt­un­ter­neh­mens be­einträch­ti­gen­den Streiks ein­tre­ten.

Quelle: Pres­se­mit­tei­lung des BGH Nr. 133/2012 vom 21.08.2012

22.08.2012 nach oben

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