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BFH: Zum Vorliegen eines Verfahrensmangels wegen unvollständiger Sachverhaltsaufklärung

Beschluss des BFH vom 4.6.2012 - VI B 10/12

Die dem FG als Tat­sa­chen­in­stanz auf­ge­ge­bene Ver­pflich­tung zur Er­for­schung des Sach­ver­halts ge­bie­tet zwar nicht, auch fern lie­gen­den Über­le­gun­gen und Erwägun­gen nach­zu­ge­hen. So­weit sich al­ler­dings aus den bei­ge­zo­ge­nen Ak­ten, dem Be­tei­lig­ten­vor­brin­gen und sons­ti­gen Umständen Fra­gen zum ent­schei­dungs­er­heb­li­chen Sach­ver­halt aufdrängen, muss das FG auch ohne ent­spre­chen­den Hin­weis der Be­tei­lig­ten den Sach­ver­halt da­hin­ge­hend wei­ter er­for­schen und auch ent­spre­chende Be­weise er­he­ben.

Der Sach­ver­halt:
Im fi­nanz­ge­richt­li­chen Ver­fah­ren war u.a. strei­tig, ob die von den Klägern selbst er­ho­bene Klage recht­zei­tig durch Ein­wurf in den Brief­kas­ten des Fi­nanz­amts er­ho­ben wor­den war. Die Klage rich­tete sich ge­gen die Ein­kom­men­steu­er­be­scheide der Jahre 1997 bis 2000 so­wie 2003 in der Fas­sung der Ein­spruchs­ent­schei­dun­gen vom 6.9.2010. Die Ein­spruchs­ent­schei­dun­gen wa­ren nach den Fest­stel­lun­gen des FG am sel­ben Tag zur Post ge­ge­ben wor­den.

Die Klage ging aus­weis­lich des Ein­gangs­stem­pels am 12.10.2010 beim FG ein. Die Kla­ge­schrift und eine Voll­macht be­fan­den sich in einem un­fran­kier­ten DIN A5 Um­schlag, der an das FG in Han­no­ver un­ter An­gabe der Straße und Post­leit­zahl adres­siert war. Die Kläger tra­gen dazu vor, dass der Kläger den Brief­um­schlag, in dem sich die Kla­ge­schrift be­fun­den habe, am Sams­tag, den 9.10.2010, persönlich in den Brief­kas­ten der Außen­stelle des Fi­nanz­amts ein­ge­wor­fen habe.

Das FG wies die Klage als un­zulässig ab. Die Ein­spruchs­ent­schei­dun­gen seien un­strei­tig am 6.9.2010 vom Fi­nanz­amt zur Post ge­ge­ben wor­den. Nach § 122 Abs. 2 AO gälten sie da­her als am 9.9.2010 als be­kannt ge­ge­ben, so dass die Kla­ge­frist mit Ab­lauf des 11.10.2010 (Mon­tag) ge­en­det habe. Des­halb sei die Kla­ge­schrift, die aus­weis­lich des Ein­gangs­stem­pels erst am 12.10.2010 beim FG ein­ge­gan­gen sei, verspätet er­ho­ben wor­den. Auf die hier­ge­gen ge­rich­tete Nicht­zu­las­sungs­be­schwerde hob der BFH das Ur­teil auf und ver­wies die Sa­che zur an­der­wei­ti­gen Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das FG zurück.

Die Gründe:
Das FG hat den ent­schei­dungs­er­heb­li­chen Sach­ver­halt nicht vollständig auf­geklärt und da­mit ge­gen § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO ver­stoßen.

Nach § 76 Abs. 1 S. 1 FGO hat das FG den Sach­ver­halt von Amts we­gen zu er­for­schen und gem. § 81 Abs. 1 S. 2 FGO die er­for­der­li­chen Be­weise zu er­he­ben. Da­bei hat es den ent­schei­dungs­er­heb­li­chen Sach­ver­halt so vollständig wie möglich und bis zur Grenze des Zu­mut­ba­ren, d.h. un­ter Aus­nut­zung al­ler verfügba­ren Be­weis­mit­tel, auf­zuklären. Die­sen An­for­de­run­gen ist vor­lie­gend nicht ent­spro­chen. Die dem FG auf­ge­ge­bene Ver­pflich­tung zur Er­for­schung des Sach­ver­halts ge­bie­tet zwar nicht, auch fern lie­gen­den Über­le­gun­gen und Erwägun­gen nach­zu­ge­hen. So­weit sich al­ler­dings z.B. aus den bei­ge­zo­ge­nen Ak­ten oder dem Be­tei­lig­ten­vor­brin­gen Fra­gen zum ent­schei­dungs­er­heb­li­chen Sach­ver­halt aufdrängen, muss das FG auch ohne Hin­weis der Be­tei­lig­ten den Sach­ver­halt da­hin­ge­hend wei­ter er­for­schen und ent­spre­chende Be­weise er­he­ben.

Von einem sol­chen wei­ter aufklärungs­bedürf­ti­gen Sach­ver­halt ist im Streit­fall aus­zu­ge­hen. Denn an­ge­sichts der ent­schei­dungs­er­heb­li­chen Frage, ob der Brief­um­schlag mit der darin be­find­li­chen Kla­ge­schrift tatsäch­lich, wie vom Kläger vor­ge­tra­gen, beim Fi­nanz­amt ein­ge­wor­fen wurde, drängt sich die wei­tere Sach­ver­halts­aufklärung dazu auf, ob und in­wie­weit die Schil­de­rung des Fi­nanz­amts hin­sicht­lich der Usan­cen der Wei­ter­lei­tung von dort ein­ge­gan­ge­ner, aber für das FG be­stimm­ter Post zum einen zu­trifft und zum an­de­ren in der tägli­chen Pra­xis von den Be­diens­te­ten des Fi­nanz­amts tatsäch­lich auch so ge­hand­habt wor­den war. Dies gilt ins­bes. des­halb, weil sich Zwei­fel an die­ser Schil­de­rung dar­aus er­ge­ben, dass un­ter Berück­sich­ti­gung des Sach­ver­halts, den das FG in sei­ner Ent­schei­dung als Ge­sche­hens­ab­lauf zu Grunde ge­legt hatte, völlig un­geklärt bleibt, auf wel­chem Weg die Kla­ge­schrift das FG er­reicht hatte.

Denn der bei den fi­nanz­ge­richt­li­chen Ak­ten be­find­li­che Um­schlag, der die Kla­ge­schrift samt Voll­macht ent­hielt, war un­fran­kiert und an das FG un­mit­tel­bar adres­siert. Eine nahe lie­gende Erklärung dafür wäre, dass der Vor­trag des Klägers zu­trifft, die Kla­ge­schrift tatsäch­lich beim Fi­nanz­amt ein­ge­wor­fen zu ha­ben, das Fi­nanz­amt dann diese samt Um­schlag an das FG wei­ter­ge­lei­tet hatte und da­bei ver­se­hent­lich kein ent­spre­chen­der Stem­pel auf­ge­bracht wor­den war. Da­von ging das FG al­ler­dings nicht aus. Es hat sich viel­mehr die Schil­de­rung des Fi­nanz­amts zum übli­chen Ab­lauf der Wei­ter­lei­tung dort ein­ge­gan­ge­ner, aber für das FG be­stimm­ter Schriftstücke zu Ei­gen ge­macht. Frag­lich er­scheint al­ler­dings, auf Grund­lage wel­cher kon­kre­ten Umstände das FG zu der Über­zeu­gung ge­lan­gen konnte, dass dies hier tatsäch­lich so war.

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