Der Legislativvorschlag der Europäischen Kommission zur Mehrwertsteuer im digitalen Zeitalter (VAT in the Digital Age bzw. ViDA-Initiative) ist Teil des EU-Aktionsplans für eine faire und einfache Besteuerung. Ziel der Initiative ist es, das Mehrwertsteuersystem einerseits zu vereinfachen und andererseits durch die zunehmende Digitalisierung widerstandsfähiger gegen Betrug zu machen. Die geplanten Änderungen an der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie und weiteren Verordnungen beinhalten vor allem die Einführung digitaler Meldepflichten im Zusammenhang mit einer verpflichtenden elektronischen Rechnungsstellung, Vereinfachungen bei der einheitlichen EU-Mehrwertsteuerregistrierung und umfangreiche Änderungen für die elektronische Plattformwirtschaft.
Einführung digitaler Meldungen auf Grundlage elektronischer Rechnungen
Elektronische Rechnungen
Die Etablierung von elektronischen Rechnungen soll durch die Vorschläge der Europäischen Kommission vorangetrieben und die Umsetzung für Mitgliedstaaten und Steuerpflichtige vereinfacht werden. Vorgeschlagen wird eine zweistufige Umsetzung der Maßnahme:
1. Stufe „Vereinfachung“: Zunächst plant die Europäische Kommission mit Wirkung ab 2024 die Anpassung der Definition einer elektronischen Rechnung in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL). Nach neuer Definition muss eine elektronische Rechnung in einem strukturierten, elektronischen Format ausgestellt und verschickt werden. Das Format muss die automatische und elektronische Verarbeitung der Rechnung ermöglichen.
2. Stufe „elektronische Rechnung“: Mit Wirkung ab 2028 soll die MwStSystRL so abgeändert werden, dass alle Rechnungen über grenzüberschreitende Lieferungen und Leistungen innerhalb der EU in einem strukturierten elektronischen Format ausgestellt werden müssen (sog. E-Invoicing). Rechnungen in Papierform oder anderen Formaten, die nicht den Anforderungen eines strukturierten elektronischen Formats entsprechen, dürfen nur noch für Lieferungen ausgestellt werden, die nicht den digitalen Meldepflichten unterliegen. Hierunter fallen insbesondere Lieferungen und Leistungen im Inland sowie in Drittländer.
Hinweis: Abzuwarten bleibt, inwiefern Mitgliedstaaten auch für die nicht von der EU-Regelung umfassten Transaktionen nationale Regelungen beschließen werden, die die Ausstellung von Rechnungen in einem elektronischen strukturierten Format vorschreiben. Im Koalitionsvertrag der derzeitigen Bundesregierung ist die Bekämpfung von Umsatzsteuerbetrug durch ein bundesweit einheitliches elektronisches Meldesystem für die Erstellung, Prüfung und Weiterleitung von Rechnungen verankert. Somit bietet sich mit Blick auf den Koalitionsvertrag für den deutschen Gesetzgeber sicherlich die Chance, die Rechnungsstellung in einem strukturierten elektronischen Format auch für weitere Anwendungsfälle zu regeln.
Einführung eines digitalen Meldepflichtensystems
Die EU-Kommission plant, das aktuelle Meldesystem der Zusammenfassenden Meldung (ZM) durch ein digitales Meldepflichtensystem (DMP-System) für innergemeinschaftliche Umsätze zu ersetzen. Eingeführt werden soll ein solches System bis 2028. Mit dem geplanten DMP-System werden Informationen zu getätigten Umsätzen schneller und in besserer Qualität gesammelt. In den Anwendungsbereich des DMP-Systems fallen alle Umsätze, die bisher auch im Rahmen der ZM zu melden sind. Zusätzlich werden Umsätze mit Steuerschuldübergang erfasst.
Eckpunkte des DMP-Systems:
- Informationen sind für jeden Umsatz zu übermitteln. Dies bedeutet, dass (monatliche) Sammelrechnungen nicht mehr zulässig sind.
- Rechnungen für Umsätze, die im DMP-System zu melden sind, müssen innerhalb von zwei Arbeitstagen nach Ausführung der Lieferung oder Erbringung der Dienstleistung ausgestellt werden. Die Übermittlungsfrist dieser Umsätze beträgt zwei Arbeitstage nach Rechnungsausstellung oder nach dem Datum, an dem die Rechnung hätte ausgestellt werden müssen.
- Die Datenübermittlung hat elektronisch zu erfolgen.
- Die Mittel für die Datenübermittlung werden durch die Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellt.
- Daten können von dem Steuerpflichtigen selbst oder von einem fremden Dritten in seinem Namen übermittelt werden.
- Geplant ist die Übermittlung aller aktuellen Rechnungspflichtangaben sowie neuer obligatorischer Rechnungsbestandteile (Bankkonto, auf dem die Zahlung der Rechnung gutgeschrieben werden soll, Zahlungsdatum, Betrag jeder Zahlung und im Fall der Rechnungsänderung die ursprüngliche Rechnungsnummer).
Neben der Erfassung der Ausgangsumsätze soll das Wahlrecht über die Erhebung von Daten bzgl. innergemeinschaftlicher Erwerbe für die Mitgliedstaaten der europäischen Union zu einer Verpflichtung werden.
Einheitliche EU-Mehrwertsteuerregistrierung
Die umsatzsteuerliche Registrierung im Ausland ist für Unternehmer häufig mit Aufwand und Risiken verbunden. Insbesondere im E-Commerce werden Waren oftmals ohne Einflussnahme der Unternehmer zwischen EU-Ländern hin- und hertransportiert, so dass umsatzsteuerliche Registrierungen unausweichlich sind.
Die EU-Kommission strebt mit dem Richtlinienvorschlag zur Single VAT Registration an, dass Unternehmer zukünftig nur noch in ihrem Ansässigkeitsstaat registrierungspflichtig sind.
Um dieses Ziel zu erreichen ist geplant, die Steuerschuld ab dem 01.01.2025 grundsätzlich bei allen Leistungen, die von einem Unternehmer in einem anderen als seinem Ansässigkeitsstaat erbracht werden, auf den Leistungsempfänger übergehen zu lassen, sofern dieser in dem entsprechenden Land umsatzsteuerlich registriert ist. Die Meldung erfolgt durch den leistenden Unternehmer im Rahmen der Zusammenfassenden Meldung, bzw. dann ab 2028 im DMP-System. Davon ausgenommen sind Leistungen, die der Margenbesteuerung unterliegen.
Zudem wird das One-Stop-Shop-Verfahren (OSS-Verfahren) dahingehend erweitert, dass sämtliche B2C-Lieferungen in der EU gemeldet werden können, sofern die zugrundeliegende Lieferung andernfalls eine umsatzsteuerliche Registrierungspflicht für den in der EU ansässigen leistenden Unternehmer auslösen würde. Dies schließt insbesondere lokale Lieferungen innerhalb eines anderen EU-Mitgliedstaates sowie Lieferungen, die zusammen mit einer Installation im EU-Ausland geschuldet werden mit ein, wenn der Unternehmer in dem anderen Mitgliedstaat nicht für umsatzsteuerliche Zwecke registriert ist.
Beispiel: Ein deutscher Unternehmer liefert Waren aus einem Lager in Spanien an einen ebenfalls in Spanien ansässigen Privatkunden. Der deutsche Unternehmer ist in Spanien nicht für umsatzsteuerliche Zwecke registriert. Der Umsatz ist im Rahmen des OSS-Verfahrens zu melden.
Auch B2C-Lieferungen an Bord von Transportmitteln (bspw. Schiffen oder Flugzeugen) sowie die Lieferung von Gas, Strom, Wärme und Kälte können dann im OSS-Verfahren gemeldet werden.
Neben den B2C-Lieferungen ist ab dem 01.01.2025 auch die OSS-Meldung des innergemeinschaftlichen Verbringens vorgesehen. Bislang löst ein innergemeinschaftliches Verbringen in der Regel Registrierungspflichten im Bestimmungsland für den verbringenden Unternehmer aus, um den resultierenden innergemeinschaftlichen Erwerb zu melden. Dies gilt auch dann, wenn ein gegenläufiger Vorsteuerabzug dazu führt, dass insgesamt keine Umsatzsteuer geschuldet wird.
Durch die Meldung im OSS-Verfahren entfallen die Registrierungspflichten. Der korrespondierende innergemeinschaftliche Erwerb ist zudem umsatzsteuerfrei. Investitionsgüter und nicht zum vollen Vorsteuerabzug berechtigende Güter sind von dem Vorschlag ausgenommen.
Die in 2020 erstmalig angewendete Vereinfachungsregelung für Konsignationslager wird nach dem Richtlinienvorschlag zum 31.12.2025 abgeschafft. Bereits nach dem 31.12.2024 können keine Waren mehr unter Anwendung der Konsignationslagerregelung eingelagert werden.
Hinweis: Trotz des Wegfalls der Vereinfachungsregelung dürfte sich bei Umsetzung der vorgenannten Vorschläge keine Registrierungspflicht aufgrund der Einlagerung und darauffolgenden lokalen Lieferung ergeben.
Das innergemeinschaftliche Verbringen zu einem Konsignationslager kann im Rahmen des OSS-Verfahrens gemeldet werden. Die Umsatzsteuer für die lokale Lieferung bei der Entnahme aus dem Konsignationslager wird von dem Leistungsempfänger geschuldet.
Änderungen für Plattformbetreiber
Die bislang bestehende Lieferkettenfiktion für Online-Plattformen mit Drittlandbezug wird erweitert. Derzeit wird in Fällen, in denen ein Händler mit Sitz in einem Drittland Waren über einen EU-Online-Marktplatz an europäische B2C Kunden veräußert, ein Reihengeschäft zwischen dem Händler, dem Plattformbetreiber und dem Kunden angenommen. Die Fiktion des Reihengeschäfts wird auch bei Einfuhr von Waren bis zu einem Wert von 150 Euro angewendet.
So erfolgt eine fiktive Lieferung des Händlers an den Betreiber der Plattform und eine Lieferung von dem Plattformbetreiber an den Kunden. Dabei ist die fiktive Lieferung des Händlers an die Plattform umsatzsteuerfrei. Die Lieferung des Plattformbetreibers an den Kunden wird hingegen regulär besteuert.
Der Richtlinienentwurf sieht vor, die Lieferkettenfiktion ab dem 01.01.2025 auf sämtliche Lieferungen innerhalb der EU, bei denen eine Plattform eingebunden ist, auszuweiten. Dies betrifft sowohl Lieferungen an unternehmerische als auch an private Kunden. Somit gehen die Verantwortung der umsatzsteuerlichen Beurteilung der Lieferungen und die damit einhergehenden (Registrierungs-)Pflichten auf die Plattform über. Dafür entfällt für die Plattformbetreiber die derzeitige Problematik, die Fälle zu erkennen, in denen die Lieferkettenfiktion angewendet wird, da alle Lieferungen im Rahmen eines fiktiven Reihengeschäfts abgewickelt werden.
Darüber hinaus gilt auch das innergemeinschaftliche Verbringen im Zusammenhang mit Plattformen als Lieferung des Händlers an den Plattformbetreiber und von dem Plattformbetreiber zurück an den Händler. Die bewegte Lieferung ist der Lieferung des Plattformbetreibers zuzuordnen und somit regulär zu besteuern. Die Lieferung des Händlers ist hingegen umsatzsteuerfrei. Davon ausgenommen sind das innergemeinschaftliche Verbringen von Investitionsgütern und von nicht zum vollen Vorsteuerabzug berechtigenden Gütern.
Von der Lieferkettenfiktion sind zudem Online-Marktplätze ausgeschlossen, die in einem EU-Mitgliedstaat ansässig sind und ausschließlich Lieferungen unterstützen, die innerhalb dieses Landes stattfinden.
Nach dem Vorschlag der EU-Kommission gilt die Lieferkettenfiktion ab dem 01.01.2025 auch für Beherbergungs- und Personenbeförderungsplattformen. Hintergrund ist, dass Anbieter von Wohnungen oder Beförderungsleistungen oftmals keine Umsatzsteuer für die Vermietung oder Beförderung schulden, da sie entweder keine Unternehmer sind oder von der Kleinunternehmerregelung Gebrauch machen können. Dies hat zur Folge, dass solche Leistungen günstiger angeboten werden können als durch konkurrierende Unternehmen aus dem Hotel- oder Taxigewerbe, deren Leistungen in der Regel umsatzsteuerpflichtig sind.
Ist der Anbieter ein Nicht- oder Kleinunternehmer, wird eine fiktive Leistungskette unterstellt. Leistungen der Plattform an die Kunden sind dann regulär zu besteuern und unterliegen grundsätzlich der Umsatzsteuer. Die Leistungen des Anbieters der Beherbergung oder Beförderung gegenüber der Plattform sind hingegen umsatzsteuerfrei. Die Anbieter der Leistungen sind insoweit nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt.
Den Plattformbetreiber werden bei Nichtanwendung der Leistungskette Nachweispflichten bzgl. der Unternehmereigenschaft des Anbieters treffen. Diese Nachweise sind aufzuzeichnen und zehn Jahre aufzubewahren.
Ausblick
Die Vorschläge der EU-Kommission müssen nun von den einzelnen EU-Mitgliedstaaten geprüft werden. Für die Umsetzung der Reglungen müssen alle EU-Mitgliedstaaten dem Richtlinienentwurf zustimmen. In welcher Form und in welchem zeitlichen Zusammenhang die Regelungen auf den Weg gebracht werden können, bleibt abzuwarten. Sicher ist, dass sich das europäische Mehrwertsteuersystem in den nächsten Jahren weiterentwickeln wird.
Die geplanten Änderungen dürften eine Vielzahl von Unternehmen betreffen und zu umfangreichen Anpassungen von Prozessen und Systemen führen. Zudem sind erste Umsetzungsschritte schon in weniger als einem Jahr geplant. Aus diesem Grund ist es wichtig, die Entwicklungen im Blick zu halten und sich frühzeitig auf ggfs. notwendige Umstellungen vorzubereiten.
Gerne informieren wir Sie laufend über die Entwicklungen zum Thema digitale Umsatzsteuer und begleiten Sie bei der später notwendigen Umsetzung in der Praxis.
Sofern Sie Interesse an Informationen, Workshops und einem gezielten Austausch zum Thema „VAT in the Digital Age“ haben, schreiben Sie uns einfach eine E-Mail mit Ihren Kontaktdaten an vida@ebnerstolz.de.