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Zur Umsatzsteuerfreiheit von Betreuungsleistungen

BFH 6.4.2016, V R 55/14

Be­treu­ungs­leis­tun­gen ei­ner ju­ris­ti­schen Per­son können un­ter Be­ru­fung auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. h MwSt­Sys­tRL steu­er­frei sein. Das gilt je­den­falls dann, wenn ihr die Er­laub­nis zum Be­trieb ei­ner Ein­rich­tung zur Be­treu­ung von Kin­dern und Ju­gend­li­chen nach § 45 SGB VIII er­teilt wurde und die Kos­ten für diese Leis­tun­gen über einen Träger der freien Ju­gend­hilfe ab­ge­rech­net und da­mit mit­tel­bar von öff­ent­li­chen Trägern der Kin­der- und Ju­gend­hilfe ge­zahlt wer­den.

Der Sach­ver­halt:
Strei­tig ist, ob die von der Kläge­rin im Streit­jahr (2007) er­brach­ten Be­treu­ungs­leis­tun­gen ge­genüber Kin­dern und Ju­gend­li­chen steu­er­frei sind. Die Kläge­rin ist eine ju­ris­ti­sche Per­son in der Rechts­form ei­ner GmbH, die nach ih­rem Ge­sell­schafts­zweck aus­schließlich und un­mit­tel­bar ge­meinnützige Zwecke ver­folgt. Diese Zwecke be­ste­hen u.a. in der Förde­rung der Ju­gend in Bil­dung und Er­zie­hung so­wie der Ju­gend­hilfe nach §§ 27 ff. KJHG. Der Sat­zungs­zweck wird ins­be­son­dere ver­wirk­licht durch: "a) Hil­fen zur Er­zie­hung nach §§ 27 ff. KJHG, hier ins­be­son­dere die Un­ter­hal­tung ei­ner Kin­der- und Ju­gend­hil­feein­rich­tung, für sta­tionäre und am­bu­lante Hil­fen, zur Bekämp­fung der Ver­wahr­lo­sung, u.a. bei Dro­gen­miss­brauch, körper­li­cher und see­li­scher Miss­hand­lung".

Hierzu er­bringt die Kläge­rin u.a. Be­treu­ungs­leis­tun­gen der Kin­der- und Ju­gend­hilfe nach SGB VIII. Die für ent­spre­chende Ein­rich­tun­gen (Wohn­heime) er­for­der­li­chen Be­triebs­er­laub­nisse sind ihr gem. § 45 SGB VIII durch den Land­schafts­ver­band per Be­scheid im Fe­bruar 2002 und März 2007 er­teilt wor­den. Die für ihre Be­treu­ungs­leis­tun­gen ge­schul­de­ten Ent­gelte stellte die Kläge­rin der - als Träge­rin der freien Ju­gend­hilfe nach § 75 i.V.m. § 45 SGB VIII an­er­kann­ten - GbR in Rech­nung. Diese rech­nete die un­ter Ein­schal­tung der Kläge­rin er­brach­ten Leis­tun­gen mit den öff­ent­li­chen Trägern der Kin­der- und Ju­gend­hilfe ab.

Die Kläge­rin hielt ihre Leis­tun­gen für steu­er­frei und gab da­her für das Streit­jahr keine Um­satz­steu­er­erklärung ab. Da­ge­gen un­ter­warf das Fi­nanz­amt im An­schluss an eine Außenprüfung die von der Kläge­rin er­brach­ten Leis­tun­gen im Rah­men der Kin­der- und Ju­gend­hilfe i.H.v. rd. 115.000 € (netto) der Um­satz­steuer. Die Vor­aus­set­zun­gen ei­ner Steu­er­be­frei­ung lägen we­der nach na­tio­na­lem Recht noch nach Uni­ons­recht vor. Nach der Recht­spre­chung des BFH könn­ten nur sol­che Ein­rich­tun­gen als Ein­rich­tun­gen mit so­zia­lem Cha­rak­ter an­er­kannt wer­den, die - an­ders als die Kläge­rin im Streit­fall - un­mit­tel­bar mit den öff­ent­li­chen Trägern der so­zia­len Si­cher­heit ab­rech­ne­ten.

Das FG wies die hier­ge­gen ge­rich­tete Klage ab. Auf die Re­vi­sion der Kläge­rin hob der BFH das Ur­teil des FG auf und gab der Klage statt.

Die Gründe:
Das FG hat zwar eine Steu­er­frei­heit der Be­treu­ungs­leis­tun­gen nach na­tio­na­lem Recht zu­tref­fend ab­ge­lehnt. Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des FG ist die Kläge­rin je­doch als Ein­rich­tung mit so­zia­lem Cha­rak­ter an­er­kannt, so­dass die von ihr er­brach­ten Be­treu­ungs­leis­tun­gen nach Uni­ons­recht steu­er­frei sind.

Nach § 4 Nr. 25 UStG 2005 i.d.F. des JStG 2008 sind die Leis­tun­gen der Ju­gend­hilfe nach § 2 Abs. 2 SGB VIII steu­er­frei, wenn diese Leis­tun­gen von Trägern der öff­ent­li­chen Ju­gend­hilfe oder an­de­ren Ein­rich­tun­gen mit so­zia­lem Cha­rak­ter er­bracht wer­den. Die Kläge­rin ist kein Träger der Ju­gend­hilfe, sie gehört aber zu den an­de­ren Ein­rich­tun­gen mit so­zia­lem Cha­rak­ter. Denn sie un­terhält ein Wohn­heim, in dem Kin­der und Ju­gend­li­che mit psy­chi­scher Be­hin­de­rung un­ter­ge­bracht sind. Für den Be­trieb die­ser Ein­rich­tung ist eine Be­triebs­er­laub­nis nach § 45 SGB VIII er­for­der­lich. Diese ist der Kläge­rin durch den Ver­band (Lan­des­ju­gend­amt) per Be­scheid im Fe­bruar 2002 und März 2007 er­teilt wor­den. Eine Steu­er­be­frei­ung der er­brach­ten Leis­tun­gen schied vor­lie­gend je­doch aus, weil die Neu­fas­sung des § 4 Nr. 25 UStG gem. § 27 Abs. 1 UStG i.V.m. Art. 28 Abs. 4 JStG 2008 erst für Umsätze gilt, die ab dem 1.1.2008 aus­geführt wer­den.

Die Kläge­rin kann sich für die Steu­er­frei­heit ih­rer Leis­tun­gen aber auf das Uni­ons­recht be­ru­fen. Steu­er­frei sind nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. h MwSt­Sys­tRL "eng mit der Kin­der- und Ju­gend­be­treu­ung ver­bun­dene Dienst­leis­tun­gen und Lie­fe­run­gen von Ge­genständen durch Ein­rich­tun­gen des öff­ent­li­chen Rechts oder an­dere von dem be­tref­fen­den Mit­glied­staat als Ein­rich­tun­gen mit so­zia­lem Cha­rak­ter an­er­kannte Ein­rich­tun­gen". Diese Be­stim­mung knüpft an leis­tungs- und an per­so­nen­be­zo­gene Vor­aus­set­zun­gen an: Es muss sich um eng mit der Kin­der- und Ju­gend­be­treu­ung ver­bun­dene Dienst­leis­tun­gen han­deln und der leis­tende Un­ter­neh­mer muss als Ein­rich­tung mit so­zia­lem Cha­rak­ter an­er­kannt sein.

Die Leis­tun­gen der Kläge­rin sind eng mit der Kin­der- und Ju­gend­be­treu­ung ver­bun­den. Sie be­treibt ein Wohn­heim, in dem psy­chi­sch und see­li­sch kranke Kin­der und Ju­gend­li­che un­ter­ge­bracht sind und be­han­delt wer­den. Da­mit wird sie ge­genüber dem Ju­gend­amt im Rah­men der Kin­der- und Ju­gend­hilfe (§§ 27 bis 41 SGB VIII) tätig. Die Kläge­rin ist - ent­ge­gen der Auf­fas­sung des FG - auch als Ein­rich­tung i.S.v. Art. 132 Abs. 1 Buchst. h MwSt­Sys­tRL "an­er­kannt". Ihre An­er­ken­nung folgt aus spe­zi­fi­schen Vor­schrif­ten im Be­reich der so­zia­len Si­cher­heit, ih­rer Tätig­keit im Ge­mein­woh­lin­ter­esse so­wie der (mit­tel­ba­ren) Kos­tenüber­nahme.

Für die An­er­ken­nung spricht ins­be­son­dere die Er­tei­lung der Be­triebs­er­laub­nis nach § 45 SGB VIII. Da­bei han­delt es sich nicht nur um eine Re­ge­lung der Heim­auf­sicht über die Ein­rich­tun­gen des Ju­gend­hil­fe­rechts, son­dern um eine spe­zi­fi­sche Vor­schrift im Be­reich der so­zia­len Si­cher­heit. An der Tätig­keit der Kläge­rin im Be­reich der Kin­der- und Ju­gend­be­treu­ung be­steh auch ein be­son­de­res Ge­mein­woh­lin­ter­esse. Es liegt im all­ge­mei­nen In­ter­esse, psy­chi­sch Er­krankte be­reits frühzei­tig zu be­treuen und ih­nen die Chance ei­ner Teil­habe am späte­ren Er­werbs­le­ben und der Ge­sell­schaft zu ermögli­chen. Zu berück­sich­ti­gen ist schließlich die Über­nahme der Kos­ten der frag­li­chen Leis­tun­gen durch Ein­rich­tun­gen der so­zia­len Si­cher­heit. Die Kläge­rin stellt die von ihr er­brach­ten Leis­tun­gen der als Träge­rin der freien Ju­gend­hilfe nach § 75 i.V.m. § 45 SGB VIII an­er­kann­ten GbR in Rech­nung. Diese wie­derum rech­nete die von der Kläge­rin er­brach­ten Leis­tun­gen mit den öff­ent­li­chen Trägern der Kin­der- und Ju­gend­hilfe ab. Auch eine der­ar­tige mit­tel­bare oder "durch­ge­lei­tete" Kos­ten­tra­gung erfüllt das Merk­mal der Kos­tenüber­nahme.

Link­hin­weis:

  • Der Voll­text der Ent­schei­dung ist auf der Home­page des BFH veröff­ent­licht.
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